Normalwerweise staubt Steffen Hallaschka im RTL-Magazinmuseum von "stern tv" die Moderationskärtchen ab. Insofern muss es ihm eine willkommene Abwechselung gewesen sein, am Montagabend das längst verteilte Erbe von Ulrich Meyer und Olaf Kracht als Krawallonkel vom Dienst anzutreten und durch eine der wenigen Sendungen zu führen, die nicht schon seit 22 Jahren im RTL-Programm laufen. Sondern nach 22 Jahren zum ersten Mal wieder. Am Ende hat er mit Rückkehr gedroht: "Wenn Deutschland streitet, sind wir zugegen!"
Aber das mit dem Streiten war in der knappen Stunde zuvor gar nicht so einfach. Denn wie soll das mit einem Gast gehen, der jegliche Auseinandersetzung verweigert, so lange sich nicht der komplette Saal bedingungslos seiner Grundposition ergeben hat?
Immerhin wissen wir jetzt, wie "Der Heiße Stuhl" zur Wiederpremiere auf seine Temperatur gekommen ist. "Der umstrittene Buchautor" und Erstplatznehmer Thilo Sarrazin hat sich auf sein einziges mitgebrachtes Argument draufgesetzt und es so lange warmgewalzt, bis die Sendezeit vorüber war. "Ich schüre keine Ängste, ich nenne Fakten!", behauptete Sarrazin mit dauerverschränkten Armen, um fortlaufend eine Statistik zu zitieren ("Es ist ein statistisches Faktum!"), die sich in der laufenden Sendung nur schwer überprüfen ließ, weil Sarrazin die meiste Zeit anderen vorwarf, sie zu ignorieren, "damit Sie weiter in ihrer Scheinwelt leben können!"
In der Scheinwelt von RTL mag es nach einer guten Idee geklungen haben, den erfolgreichen Zoff-Talk aus den 90er Jahren zu reaktivieren, um mal wieder ein bisschen Tempo ins träge Programm mit den knuffigen Bauern und den onkeligen Quizmastern zu kriegen. Am Montag verordnete sich der Sender deshalb prompt einen ganzen "Thementag Innere Sicherheit" und ließ Birgit Schrowange in einem "Extra Spezial" bereits eine halb dokumentarische und halb gruselfilmige Aufarbeitung der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht vor einem Jahr anmoderieren – oder wie's auf Schrowangisch hieß: "Die Mädchen und der Mob."
Während die Reportage einige durchaus interessante Erklärungsansätze dazu lieferte, wie die Situation vor dem Hauptbahnhof dermaßen außer Kontrolle geraten konnte (wenn gerade mal nicht dramatische Musik zu wackeligen Helmkamera- und Smartphone-Bildern lief), war die Diskussionsrunde im RTL-Hauptstadtstudio anschließend vollends damit beschäftigt, bloß keine gemeinsame Diskussionsgrundlage zu finden.
Zündeln oder besänftigen?
Die muslimische Publizistin Khola Maryam Hübsch musste sich vom Studiopublikum dafür auslachen lassen, aus dem Koran zitieren zu wollen; Schauspielerin Annabell Mandeng versuchte in zwei Anläufen, an eine gut geduckte Grundvernunft zu appellieren; Grünen-Politiker Kai Gehring wollte "keinen Generalverdacht" gegen Flüchtlinge äußern; und Arnold Plickert von der Gewerkschaft der Polizei argumentierte, die Eskalation von Köln sei für die Polizei "nicht planbar" gewesen. Während Sarrazin auf seinem heißen Stuhl sein Argument immer noch ein bisschen platter saß: dass muslimische junge Männer deutlich häufiger an Straftaten beteiligt seien als andere. Arme verschränkt. Basta.
Die Leitfrage, "Wie sicher ist Deutschland?", war unter diesen Voraussetzungen (und vor einem riesigen Studiograben zwischen den beiden Seiten, siehe oben) freilich nicht zu klären. Zumal sich Moderator Hallaschka noch dazu nicht entscheiden konnte, ob er nun eher zum Zündeln da war – oder doch dafür, acht zu geben, dass zwischendurch auch noch mal jemand alleine zu Wort kommt.
Es war eine erschöpfende Stunde, die in keinerlei Hinsicht zur Perspektiverweiterung auf einer der beiden Seiten beigetragen haben dürfte. Vielleicht passt eine Sendung wie "Der heiße Stuhl" aber auch einfach nicht mehr in die aktuelle Zeit, in der sich Kommentatoren in den sozialen Medien permanent selbst neue Feuerchen unter ihren Hintern machen. Sich das Ganze nochmal im Fernsehen anzuschauen, verliert da doch deutlich an Reiz. "Sie sind ein postfaktischer Angstmacher!", sagte Grünen-Politiker Gehring zu Sarrazin, und der sagte zurück: "Sie haben doch keine Ahnung!" Wenn Deutschland so streitet, kann sich RTL demnächst die Heizkosten sparen und den Stuhl ruhig wieder kalt lassen.