Am Anfang steht Kommissar Faber auf einer einsamen Landstraße. Er sieht einen Wagen, der vor einen Baum gesetzt wurde, er sieht eine Frau mit einem Kind, die sich von ihm entfernt. Plötzlich hupt es. Faber steht mitten auf der Straße, doch er reagiert nicht. Der wütende Autofahrer macht einen großen Bogen um ihn, und auf einmal ist die Landstraße leer. Kein Auto am Baum, keine Frau mit Kind mehr. Nur noch Faber, der wirkt, als sei er nicht von dieser Welt.
Später wird man erfahren, dass die Landstraße jene ist, auf der Fabers Frau und Kind zu Tode kamen. Ein Unfall, sagen die Akten, aber Faber glaubt das nicht. Auf dem Beifahrersitz ist Blut, das dort nicht sein dürfte, da sind Hämatome am Rücken seiner toten Frau. Da ist so einiges, das Faber zu dem gestörten Menschen werden lässt, der Schreibtische und Autos zertrümmert, der öfter mal am Boden hockt wie ein zitterndes Kaninchen, der aber trotzdem immer wieder kluge Beiträge zum Fortgang der Mordermittlungen liefert. Diesmal ist eine 16-Jährige tot aufgefunden worden. Am Dortmunder Phönix-See. Sie stammt aus eher ärmlichen Verhältnisse, aber sie trug einen teuren Fummel. Sie wollte hoch hinaus, und dann endete ihr Leben im Wasser.
Es gab nach den ersten Folgen des Dortmunder „Tatort“ schon früh Stimmen, denen das mit Fabers Verstörung zu viel wurde. Allen Ernstes fragte ein Mitglied des WDR-Rundfunkrates die damalige Intendantin in einer öffentlichen Sitzung, ob es denn sein müsse, dass Faber auf dem Dach eines Autos stehe und dieses mit einem Baseballschläger zertrümmere. Abgesehen davon, dass solch ein Einwand wieder einmal belegte, was für eine Laienspielschar der Rundfunkrat ist, zeigte es vor allem, dass der Dortmunder „Tatort“ seinen Zuschauern ordentlich etwas abverlangt. Dies ist kein einfacher Krimi für simple Gemüter, denn er verwebt so viele Handlungsstränge miteinander, dass einem beim Zusehen schnell schwindelig werden kann.
Die Kamera wackelt in einem fort, und wenn es dann zwischendrin auf eine kleine Verfolgungsjagd geht, verschwimmt das Geschehen vor dem Auge des Betrachters gleich völlig. Das muss man aushalten, wenn man mitkriegen will, wie die Vier vom Dortmunder Revier so einen Fall getrennt recherchieren, aber gemeinsam lösen. Da trifft es sich gut, dass nicht nur Faber Probleme hat.
Da ist das junge Ermittlerpärchen, das etwas miteinander hat und um Geheimhaltung bemüht ist, obwohl jeder weiß, dass da was läuft. Da ist die gestandene Kommissarin, die sich bei Stress von einem Callboy beglücken lässt. Und da ist Faber, der Chef.
Jörg Hartmann spielt diesen Faber, der einem rasch auf die Nerven geht, mit großer Präsenz. Faber ist wahnsinnig. Er schaut mit leeren Augen auf eine ihm völlig fremde Welt. Das wird überdeutlich gezeigt. Dann rastet er wieder aus und zertrümmert ein Waschbecken im Polizeipräsidium. Jeder andere würde für so etwas suspendiert, aber Faber ist zu gut in seinem Job, als dass man ohne ihn auskäme.
So gut wie Faber ist auch Hartmann, den man kürzlich noch hasste, weil er in „Weissensee“ so eindringlich ein Stasischwein spielte. Es spricht für Hartmanns Schauspielkunst, dass man nicht eine Sekunde an dieses Stasischwein denkt, dass man ihm vom ersten Moment an den durchgeknallten Ermittler abnimmt. Besonders bedrückend wirkt das, wenn er mit der von Anna Schudt fein gespielten Kollegin Martina Bönisch mögliche Tathergänge nachstellt. Da verschwimmen die Übergänge zwischen gespielter und echter Aggression. Man fürchtet, dieser Faber könne ihr wirklich etwas antun.
Dieser „Tatort“ zeigt zudem eine besondere Regieleistung von Andreas Herzog, der gemeinsam mit Kameramann Ralf Noack große Bilder von beeindruckender Lebensnähe zeigt. Der Film belegt aber auch, dass Jürgen Werner ein großartiger Autor sein kann, auch wenn er am vergangenen Sonntag bei „Schimanski“ einer eher mauen Vorstellung die Grundlage vorgeschrieben hat. Werner legt diesen dritten Dortmunder „Tatort“ deutlich als Beschreibung des Ermittlerteams an und gibt dem Affen dabei reichlich Zucker. Der Tod der 16-Jährigen tritt da eher in den Hintergrund, er liefert allenfalls die Bühne, auf der das Quartett fein tänzeln darf.
Werner liefert auch feine ironische Momente. Wo keiner ganz dicht ist, kommt es immer wieder zu beeindruckenden Dialogen, die ihren Witz vor allem in der Beiläufigkeit tragen. Als Faber etwa wissen will, ob es in Dortmund eine Schickeria gebe, antwortet Bönisch: „Das sind die, die die Bratwurst mit Messer und Gabel essen.“ Danach geht es direkt weiter. Niemand wartet auf den Pointenapplaus. Atemlosigkeit ist hier Programm, weil Besinnung die Kommissare zu ihrem Selbst führen würde, und genau dem wollen sie lieber nicht begegnen.
Am Ende ist viel Porzellan zerschlagen, und so ganz nebenbei wurde auch der Tod der 16-Jährigen aufgeklärt. Bis dahin war nicht alles zu verstehen, weil vieles weg genuschelt wird. Gegen das, was dieses Team sich hier zurecht nuschelt, ist Til Schweigers Vortrag eine akzentuierte Rede im britischen Oberhaus. Aber das Nuscheln ist Programm. Es spiegelt den Alltag, in dem man auch nicht jeden Satz bis in die kleinste Verästelung versteht.
Aber vielleicht ist das mit dem Nuscheln gar nicht unbedingt der Bemühung um Realitätsnähe geschuldet. Vielleicht wollen die wackeren Kommissare einfach nur den WDR-Rundfunkräten wieder mal Munition für eine weitere dusselige Frage liefern. Und sich dann amüsieren, wenn sie tatsächlich gestellt wird.