Für die Ankündigung des ersten TV-Interviews seit seiner spektakulären Flucht wurde der NDR bzw. die ARD am Wochenende bereits gefeiert. Es ist tatsächlich ein Coup. Am Sonntagabend ging das Interview dann auch über den Sender - eingeleitet durch eine Diskussionsrunde bei „Günther Jauch“ allerdings erst am späten Abend. Niemand verstecke Edward Snowden so gut wie die ARD, wurde am Wochenende zu einem via Social Networks schnell verbreiteten Scherz, dessen Urheber kaum auszumachen ist. Doch warum sollte es bei Snowden anders sein als so oft in der ARD bzw. dem Ersten: Das Gute kommt meist sehr spät.
Aber nein, die Uhrzeit der Ausstrahlung dieses am vergangenen Mittwoch aufgezeichneten Gesprächs ist nicht die spannendste Frage, die sich stellt. Weitaus merkwürdiger ist, warum der NDR diesen weltweit beachteten Coup nicht international nutzt indem das Snowden-Interview auch auf englisch veröffentlicht wird. Via Twitter teilt der Norddeutsche Rundfunk am Sonntagabend zunächst kurz und knapp mit: Die englischsprachigen Rechte lägen bei der Produktionsfirma. Auf einer eigens eingerichteten Website mit naheliegenden Fragen zum Snowden-Interview heißt es ebenfalls:
Wird die unsynchronisierte Fassung online gestellt?
„Eine Fassung im Original-Ton können wir selbst leider nicht anbieten, weil wir dafür nicht über die erforderlichen Rechte verfügen.“
Wer ist bloß diese Produktionsfirma, die dem NDR keine englischsprachigen Rechte am Snowden-Interview abtreten will, obwohl die ohne jeden Zweifel förderlich wären, um den journalistischen Coup des NDR auch weltweit zur Geltung zu bringen? Die ARD-Pressestelle selbst spricht öffentlich bedauernd von einem "Rechte-Problem". Also welche Firma ist es nun, die bei den Rechten am Interview so einen Ärger macht? Die Antwort auf diese Frage ist irritierend. Auf Nachfrage des Medienmagazins DWDL.de bestätigt der NDR am Sonntagabend via Twitter: Produziert wurde das Snowden-Interview von der Produktionsfirma CineCentrum.
Diese in Hamburg, Berlin und Hannover ansässige Firma CineCentrum ist eine 100-prozentige Tochterfirma des Produktionsriesen Studio Hamburg. Und Studio Hamburg ist über die NDR Media GmbH eine 100-prozentige Tochter des Norddeutschen Rundfunks. Das wirft unmittelbar die Frage auf: Warum verweist der NDR auf die berechtigte Nachfrage, warum es keine englische Fassung dieses Interviews gibt, auf den Produzenten - wenn es doch eine NDR-Tochter ist? Eine Rückfrage des Medienmagazins DWDL.de an den NDR ist bislang unbeantwortet.
Eine Tochter des Norddeutschen Rundfunks produziert also das Snowden-Interview, aber stellt dem NDR dann nicht die englischsprachige Fassung zur Verfügung? Das ist mindestens kurios. Genauso absurd: Laut ARD-Pressestelle, die das bedauert, habe der NDR auch bei der deutschsprachigen Interview-Fassung nur begrenzte Rechte erworben, was im Klartext bedeutet: Aus dem Ausland gibt es auch keinen Zugriff auf die online zur Verfügung gestellte, synchronisierte Fassung des Snowden-Gesprächs.
Das Snowden-Interview markiert - auf einem Nebenschauplatz abseits der inhaltlichen Aussagen Snowdens - damit einen neuen Höhepunkt in der Fragwürdigkeit der seit vielen Jahren massiv kritisierten Töchterfirmen-Netze der Öffentlich-Rechtlichen. Zu welchen Konditionen verkauft eigentlich eine NDR-Tochter dem eigenen Mutterhaus ein Interview? Wer hat da eigentlich wem etwas zu sagen? Wie kann es sein, dass der NDR sich von der beauftragten Firma die Rechte vorschreiben lässt? Und wie sinnvoll ist ein solches Konstrukt, dass den zunächst so spektakulär klingenden Coup eines Exklusiv-Interviews mit Edward Snowden letztlich zum geo-begrenzten Regional-Spektakel macht?
Man könnte annehmen, der NDR bzw. die Tochter CineCentrum will über eine internationale Vermarktung des geführten Interviews noch einige Euros dazu verdienen. Das wiederum könnte man dann wohlwollend betrachten und als Kostenreduzierung für den Gebührenzahler betrachten. Nur ist dieses Zubrot wirklich diese journalistische Selbstbeschneidung des NDR wert? Oder will man sich das aufsparen für die Verwertung im Rahmen einer angekündigten Dokumentation? Wenn dem so wäre, warum nur erwähnt man das nicht offen, wo man doch bereits extra eine FAQ-Seite zum Interview eingerichtet hat, die scheinbar jedoch zu viel unbeantwortet lässt. Hinter all dem muss also kein Skandal stecken. Mindestens aber eine extrem schlechte Kommunikation innerhalb der ARD.
Update, Montag 11 Uhr: Antworten gab es noch nicht, aber der NDR hat uns gegenüber telefonisch angekündigt, sich im Laufe des Tages zu dem Thema zu äußern. Unterdessen steigt der Unmut über die fehlende Verfügbarkeit des Interviews außerhalb Deutschlands und der fehlenden englischen Originalfassung auch unter NDR-Mitarbeitern: Der Twitter-Account @NDRRecherche fragt zur Belustigung der Twitter-Gemeinde in der vergangenen Nacht, ob das Video des Interviews eigentlich auch außerhalb Deutschlands funktioniert. Und Ariana Reimers, NDR-Korrespondentin in China, nennt die Situation "unbefriedigend".
Update, Montag 14 Uhr: Der NDR hat sich auf die Fragen des Medienmagazins DWDL.de hin gemeldet und erklärt. Mehr dazu haben wir in einem neuen Artikel zusammengefasst.