Neues fasziniert und interessiert, so auch Subscription-Video-on-Demand (SVoD) und zwar Endkonsumenten wie Branche gleichermaßen. Mit Amazon und Netflix haben sich zwei solcher SVoD-Anbieter etabliert, die sich mit exklusiven Auftragsproduktionen oder weitgehend exklusiv eingekauften Lizenzserien abheben wollen. Wie also ticken Amazon und Netflix?
Die naheliegende Neugier auf die Strategie und Pläne sowie neuen Produktionen beider Anbieter ist ungebrochen. SVoD ist einfach unfassbar sexy - das gilt für Medien wie auch Festival- und Kongressveranstalter. „Jemanden von Netflix“ oder „Irgendjemand von Amazon“ zu haben, ist erstrebenswert - sei es für eine schicke Titelstory oder als Programmpunkt. Netflix wie Amazon erleben ein andauerndes, PR-technisches Schlaraffenland: Man reißt sich regelrecht um sie und angesichts der großen Nachfrage von Veranstaltern und Journalisten kann man da wählerisch sein.
Fast wie deutsche Politiker angesichts der Vielzahl an Polit-Talkshows so haben es die beiden SVoD-Anbieter in der Hand zu entscheiden, wo und wie sie auftauchen wollen. Das soll nicht unterstellen, dass sie dies auch ausnutzen. Aber es erklärt eine merkwürdige Situation. Es werden Interviews geführt und Reden gehalten, die durchaus sehr unterhaltsam und kurzweilig sein können, aber keinerlei Neuigkeiten enthalten und lediglich oft gehörte Lieblingsfloskeln in Variation aufwärmen - und doch erliegen erstaunlich viele Journalisten dem Irrtum, gerade wichtige Neuigkeiten erfahren zu haben.
Wenn Netflix und Amazon betonen, wie wichtig kreative Freiheit sei. Wie egal ihnen ist, auf welchen Geräten ihre Dienste genutzt werden. Wenn sie mehr Mut verlangen und all das sagen, dem man egal ob als Journalist und Serienfan nicht einmal widersprechen würde, dann ist das beim ersten Mal erfrischend und inspirierend. Doch mit den Plattitüden touren sowohl Netflix als auch Amazon inzwischen seit mindestens zwei Jahren. Mag das Serienfans nicht weiter stören, so ist es irritierend wie die Branche dies hofiert. Wiederholte Schön-Wetter-Reden und Wohlfühl-Interviews würde man keinem Vertreter der klassischen Fernsehsender durchgehen lassen.
Nun also das Edinburgh International Television Festival. Wie schon ein Jahr zuvor sitzt Roy Price, Head of Amazon Studios, wieder auf der Bühne für einen „Fireside chat“ wie das Programmheft wissen lässt - ein Kamingespräch. Die Tonalität ist damit gesetzt: Es geht nicht um eine journalistische Annäherung sondern viel mehr um einen netten Plausch. Der Saal ist voll bis auf den letzten Platz, selbst auf den Treppen sitzen dutzende Zuhörer. Ob sie gemerkt haben, dass Price exakt das gleiche erzählt wie im Jahr zuvor? Es sind die gleichen Fragen, die gleichen Anekdoten zu Pilotierungsprozess, Big Data und Kreativität. Dazu ein Werbetrailer für die aktuelle Pilot Season. Amazon und Netflix haben freie Bahn.
Muss man deshalb Mitleid haben mit den großen etablierten Fernsehsendern? Nein - und das aus zwei Gründen. Einmal ganz rational: Lineares Fernsehen nutzen jeden Abend - je nach Jahreszeit und Wetter - mehr als 20 oder gar 30 Millionen Menschen in Deutschland. Das sind noch Reichweiten von denen Amazon und Netflix in Deutschland lediglich träumen können. Doch daraus leitet sich ein Fehler ab, der zweite Grund warum man kein Mitleid haben muss mit den etablierten Anbietern: Wenn sie von ihrem hohen Ross aus die neuen SVoD-Anbieter immer wieder abfällig als Nischenprodukt abtun - wie zuvor lange Zeit auch mit YouTube passiert - schieben sie Amazon und Netflix in eine Ecke, in der die sich allerdings sehr wohl fühlen.
So kultiviert Netflix-CEO Reed Hastings beispielsweise in all seinen Interviews und Auftritten immer wieder das sympathische Bild des kleinen unschuldigen Underdogs, der gegen die ganz großen Rivalen antritt. Geschickt greift er damit die Rhetorik der alten linearen Fernsehwelt auf, macht sie sich zu eigen und schmunzelt zufrieden. Es ist eine Steilvorlage der linearen Konkurrenz, die er sehr gerne verwandelt. Und die jedes Mal, wenn er sie wiederholt, garantiert erneut durch die Presse geht. SVoD lebt derzeit noch sehr gut davon, ein sexy Phänomen zu sein. Spannender wäre es aber, es würde von Journalisten und der Konkurrenz nüchterner und sachlicher betrachtet. Das täte beiden gut.