Axel Kühn© RTL II
Die erdachte Wirklichkeit, die derzeit in der Daytime große Erfolge feiert, sorgt für Kopfzerbrechen. Auch die Fernsehmacher selbst stehen dem Genre skeptisch gegenüber. "Ich hoffe, dass es uns gelingt zu vermeiden, das Rad der Scripted Reality zu überdrehen", sagte Axel Kühn (Bild), Geschäftsführer von Shine Germany, am gestrigen Freitag in Köln während der Veranstaltung Factual Entertainment Summit, die Shine gemeinsam mit der HMR International in den Studios der MMC veranstaltet hat.

Eyeworks Germany-Chef Oliver Fuchs kann die Sorge nicht wirklich teilen. Angst müsse man nicht haben, da diese Programmfarbe lediglich den Nachmittag betreffe. "In der Primetime brauchen wir das nicht", so der Produzent von Sendungen wie "Schwiegertochter gesucht" und "Rachs Restaurantschule" zuversichtlich. Es gebe noch genügend echte Geschichten, die bislang unerzählt seien.

Das Programmphänomen, mit dem unter anderem RTL im Tagesprogramm die Quoten in die Höhe treibt, scheint abseits der Quotenbegeisterung auch den Fernsehmenschen nicht allzuviel Freude machen. So sieht Florian Falkenstein, Vice President für Reportage und Facutal Events bei ProSiebenSat.1, eine Verführung, dem Ruf nach immer stärkeren Plots zu erliegen. "Wir müssen schauen, dass wir unsere eigenen Formate nicht ad absurdum führen", so seine Warnung. Denn so bestehe die Gefahr, dass sich der Zuschauer abwende.

Allerdings haben die Fake-Dokus bei ProSieben auch nicht funktioniert. Es waren die RTL-Formate "Familien im Brennpunkt" und "Verdachtsfälle", die ProSieben im Sommer vergangenen Jahres den durchaus ordentlichen Nachmittag streitig machten. ProSieben probierte es mit me too und ging mit Formaten wie "Das Internat – Emma bloggt" unter.

"Man hätte es nicht unversucht lassen dürfen", verteidigte Falkenstein die Formate und fügt fast schon erleichtert hinzu, dass der ProSieben-Zuschauer zum Glück einen anderen Geschmack habe. Eine Lösung für die Programmbaustelle am Nachmittag hat man noch immer nicht gefunden. Die Suche gehe weiter, so Falkenstein. Aber bei ProSieben wolle man lieber auf die "wirkliche Wirklichkeit" setzen.

Verwundert zeigte sich Falkenstein darüber, dass ihm für ProSiebenSat.1 von den Produzenten erstaunlich wenig Eigenentwicklungen angeboten würden. Stattdessen setze man lieber auf Lizenzformate oder entsprechende konzeptionelle Abwandlungen. Ein gewisser vorauseilender Gehorsam gegenüber den Sendern, die das Risiko möglichst gering halten wollen, ist dabei wohl auch mit im Spiel.

Doch bei allem Bewährten und erfolgreichen Factual-Entertainment-Programmen von "Bauer sucht Frau" bis zum Schuldenberater: Wie es weitergehen wird, darüber herrscht noch große Ratlosigkeit. Fraglich ist, was nach all der Kuppelei, dem Gecoache und Herumumdekorieren kommen soll. Vor allem beim WDR macht man sich derzeit auf die Suche nach neuen Formen.

"Wir brauchen einen neuen Twist, wie wir neue Geschichten aus diesem Land erzählen können", sagte Heiner Backensfeld, der die beim WDR neugegründete Abteilung Dokumentarische Unterhaltung leitet.  Die Verknüpfung von Information und Unterhaltung solle im WDR in neuen Gefäßen - abseits bereits bekannter Erzählformen - stattfinden. "Wie die aussehen, weiß ich auch noch nicht", so Backensfeld. Seine grobe Eingrenzung: "Alles, was bei der BBC läuft, könnte ich mir auch bei uns vorstellen".

Während man bei RTL derzeit mit erfolgreichen Programmen also recht gut bedient ist, scheint es bei den Öffentlich-Rechtlichen Bedarf zu geben. Shine Germany-Chef Axel Kühn stellt einen gewissen "Auffrischungsprozess" bei ARD und ZDF fest, der für Produzenten durchaus spannend sei. Auch wenn WDR-Mann Backensfeld die Tendenz bestätigen kann, so warnt er jedoch davor, die Erwartungen zu hoch zu schrauben - schließlich gehe es nicht darum, Programme um jeden Preis umzusetzen.

Das in sich recht spannende Panel endete dann übrigens, wie solche Panels meistens enden: Mit einem gegenseitigen Appell zu mehr Mut und der Forderung, gemeinsam kreativer zu sein. Auf das man die Scripted Reality in der Primetime wirklich nicht brauchen wird.