Sah sich WDR-Intendantin Monika Piel in ihrer Zeit als ARD-Vorsitzende noch am liebsten in der Rolle des energischen Mittelstürmers, so spielte Lutz Marmor in seiner Amtszeit eher unauffällig über die Außenseiten - und überraschte mit gelegentlichen Steilpässen. Bei ihrer Antrittsrede am Montag in Leipzig wurde deutlich, dass MDR-Intendantin Karola Wille in ihren zwei Jahren an der Spitze der Arbeitsgemeinschaft der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (kurz: ARD) eine beinahe vergessene Rolle übernehmen möchte: Sie ist Libero. In der Verteidigung zuhause, um Angriffe gegen den Senderverbund abzuwehren und selbst wieder in die Offensive zu schalten
„Die See ist rauer geworden“, sagt Wille und greift die maritime Sprache ihres Amtsvorgängers Lutz Marmor auf. "Unser Vorsitz fällt in eine Zeit enormer Herausforderungen für die Gesellschaft, die Politik, die Medien - und besonders für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, erklärte sie am Montagmittag in Leipzig. Besorgt zeigt sich Wille über eine Polarisierung der Interessen in unserer Gesellschaft, eine Erosion von Wertevorstellungen und eine gesteigerte Gewaltbereitschaft. Vor diesem Hintergrund gebe es einen „immensen Bedarf an Qualitätsjournalismus“. Um die Stabilität in der Gesellschaft zu gewährleisten, müsse man verlässlich erklären und Werte vermitteln - und dabei als Impulsgeber einen offenen Meinungs- und Willensbildungsprozess gewährleisten.
Ihre Antrittsrede als neue ARD-Vorsitzende umfasste im Wesentlichen drei Leitgedanken. An erster Stelle steht für Wille „Glaubwürdigkeit und Dialog“. Dazu gehöre Transparenz - im geschäftlichen wie journalistischen. Sie greift die kritische Stimmung gegenüber vielen Medien auf: „Wir müssen an einer Fehlerkultur arbeiten, die Fehler akzeptiert, korrigiert und kommuniziert.“ Später vertieft sie das auf Nachfrage auch für die ARD: Ob allein ein Blog von ARD Aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke der richtige Ort für die Korrektur von Fehlern sei, müsse man überdenken. Mehr als nur einmal wirkt Karola Wille an diesem Mittag in Leipzig zögerlicher, nachdenklicher als etwa Marmor oder Piel. Zweifel sind bei ihr erlaubt. So sorgt sie sich über die Darstellung des Ostens Deutschlands in den Medien, auch im ARD-Verbund.
Überraschend deutlich beklagt sie, dass der Osten der Republik derzeit nur über Rechtsradikalismus wahrgenommen werde und dies den Menschen im MDR-Gebiet nicht gerecht werde. Wille hat weitere Kritikpunkte: In der Berichterstattungen über Herausforderungen wie etwa die Flüchtlingskrise dürfe es keine Diskrepanz geben zwischen den Dingen, die man erlebt und dem, was die Medien darüber berichten. "Um das Vertrauen in ein gemeinwohlorientiertes, unabhängiges und solidarisch finanziertes Mediensystem weiterhin zu festigen, brauchen wir die Abbildung der Lebenswirklichkeit der Menschen. Dazu müssen wir differenzierende Perspektiven einnehmen und uns ausdrücklich auch außerhalb von 'Mainstreamkorridoren' und der gängigen politischen Agenda bewegen", sagte Wille. Doch der von ihr gewünschte Dialog zwischen Menschen und Medien hat Grenzen, wenn Hass und Gewalt ins Spiel kommen. Oftmals würde Unmut auch auf Unkenntnis der Arbeitsweise von Medien fußen. Wichtig ist laut Wille deshalb, Medienkompetenz in einer ganz neuen Dimension zu vermitteln.
Der zweite Leitgedanke ihrer Antrittsrede widmet sich dem tiefen und rasanten Umbruch der Medien. Durch intensiveren Wettbewerb mit Netflix und Facebook, die sie beispielhaft nennt, müsse sich die ARD verändern und in der konvergenten Medienwelt crossmediale Möglichkeiten stärker nutzen. Gemeint ist damit etwa das gemeinsame Jugendangebot von ARD und ZDF. Wille erinnert daran, dass vor dem Sendestart des Kinderkanals auch niemand an den Erfolg des Angebots geglaubt hätte. Und nun ist er die Nr.1 im Kindermarkt. Veränderungen braucht es laut Wille in den Mediatheken - und das sowohl inhaltlich als auch strukturell. Inhalte sollten so lange wie rechtlich möglich online bleiben. Hier gebe es oft noch Spielräume auszuschöpfen und auch die Auffindbarkeit von Inhalten ließe sich in den ARD-Onlineangeboten noch deutlich verbessern. Ein klares Bekenntnis gilt dem Radio: „Wir glauben an die Zukunft des Radio als Gattung“, erklärt Wille am Montagmittag in Leipzig.
Crossmediale Zusammenarbeiten kann sie sich auch mit privaten Verlagshäusern vorstellen - ein Klassiker-Thema, das schon seit über zehn Jahren gewollt aber selten gekonnt umgesetzt wurde. Besonders im IT-Bereich sieht die ARD-Vorsitzende übrigens auch mögliche Synergien innerhalb des Senderverbundes - sei es bei der Anschaffung aber auch der Vereinheitlichung der technischen Infrastruktur. Das klingt gut, aber auch genau nach dem, was man so sagt, wenn es keine konkreten Ansatzpunkte gibt. Eine der wenigen klaren Aussagen gab Wille auf die Frage von „Handelsblatt“-Kollege Kai-Hinrich Renner nach der Bedeutung der Olympischen Spiele für die Öffentlich-Rechtlichen und besonders die ARD. Olympische Spiele, die nicht in der ARD stattfinden, seien "schwer vorstellbar", so Karola Wille über den zu erwartenden Erwerb von Sublizenzen von Discovery.
Der dritte Leitgedanke von Karola Wille ist eher ein Wunsch und fiel auch deutlich kürzer: Man müsse die Rahmenbedingungen für Innovation und Kreativität schaffen. „Die ARD hat das Potential ein Entwicklungslabor zu sein“, so Wille. Sie verweist auf konstruktive Gespräche etwa mit der Produzentenallianz über die Vergütung von kreativen Leistungen. Am Ende einer sehr offenen, aber wenig konkreten Rede bilanziert Wille: „Wir brauchen diese Veränderungen damit wir bleiben was wir sind: Ein Stück weit unverzichtbar.“ Da ist es, das leise Angriffsbestreben des Liberos. Doch vorerst wird sie noch mit der Verteidigung und Klärung beschäftigt sein. Es ist die Chance der Karola Wille eine gewisse Selbstbesoffenheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch eine nachdenklichere, differenzierte Beschäftigung mit eigenen Leistungen und Fehlern abzulösen.