Vorurteil der Woche: Die Dritten Programme haben den Mut zu Innovationen verloren.
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Wenn Programmmacher vorgeworfen kriegen, sie würden zu selten Experimente wagen, folgt häufig die Rechtfertigung, man könne das Fernsehen nun mal nicht ständig neu erfinden. Stimmt. Meistens reicht es auch schon, einmal kräftig durchzulüften. Dazu braucht man, um mal ein Beispiel zu nennen: ein Zweirad, einen Vierbeiner und eine Dreiviertelstunde Zeit, in der sich Menschen über ihre Stadt unterhalten.
"Stadt, Rad, Hund" heißt folgerichtig die Reihe, mit der Moderatorin Bettina Rust am Donnerstag in die zweite Staffel startet, und sie ist ein kleines Glück für das sonst oft arg übergemütliche RBB Fernsehen. Weil sie die Regionalität mal nicht bloß in den täglichen Nachrichten abbildet oder als trutschige Heimatinszenierung versteht. Sondern die Zuschauer ihre Stadt so erfahren lässt, als seien sie selbst dabei: beim Kiezspaziergang, im Café und im Kunstatelier, beim Entdecken von Orten, die Berlins Historie geprägt haben, und Hinterhöfen, die nicht mal Leute kennen, die um die Ecke wohnen.
"Ich mag die Sendung deshalb so sehr, weil sie mich daran erinnert, warum ich mal nach Berlin gekommen bin: weil es hier nämlich so wahnsinnig viel zu entdecken gibt – und man das eigentlich gar nicht so selbstverständlich nehmen sollte", sagt Rust, die sonst unter anderem für radioeins die wöchentliche Interviewreihe "Hörbar Rust" moderiert. Bei "Stadt, Rad, Hund" lässt sie ihre Gesprächspartner nicht zu sich kommen, sondern fährt mit Hund Elli im Fahrradkorb selber hin. Zu prominenten und weniger prominenten Berlinern, die was über sich und ihren Kiez zu erzählen haben.
Das klingt unspektakulär einfach, und ist eine wunderbare Idee. Weil die Leute während der Spaziergespräche durch die Bezirke, in denen sie zuhause sind, viel eher bereit sind, etwas von sich preiszugeben als im Studio.
Mit Sandra Maischberger ist Rust im Prenzlauer Berg auf den Turm der Zionskirche geklettert, in deren Gemeindehaus einst die Umweltbibliothek gegen die DDR opponierte, und hat sich mit ihr übers Glauben und Zelturlaube unterhalten. Schauspieler Lars Eidinger hat sie auf eine Führung durch seine Berufsheimat, die Schaubühne am Lehniner Platz, mitgenommen und sich im China-Imbiss ein Yuppie-Geständnis entlocken lassen. Mit dem früheren Sat.1-Chef Martin Hoffmann, heute Intendant der Berliner Philharmoniker, ist Rust in die Tiefen der Instrumentenkammer gestiegen und hat das Balkengerippe über dem Konzertsaal der Philharmonie erklettert. Sie hat sich mit dem freundlichen Gründer des Neuköllner Comenius-Gartens getroffen, im Wedding Tango gelernt und einem zum Blutwurstritter geschlagenen Metzger bei der Arbeit assistiert.
Sind die Leute nicht skeptisch, zu verraten, in welchem Kiez sie wohnen? Nein, meint Rust: "Viele Promis sind klug genug zu wissen, dass nicht irgendwelche Reisebusse mit Touristen auf Fotosafari durch ihren Kiez cruisen werden, bloß weil sie mal bei mir in der Sendung waren."
Zwischendrin tobt sich Hund Elli vor der Kamera aus und Rust radelt vorbei an Plätzen und Häusern, die kleine Aufklapptexte angeheftet kriegen: "Hier wohnte David Bowie 1976 bis 1979" (in der Hauptstraße in Schöneberg), "Hier entwickelte Konrad Zuse 1944-45 den ersten Computer" (in der Oranienstraße in Kreuzberg) und – im Märchentonfall – "Hier lebten einmal die Brüder Grimm" (am heutigen Potsdamer Platz).
