Charlie Brooker ist hauptberuflich Skeptiker, Zuvieldenker, Spielverderber. Und erledigt diesen Job mit beängstigender Präzision. Vor fünf Jahren hat der britische Moderator und Autor die Fernsehreihe "Black Mirror" erfunden, eine Sammlung abgeschlossener Geschichten, die meist in der nahen Zukunft spielen und unserer Mediengesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes den Spiegel vorhalten – bloß dass der, wie der Titel schon sagt, schwarz ist. Wie die Monitore und Smartphone-Displays, auf die wir täglich starren.

"Black Mirror" erzählt vermeintliche Alltäglichkeiten, die zur Bedrohung von Freiheit und Selbstbestimmung werden, weil an einer entscheidenden Stelle etwas schief gelaufen ist mit uns und den Medien, die wir obsessiv konsumieren und über neue Technologien mitgestalten. Technik bereichert und vereinfacht unser Leben, kann aber genauso leicht missbraucht und gegen ihre Nutzer verwendet werden; sie führt Menschen zusammen und hetzt sie gegeneinander auf. Die Frage ist, ob wir uns auf diesem schmalen Grat wirklich sicher bewegen. Und was passiert, wenn wir die Augen zumachen.

Letztlich geht es in der ein oder anderen Form immer um eine Urangst der Menschen: darum, die Kontrolle zu verlieren. Und zwar nicht in einer fernen Zukunft, wenn die Maschinen die Weltherrschaft übernehmen. Sondern vielleicht morgen oder in zwölf Monaten, schleichend, von uns selbst verursacht, vielleicht ohne dass wir es merken.

Nichts ist, wie es scheint

Obwohl es bislang nur sieben Episoden gibt, hat die Reihe schon einige bedenkliche Volltreffer gelandet: In der Auftaktfolge ging es 2011 um einen (fiktiven) Premierminister, der mit Hilfe der Wucht der öffentlichen Meinung in den sozialen Medien erpresst wird, Sex mit einem Schwein zu haben. Inzwischen ist bekannt, dass es in der Realität dafür (vermutlich) keine Erpressung gebraucht hat. Die Geschichte des dauereskaliernden Cartoon-Bären Waldo, der gegen das Establishment hetzt und Aussichten hat, ernsthaft in ein politisches Amt gewählt zu werden, hat unübersehbar Parallelen zur Kampagne des cartoonhaften Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Und dass verstorbene Menschen als algorithmusberechnete Klone zurückgeholt werden, um Hinterbliebenen Trost zu spenden, scheint auch nicht mehr unvorstellbar.

Black Mirror - Staffel 3© Laurie Sparham/Netflix

Eigentlich ist das kein Wunder: Denn die Zukunft in "Black Mirror" ist auch deshalb ein solcher Alptraum, weil sie in einer Realität ansetzt, die uns bestens vertraut ist, und diese nur ganz leicht in der Zeit (und ihrer Eskalationsstufe) nach vorne rückt. Weil zwar regelmäßig die Grenzen des Erträglichen überschritten werden. Aber niemals die des Vorstellbaren.

Die dritte Staffel, die an diesem Freitag weltweit bei Netflix Premiere feiert, betont das noch stärker als die beiden vorigen. Die Genres mögen sich unterscheiden, manche Episoden spielen mit Horror-Elementen, andere sind fast als klassische Kriminalgeschichte erzählt, einmal scheint es um eine Coming-of-Age-Geschichte zu gehen. Alle haben sie jedoch gemeinsam, das nichts ist, wie es scheint.

Ein kalkulierter Kontrollverlust

"Nosedive" spielt in einer Welt, die vollständig in Pastellfarben und Oberflächlichkeiten abgesoffen ist, und in der alle nur noch um die Aufmerksamkeit ihrer Mitmenschen buhlen, um eine möglichst gute Bewertung für ihren persönlichen "Score" zu erhalten, an den die Vorzüge des Lebens gekoppelt sind. "Playtest" fragt eindrucksvoll, was passiert, wenn sich unser Verstand sich nicht an die Regeln halten mag, die sich die Konstrukteure der Virtual-Reality-Techniken ausgedacht haben, die von den Medien gerade ausgiebig gefeiert werden. "Hated in the Nation" hat sogar eine Spielfilmlänge Zeit, um sich auszumalen, wie der Hass in den sozialen Netzwerken zur unbeherrschbaren Waffe werden kann. Und "San Junipero" kriegt das Kunststück hin, eine Zukunftsvision zu erzählen, die in der vermeintlich vertrauten Vergangenheit spielt – mit "Bubble Bobble", Max Headroom und INXS.

