"Herzlich willkommen zum Feuerwerk der Witze hier in der Witzewirtschaft", sagt Mirja Boes am Anfang, und weil um sie herum die Wände so großzügig holzvertäfelt sind und neben Großmütterchens Schrankwand Salzstangen und Käseigel auf Nierentischchen drapiert sind, ist man kurz zu prüfen versucht, ob man beim Umschalten zu RTL Nitro aus Versehen das Jahrzehnt mitverstellt hat. Beim Blick aufs Smartphone ist's dann aber immer noch 2016 und auf dem Bildschirm läuft bloß "die einzige Show, in der sich Talente und Legenden die Bühne und den Bierdeckel teilen".
"Comedy Kneipe" heißt die erste Eigenproduktion, mit der RTL Nitro auch mal im Witzefach punkten möchte, ohne dafür teure Fernsehkulissen aufbauen zu müssen. Folgerichtig wird kurzerhand dort produziert, wo die Lacher noch nicht künstlich vom Band kommen, sondern vom Tresen, und der Floor allenfalls deshalb "shiny" ist, weil einer der Gäste in akuter Bierseligkeit bei seinem aktuellen Getränk daneben gegriffen hat. Dass die dabei im "Weißen Holunder" (so der Name der Kölner Kneipe) produzierte Bierdeckelabrechnung höher sein dürfte als die Produktionskosten, ist ein schöner Nebeneffekt.
Macht ja nix, zumal Boes mit der Genre-Bastardigkeit ihrer Sendung von Anfang an offensiv umzugehen weiß. Ihre "Thekenkraft" stellt die Gastgeberin als "Ina" vor und gestattet ihr: "Du darfst alles machen, außer..." – und der komplette Weiße Holunder brüllt im Chor: "SINGEN!" Als Anspielung auf das Quasi-Vorbild "Inas Nacht" ist das ganz hübsch und wurde im Laufe der Premierensendung gleich mehrmals zelebriert. Wobei sich die Ähnlichkeit der Wettbewerber letztlich in Grenzen hält: In der "Comedy Kneipe" wird zwar auch getalkt, aber im Mittelpunkt stehen besagte "Talente und Legenden", die mit ihren aktuellen Stand-up-Nummern glänzen sollen.
Als Auftakt-"Legende" war Rüdiger "Ja, hallo erstmal" Hoffmann eingeladen, "der TÜV" des deutschen Stand-up-Wesens (sagt Boes), "ohne ihn wäre Comedy im deutschen Fernsehen gar nicht möglich gewesen" (behauptet Boes), "den gibt's gefühlte 150 Jahre schon" (hat Boes nachgerechnet).
Hoffmann hat zum Auftakt "Ja, hallo erstmal" gesagt, das äußerst dankbare Publikum war augenblicklich superhappy, und nachher erklärte der Gast am Nierentischchen dann auch noch, wie ihm das "Ja, hallo erstmal" eigentlich damals eingefallen ist: "Eigentlich war das von mir als schlechtester Anfang, mit dem man auf 'ne Bühne kommen kann, gedacht." Und, tja, was soll man sagen: Hat ganz gut geklappt.
Der eigentliche Zweck der Veranstaltung ist allerdings, drei Nachwuchs-Stand-upper besser kennenzulernen. Lena Liebkind erzählte, dass damit ihr größter Traum in Erfüllung geht: "Ich kann besoffen scheiße reden vor Leuten!" Benni Stark machte Gags über Herrenausstatter. Und Felix Lobrecht war's nicht peinlich, immer als erster über seine eigenen, im Rüdiger-Hoffmann-Tempo vorgetragenen Witze zu lachen. Die quälende Langsamkeit seines Vortrags brachte Gastgeberin Boes glaubhaft auf die Palme und verleitete sie prompt zum eigentlich besten Gag des Abends, der als offizielles Motto aller Vielsprecher anerkannt werden sollte: "Kennst du das, wenn du abends ins Bett gehst und merkst: Ich hab noch gar nicht alle Worte gesagt?"
Der größte Quatsch an dem ganzen Quatsch ist, dass die "Legende" den "Talenten" sagen soll, was sie besser machen können, Hoffmann aber gar keine Lust dazu hatte, und stattdessen einfach superödes Dauerlob verteilte ("Den Mittelteil hätt' ich mir noch viel länger vorstellen können", "Ich würd wirklich sagen: Das war von vorne bis hinten gut, unheimlich gut").
Dass seine Behauptung, dass es "sowas" (die Sendung) "früher" ja gar nicht gegeben habe, ist freilich Vollstuss: "Nightwash" schleust schon seit 2001 Comedy-Nachwuchs durch den Waschsalon, mit wechselnder TV-Ausstrahlungsbegleitung. ProSieben-Zuschauer über 15 erinnern sich vermutlich an den "Quatsch Comedy Club". Und selbst Das Erste hat mit "Nuhr ab 18" seit vergangenem Jahr eine Art Witzetalentförderung im Programm, man kann also mit Gewissheit sagen: Das ist ein uralter Hut. Aber auch völlig in Ordnung, um am Donnerstagabend bei RTL Nitro mal für ein Dreiviertelstündchen abzuschalten, damit anderntags der Wochenendendspurt gelingt.
Zum Absackerin der "Comedy Kneipe" fehlte das übliche Fernsehspektakel dann aber doch ein bisschen. Weil's wirklich arg traurig ist, wenn so ein Abend damit endet, dass Rüdiger Hoffmann quasi sich selbst in jung zum Gewinner kürt, ihm eine Fußmatte schenkt, auf der RatenSiemalwas steht und als Siegesprämie anbietet, sich mal 'ne komplette Show des Favoriten anzusehen und dann ein Video mit ihm für seine Facebook-Seite zu drehen.
Mensch, wär denn nicht wenigstens ein Auftritt im Vorprogramm des Künstlers dringewesen, ohne den Comedy im deutschen Fernsehen gar nicht möglich gewesen wäre? (Oder zumindest: deutlich zackiger.)
"Alle werden supererfolgreich auf jeden Fall", hat Boes nachher noch gesagt und den Sack zugemacht. Vor der Fernsehsperrstunde gab's für alle einen Schnaps auf's Haus und Tischfeuerwerk, in der Fernsehnische muss das Publikum halt bescheiden sein. Als gemütlicher Kölner Gegenpol zur norddeutschen Kneipensendungsschnoddrigkeit kann sich die RTL-Nitro-Variante aber dennoch behaupten. Dass der Sender allerdings zu Protokoll gibt, mit Boes und der Produktionsfirma Norddeich TV anderthalb Jahre an dem Format gearbeitet zu haben, kann nur daran liegen, dass bei der Kreativentwicklung immer ein bisschen zu früh zu tief ins Glas geschaut wurde.
Die belanglosen Talk-Einlagen mit der "Legende" können zum Beispiel locker gestrichen werden, um ein bisschen mehr Tempo reinzukriegen. Zumal alte Rüdiger-Hoffmann-Auftritte von 1987 in Superscheiß-VHS-Qualität, die sich von denen neunundzwanzig Jahre danach kaum unterscheiden, ein echter Stimmungskiller sein können. Anders formuliert: Das war von vorne bis hinten okay, wirklich okay. Nur den Mittelteil, den hätt' ich mir noch viel kürzer vorstellen können.