"For all mankind": Amerikanische Heldengeschichte in alternativer Realität
Kein Ereignis eint die Generation der Babyboomer so sehr wie die Mondlandung der Amerikaner: Jeder weiß, wo er war, als Neil Armstrong als erster Mann den Mond betrat. Mit jenem Moment, in dem die Welt den Atem anhielt weil sie am Fernseher dabei sein konnte, beginnt die Apple-Serie "For all mankind" - mit einem klitzekleinen Unterschied zur Realität: Denn in der von Ronald D. Moore geschaffenen Serie sind es die Russen, die zuerst auf dem Mond landen. Die NASA ist blamiert.
Moore, einst langjähriger Autor und Produzent der "Star Trek"-Serien und Schöpfer von Serien wie "Battlestar Galactica" und "Outlander", erzählt für AppleTV+ diese alternative Realität. Eine Geschichte vom Leben der Astronauten, Ingenieure und ihren Familien in einer Welt, in der das globale Wettrennen ins All nie beendet wurde und das Weltraumprogramm der USA als Stolz einer ganzen Nation erst gekränkt wird und daraus neue Ambitionen entwickelt: Jetzt sollen die Frauen ins All.
Zum Team vor der Kamera gehören Joel Kinnaman, Michael Dorman, Sarah Jones, Shantel VanSanten, Wrenn Schmidt und Jodi Balfour. Im Mittelpunkt steht zu Beginn Kinnaman, der Edward Baldwin, einen Astronaut der NASA, spielt. Seinen Frust über den Erfolg der Russen und die Versäumnisse der NASA vertraut er ausgerechnet einem Journalisten an. Abgezogen von einer bevorstehenden Apollo-Mission muss er sich zurückkämpfen - und US-Präsident Nixon will die Niederlage mit neuen Ambitionen mehr als wettmachen.
Die Serie erzählt einerseits vom politischen Ehrgeiz, dem Geschlechterkampf und dem kalten Krieg im All - andererseits von persönlichen Schicksalen. Und auch die in den USA seit zwei Jahren sehr akute Debatte über Einwanderung ist anfangs noch recht zusammenhanglos, später mit größerer Bedeutung eingebunden in die Geschichte von "For all mankind". Vornehmlich US-Kritiker sind ganz verliebt in "For all mankind". Eine Begeisterung, die ich nicht ganz teilen kann. Die vielversprechende Fragestellung "Was wäre wenn?" kann Ausgangspunkt für dramatische alternative Realitäten sein, wie etwa bei Amazons "The Man in the High Castle".
Die Besetzung von "For All Mankind" bei der Premiere in Los Angeles. Von links nach rechts: Jodi Balfour, Joel Kinnaman, Sarah Jones, Michael Dorman, Wrenn Schmidt, Shantel VanSanten.
Im Falle des Apple Originals entfaltet die spannende Ausgangslage jedoch wohl nur dann seine volle Dramatik, wenn es auf die enorm tiefsitzende Rivalität von USA und Russland trifft. "For all mankind" packt Amerika bei seiner Ehre, demütigt mit dem Sieg der Russen um den ersten Mann auf dem Mond und erzählt dann eine klassische amerikanische Heldengeschichte mit Rückschlägen und überraschenden Erfolgen. Das schaut man durchaus gerne, ist aber weniger außergewöhnlich als man es hätte denken können. Die Serie eint insofern etwas mit "The Morning Show": Beide erzählen vergleichsweise konventionell.
Es ist interessant, wie dies der einen Serie vorgeworfen wird, "For all mankind" jedoch offenbar den amerikanischen Nerv empfindlich trifft und aus der Perspektive "Was wäre, wenn wir verloren hätten" vornehmlich das US-amerikanische Publikum anstachelt, zu erfahren ob die eigenen Leute - die Guten aus Sicht der USA - das Duell im All gewinnen werden. Aber gut: Diese Art des zu Entertainment gewordenen Patriotismus funktionierte schon in genügend Hollywood-Filmen der vergangenen Jahrzehnte, die auch international ein Erfolg wurden. Daher wird auch „For all mankind“ seine Fans in aller Welt finden. Dass die Serie von Ronald D. Moore jedoch die mit weitem Abstand beste Produktion der vier ersten Apple Originals sei, darf man in Frage stellen.
Fazit des ersten Serien-Quartetts
Die ersten vier Serien von AppleTV+ decken ein breites Spektrum ab. Zwei davon sind konventioneller erzählt, "The Morning Show" und "For all mankind". Die anderen beiden Produktionen, "Dickinson" und "See", weitaus gewagter in Form und Genre. Aus dem Weg geräumt sind die Sorgen mancher Serienfans und Kritiker, Apple-Produktionen wären zu weichgespült. In jeder Serie wird geflucht, wie es im US-Network-Fernsehen nicht denkbar wäre und zum Beispiel die Kampfszene am Ende der dritten Episode von "See" ist nichts für schwache Nerven.
Aus Sicht der TV-Branche hat "The Morning Show" natürlich einen besonderen Reiz. Mit der Veröffentlichung von zunächst drei Folgen und dann wöchentlich einer weiteren Episode (mit Ausnahme von "Dickinson") hat Apple ein spannendes Modell gewählt. "See" braucht auch mehrere Episoden um zu fesseln, während "For all mankind" schneller reinzieht. Das erste Serienquartett von Apple - es hat weder einen klaren Favoriten noch einen Totalausfall, auch wenn das andere Kritiker anders sehen mögen.