Black Mirror - Staffel 3© Laurie Sparham/Netflix

Einige der Geschichten lassen ihre Zuschauer sehr lange im Unklaren, worum es ihnen tatsächlich geht; einmal verschiebt sich erst in der allerletzten Minute vor dem Abspann die Perspektive des Zuschauers grundlegend durch eine neue Information. Das ist ein ziemlicher Schock, der einem erst bewusst wird, wenn der Monitor längst wieder schwarz ist – und im besten Fall großartiges Fernsehen, das seinen Zuschauern auch im Nachhinein noch zur Beschäftigung mit dem Gesehenen zwingt.

Die Smombiekalypse kommt!

Manchmal führt es aber auch dazu, dass eine Dystopie so lange geheimnisvoll um sich selbst kreist, dass nachher kaum Zeit bleibt, die arg simple Grundidee plausibel zu vertiefen.

Anders gesagt: Im dritten Anlauf hat "Black Mirror" nichts von seiner Wucht eingebüßt, uns mit spukaften Gesellschaftsdystopien davor zu warnen, auch dann noch "Gefällt mir" zu klicken, wenn die Smombiekalypse kurz bevor steht. In mindestens zwei Fällen geht es aber auch ziemlich daneben. Macht nichts, schließlich hat Netflix gleich sechs neue Folgen auf einmal bestellt, doppelt so viele wie der bisherige Auftraggeber Channel 4, der sich mit der zuständigen Produktionsfirma Endemol Shine zuletzt einen öffentlichen Streit um die Reihe lieferte.

Black Mirror - Staffel 3© David Dettmann/Netflix

Der Sender ärgert sich, die Erstausstrahlungsrechte für die neue Folgen wegen eines höheren Netflix-Gebots verloren zu haben, obwohl man die Serie doch zusammen etabliert habe; die Produzenten halten dagegen, dass Channel 4 seit 2013 mit der Beauftragung einer Fortsetzung gezögert habe. Netflix hingegen hat schon eine vierte beauftragt, zumal die älteren "Black Mirror" –Folgen per Video-on-Demand-Abruf auch in den USA zum Nischen-Hit geworden sind.

Tiefgreifendes Menschenmisstrauen

Glücklicherweise ist die Fortsetzung deswegen nicht vollständig durchamerikanisiert worden. Die Basis vieler Geschichten ist weiterhin Großbritannien. Aber natürlich hat sich der neue Auftraggeber ein paar Anknüpfungspunkte mehr für das Publikum im Heimatmarkt gewünscht – und sie auch bekommen. Es gibt amerikanische Schauplätze, amerikanische Charaktere und zahlreiche Darsteller der neuen Episoden sind international bekannt: Jerome Flynn aus "Game of Thrones", Michael Kelly aus "House of Cards", Benedict Wong aus "Marco Polo". Währenddessen darf Kelly McDonald ("Trainspotting", "Stella Does Tricks") als Hauptkommissarin trotzdem ihre schottische Herkunft zelebrieren. Geht in Ordnung.

Was sich Brooker freilich vorwerfen lassen muss, ist der Pessimismus, der seinen Erzählungen zugrunde liegt. Dabei ist der weniger ein grundlegendes Medienmisstrauen als vielmehr ein tiefgreifendes Menschenmisstrauen.

Weil zwar die Technik immer fortschrittlicher wird. Aber eben nicht die Menschen, die sie nutzen – mit all ihren Fehlern, Geheimnissen und Nachlässigkeiten, die ihnen selbst oder anderen zum Verhängnis werden können. Eigentlich stellt "Black Mirror" zwei ganz einfache Fragen: Wollen wir wirklich so leben? Und was folgt eigentlich daraus, wenn die Antwort darauf Nein lautet?

Alle sechs neuen Folgen der dritten Staffel "Black Mirror" sind ab diesem Freitag bei Netflix abrufbar.

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