"Ich genieße es, mir vorzustellen, ich wäre Touristin in der eigenen Stadt. Berlin ist ja immer gleichzeitig zu laut und zu leise und zu bunt und zu groß, aber genau das macht die Stadt aus", sagt Rust, die selbst seit 16 Jahren in Schöneberg wohnt: "Eigentlich bin ich ein Fall für die Seite 3 in der 'Süddeutschen'. Ich bin in Berlin noch nie umgezogen."
Braucht sie ja jetzt auch nicht mehr: "Stadt, Rad, Hund" ist ein prima Umzugsersatz. Im vergangenen Jahr liefen die ersten fünf Folgen (in der RBB-Mediathek ansehen), jetzt kommen noch einmal sechs hinzu (donnerstags um 22.15 Uhr) – unter anderem mit Daniel Brühl, Sarah Wiener, Hanns Zischler, Kardinal Woelki, der Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe Sigrid Nikutta, Friseur Frank Schäfer und Künstler Yadegar Asisi.
Erfunden hat die Sendung die frühere RBB-Redakteurin Christiane Jontza, erzählt Rust: "Sie hat mich gesehen, wie ich auf dem Rad vorne mit Elli im Korb am Hauptstadtstudio angekommen bin, um eine Sendung aufzuzeichnen, so wie ich eben seit Jahren durch diese Stadt fahre, und da entstand die Idee."
Ungewöhnlich ist "Stadt, Rad, Hund" auch deshalb, weil vier Gäste für 45 Minuten ein ordentliches Tempo vorgeben. Manchmal geht alles ganz schnell und nach wenigen Minuten sitzt Rust schon wieder auf dem Rad, obwohl die Treffen natürlich deutlich länger dauern und man meistens gerne noch weiter zuhören würde. Im Schnitt besteht die Herausforderung darin, das Gespräch auf den Punkt zu bringen. Und Szenen drinzulassen, die es besonders machen: eine unerwartete Pause, eine unerwartete Pointe, einen ironischen Schlagabtausch.
Rust sagt: "Natürlich ist es auch wichtig, zu erkennen: Ist das ein wohlwollender, ein vorsichtiger, ein nervöser Mensch? Aber der Humor ist mein Vehikel."
Tatsächlich bekommt Rust das Kunststück hin, mit den Leuten keine klassischen Interviews zu führen, in denen eine Frage nach der nächsten abgearbeitet wird – sondern Gespräche. Wie sie eben so passieren, wenn sich zwei Menschen und eine Mischlingshündin zum Kaffee treffen. "Ich will nicht dieselben Fragen zum hundertsten Mal stellen. Wenn ich merken sollte, dass ein Gesprächspartner von selbst in diesen Automatismus reinkommt und Sätze sagt, die er immer in Interviews abspult, dann werde ich versuchen, ihn behutsam von dieser Schiene wegzubringen. Die meisten gehen mit."
"Stadt, Rad, Hund" gehört zu den Sendungen, die Hoffnung machen, dass die Dritten endlich begriffen haben, wie viel zeitgemäßer sie ihre Programme gestalten müssen, um Zuschauer altersübergreifend anzusprechen. Ausgerechnet der nicht gerade üppig gebührengesegnete RBB lässt derzeit mit Impro-TV-Sendungen von Radiomoderator Chris Guse, neuen Talks wie "Hunderter Bus" oder "Thadeusz und die Beobachter" sowie Shows wie "Weltall. Echse. Mensch." eine deutliche Bereitschaft zum Experimentieren erkennen. Das ist ein allererster notwendiger Trippelschritt. Selbst wenn sich der Mut nicht immer gleich in den Quoten niederschlägt.
Auch große Landesrundfunkanstalten wie der WDR, der nach öffentlich ausgetragenem Zoff jetzt doch wieder mit der Kölner Bildundtonfabrik zusammenarbeitet, um eine junge Ensemble-Comedy auf die Beine zu stellen, scheinen das erkannt zu haben. Wenn sich das rumspricht, machen die Dritten am Ende noch den explizit zu Experimentierplätzen umgebauten Digitalkanälen Konkurrenz.
Und das Vorurteil: stimmt nicht.