"See": Ein SciFi-Epos, das nicht nur optisch wuchtig daher kommt
Beinahe übertrieben vehement versuchten die Beteiligten bei der Europa-Premiere von "See" am vergangenen Freitag das Gerücht zu zerstreuen, "See" könnte gar die teuerste Fernsehserie aller Zeiten sein. Wohl auch wegen des vermeintlich hohen Budgets von "The Morning Show". Das SciFi-Epos aus der Feder von Steven Knight ("Peaky Blinders") und inszeniert von Francis Lawrence ("The Hunger Games") ist aber unbestritten der visuell wuchtigste Aufschlag von AppleTV+ und erzählt die Geschichte der Menschheit auf Erden in einigen hundert Jahren,nachdem ein Virus die Menschheit fast gänzlich ausgelöscht und die wenigen Überlebenden hat erblinden lassen.
Doch dann passiert das Wunder: Zwei sehende Kinder werden geboren. Die vermeintlich freudige Nachricht bringt aber auch Sorgen mit sich: Königin Kane (gespielt von Slyvia Hoeks) trachtet ihnen nach dem Leben, denn unter den Blinden wären zwei sehende Kinder natürlich sprichwörtlich Könige. Ihr Ziehvater, Stammesanführer Baba Voss (gespielt von Jason Momoa), tut zusammen mit seiner spirituellen Führerin Paris (gespielt von Alfre Woodard) daher alles dafür, um sie zu schützen. Aber die Fähigkeit zu sehen wird dank eines Schatzes der Vergangenheit auch zur Fähigkeit, lesen zu können. Und lesen können bedeutet wissen - mehr zu wissen als alle anderen.
Dass AppleTV+ die ersten drei Folgen auf einmal veröffentlicht, spielt "See" in die Karten: Die Pilotepisode entwickelt erst langsam Zugkraft. Nach drei Folgen jedoch ist die Richtung der Geschichte deutlicher und die Neugier geweckt. Die Erkundung der einst im 21. Jahrhundert zerstörten Welt setzt ein, sorgt für imposante Bilder und mehr Spielfläche als allein die Wildnis der Pilotfolge. Es geht um nicht weniger als die Wiederentdeckung der Welt und vergessen geglaubter Erfindungen und Fähigkeiten vor dem Spannungsverhältnis zwischen Kindern, die sich ihren Eltern und Mitmenschen zunehmend überlegen fühlen - und von der Königin gejagt werden.
"See" ist mehr als das, was die erste Folge vermuten lässt. Ob Serienfans der Mammut-Produktion angesichts so vieler anderer Versuchungen die nötige Zeit geben werden, um rein zu kommen, ist die Frage aller Fragen. Gewöhnungsbedürftig weil ungewohnt ist zum Einstieg auch das Schauspiel der blinden Charaktere. Zum Cast der Nebenrollen gehören auch blinde Schauspielerinnen und Schauspieler. Die sehenden Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller wurden vor dem Dreh wochenlang von einem Experten gecoacht - ein Punkt, der allen Beteiligten bei der Europa-Premiere am vergangenen Freitag sehr wichtig war. "See" will ernst genommen werden.
Die Besetzung von "See" bei der Premiere der Serie in Los Angeles. Von links nach rechts: Alfre Woodard, Jason Momoa, Nesta Cooper, Archie Madekwe, Hera Hilmar, Yadira Guevara-Prip, Sylvia Hoeks, Christian Camargo.
Vordergründig sieht das SciFi-Epos spektakulär aus und liefert kompromisslose Action-Szenen etwa zum Finale von Folge 3, die mancher von einer vermeintlich weichgespülten Apple-Produktion sicher so nicht erwartet hätte. Es ist aber die unglaublich detailverliebte Umsetzung dieser fiktiven Zukunft unseres Planeten und dem Leben der erblindeten Menschheit, die am meisten fasziniert. Dass Plastikflaschen auch Jahrhunderte nach dem Aussterben der Zivilisation wie wir sie heute kennen, für die in der Wildnis verbliebenen Menschen ein vertrauter Gegenstand sind, ist so ein tolles Detail der hier erschaffenen Welt.
Francis Lawrence, nicht nur Regisseur sondern auch einer der Executive Producer, kennt sich aus mit der Inszenierung fremder Realitäten. Und das kommt "See" zugute. Alleine all die Kniffe zu entdecken, mit denen sich die blinde Menschheit in der Serie im Alltag bewegt, ist eine Freude. Dass die finstere Königin mit religiösem Anspruch regiert, fügt auch eine Ebene der Religionskritik hinzu: Einmal mehr verhindert Religion den Fortschritt der Menschheit. Zu beten wird nach "See" auch nie wieder das gleiche bedeuten. Diese Tiefe der Details ist die eigentliche Wucht dieser Produktion, die ganz sicher auf mehr als eine Staffel ausgelegt ist und von nicht weniger als der erneuten Zivilisation der Menschheit erzählt.