"Dickinson", ein (zu) ambitionierter Balance-Akt mit Charme

Die Pilotfolge von "Dickinson" verzaubert auf Anhieb als charmanter Balance-Act zwischen Coming-of-Age-Story im Amerika des 19. Jarhunderts und einer frechen, schwarzhumorigen Karikatur eben dieser Story. Im Mittelpunkt steht das Leben der jungen Emily Dickinson, wunderbar gespielt von Hailee Steinfeld. Dickinson gilt als eine der wichtigsten Dichterinnen der US-Literatur. Wie es dazu kam, wie sie sich gegen ihre eigenen Familie und die Konventionen ihrer Zeit auflehnte, erzählt die zehnteilige Dramedy.

Das Genre ist schwer in Worte zu fassen. Für eine Folge ist einem das auch egal, später aber beginnt man zu rätseln: Trägt die charmante Idee für eine ganze Staffel? Und was ist das hier eigentlich? Wikipedia beschreibt die Serie passenderweise als Period Comedy, Black Comedy, Historical Drama und Fantasy. Nun, all das steckt in der Tat drin. Dickinsons dokumentierte Zweifel an sich und dem Leben werden visuell beispielsweise durch den regelmäßigen Besuch des Todes in einer schwarzen Kutsche verkörpert.

Wir erleben die Auflehnung gegen ihre Eltern, die häuslichen Pflichten und die Erwartungen an eine junge Dame jeder Zeit. Ihre beste Freundin Sue (gespielt von Ella Hunt) ist noch mehr als das, aber ihrer Liebe steht nicht nur die Tatsache im Weg, dass Sue Emilys Bruder Austin heiraten wird. Immer wieder greift die Serie reale Lebensereignisse von Emily Dickinson auf und integriert sie in die Familiengeschichte. Immer wieder sitzt Emily aber in ihrem Zimmer, an einem kleinen Tisch und notiert ihre Gedanken auf einem Stückchen Papier.

Dickinson

Die Folgen starten und enden mit Zitaten aus den realen, fast ausschließlich nach Emily Dickinsons Tod im Jahre 1886 veröffentlichten Werken, die stets im weitesten Sinne das Thema der erzählten Episode umreißen. Außerhalb Amerikas, wo Dickinsons Werke nicht so verbreitet sind, fehlt dem deutschen Publikum vermutlich mehrheitlich der Bezug zur Person, deren Werke und damit die Ebene der Nachvollziehbarkeit dieser ungewöhnlichen Serien-Adaption. Aber zu bedeutungsschwanger wird "Dickinson" dann auch nicht. Mitunter eher klamaukig, was insbesondere an einer Rolle liegt.

Die Mutter von Emily Dickinson spielt Jane Krakowski - irritierenderweise, muss man hinzufügen. Für die geschätzte Schauspielerin ist es Segen und Fluch zu gleich, dass sie zuletzt derart einprägsame Rollen gespielt hat, dass ihre Darstellungen in der HBO-Comedy "30 Rock" und insbesondere aber der Netflix-Serie "Unbreakable Kimmy Schmidt" leider noch sehr präsent sind. Es fällt schwer, ihr die pflichtbewusste Ehefrau jener Zeit abzunehmen, auch aufgrund des auch hier überdrehten Spiels. Positiv betrachtet, könnte man die Serie auch dank ihr als frischen Wirbelwind bezeichnen.

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Die Besetzung von "Dickinson" bei der Premiere in Brooklyn, New York. Von links nach rechts: Ella Hunt, Jane Krakowski, Anna Baryshnikov, Adrian Blake Enscoe, Hailee Steinfeld, Toby Huss.

Unkonventionell ist die Grundidee schließlich alle mal. Es steckt sehr viel Zeitgeist in "Dickinson", das gleichzeitig die Zeit, in der es spielt, ernst nimmt. Wenn sich Emiliy beispielsweise über die Rolle der Frau jener Zeit echauffiert, wird ihre Haltung nicht mit dem heutigen Wissen als klar überlegen und der Rest der Familie als Narren skizziert. Als Emily der Familie Gutes tun will und bei ihrem Vater (gespielt von Toby Huss) erreicht, dass eine Haushaltskraft eingestellt wird, schafft die Serie bis zu einem gewissen Grad Nachvollziehbarkeit für die Reaktion der Mutter - die es als Beleidigung ihrer Leistungen im Haushalt begreift.

Das ist dringend nötig, sonst wäre die Geschichte der selbstbestimmten Emily Dickinson im Amerika des 19. Jahrhunderts ein erzählerisch allzu gradliniger und vorhersehbarer Spaziergang. Eher kann man "Dickinson" vorwerfen, dass es zu viel will. Highlight der Serie ist ohne jeden Zweifel Hailee Steinfeld, die perfekte Besetzung für die Rolle der Emily Dickinson. Reinschauen lohnt sich auf jeden Fall, ob die Idee aber für eine ganze Staffel taugt? Ein Balance-Act wird schließlich immer schwieriger, je länger man ihn probiert.