Nehmen wir das Ergebnis doch gleich einmal vorweg: Artdirector Uwe C. Beyer ist 17 Jahre nach seiner letzten Renovierung des „Spiegel“ eine in der Summe gute Modernisierung gelungen. Ausgabe 19 des Hamburger Nachrichtenmagazins kommt behutsam aber konsequent erneuert daher ohne Stammleser zu irritieren. Obermotto: "Orange is the new red". Ein neues Design allein sorgt zwar kaum für neue Leser, aber es ist eine gelungene Steilvorlage für die Redaktion unter Chefredakteur Wolfgang Büchner, die ihren Teil an der Neuausrichtung in den kommenden Wochen und Monaten beweisen muss. Büchner hatte bereits kurz nach seinem Amtsantritt im vergangenen Herbst Änderungen beim „Spiegel“ angekündigt - die Neugier der Branche war damit geweckt. Über Monate gab es Spekulationen, Berichte und zwischendurch Interviews von Büchner oder Geschäftsführer Ove Saffe. Mit der jetzt erhältlichen Ausgabe des „Spiegel“ sind endlich Fakten geschaffen.
Und die überzeugen - nicht unbedingt einzeln aber in der Summe. Fangen wir beim Offensichtlichen an: Das Cover kommt mit schmalerem Rand und drei weiteren Themen-Teasern am Fuß der Seite daher. Vorbei die Zeiten der Zusatzthema-Banderole in einer der oberen Ecken. Es erleichtert in der Tat den Einstieg in das Heft ebenso wie das überarbeitete Inhaltsverzeichnis (siehe unten), das seinen Namen jetzt auch wirklich verdient: Wie kaum eine andere Zeitschrift teasert der „Spiegel“ alle Themen des Hefts jetzt in ganzen Sätzen an. Wie banal, mag man denken. Doch es hilft enorm. Wo der alte „Spiegel“ erobert werden wollte, bietet sich der neue „Spiegel“ seinen Leser an. Angesichts drohendem Bedeutungsverlust war die hinter der alten Haltung liegende Selbstgefälligkeit ohnehin überholt.
Für Schlagzeilen sorgte in den vergangenen Tagen noch einmal die Ankündigung, dass das Hamburger Nachrichtenmagazin auch meinungsfreudiger werden will. Geschehen soll das künftig zum Beispiel mit einem Leitartikel direkt am Anfang des Heftes hinter Inhaltsverzeichns und Leserbriefen. Auf Seite 12 heißt es zur Premiere „Reden ja, umarmen nein - Wie der Westen die Kräfte des Irrsinns in der Ukraine eindämmen kann“. Es ist ein kluger Text, dem eine Autorenangabe fehlt. Das ist so gewollt, weil diese Leitartikel künftig nicht die Haltung einzelner Autoren sondern die des „Spiegel“ vermitteln soll. Man kann die Idee von Chefredakteur Wolfgang Büchner verstehen - und doch wirkt sie etwas aus der Zeit gefallen. In Zeiten, in denen u.a. auch durch Social Media Autoren zu Marken werden; in denen Köpfe mehr Vertrauen gewinnen als Marken, will der „Spiegel“ sich aufstemmen und genau das probieren: Als Nachrichtenmarke Profil gewinnen.
Es ist auch deshalb kurios, weil man mit zwei neuen Kolumnen weiter hinten im Heft das Gegenteil versucht: Im Politik- sowie Kulturressort schreiben jeweils drei Autoren im wöchentlichen Wechsel ihre persönliche Sicht der Dinge auf. Hier hat man sich von den Online-Kollegen inspirieren lassen - und das nicht nur in der Form. Schließlich sind Jan Fleischhauer und Jakob Augstein schon seit Jahren mit ihren Kolumnen bei Spiegel Online vertreten. Hier also will man ein breites Spektrum an Meinungen gezielt mit Köpfen verbinden - während der Leitartikel künftig entweder der kleinste gemeinsame Nenner der „Spiegel“-Redaktion zu werden droht oder intern ein Zankapfel werden dürfte. Doch das ist ebenso wie die in der Erstausgabe in neuer Optik gar nicht vorhandene aber angekündigte Satire-Seite eine inhaltliche Frage.
Zurück zur Optik des neuen „Spiegel“, die in der Summe von Details ein sehr stimmiges Erscheinungsbild gibt. Eine neue Bildsprache lässt sich zwar nicht direkt ausmachen, weil es einzelne starke Bilder auch bislang schon gab und auch im ersten neuen „Spiegel“ manch andere Bebilderung hingegen auch weiterhin uninspiriert wirkt - etwa bei einer Reportage zur Reisefreiheit in der EU, die anfangs vielversprechend aber am Ende lieblos in Szene gesetzt ist. Auch Texte zu Syrien und der Ukraine (siehe unten) hätte man mit Mut zur Reduzierung intensiver bebildern können als mit einer Vielzahl kleiner Fotos. Doch daran kann man von Woche zu Woche je nach Thema arbeiten und ausbessern. Die grundlegende neue Optik des „Spiegel“ weiß jedenfalls zu überzeugen. Dazu gehören linksbündige Überschriften, weniger rot und dafür mehr orange auf den Seiten, die auch dank verändertem Satzspiegel generell aufgeräumter und klarer wirken. Dazu kommen mehr Infografiken als bisher - auch das macht den neuen „Spiegel“ zugänglicher.
Doch anders als der „Focus“ bei seinem eher missglückten Relaunch im vergangenen Herbst ist die Optik auch mit Infografiken weiterhin klar auf lange Textstücke ausgerichtet. Der „Focus“ wollte zwar inhaltlich erklärtermaßen tiefgründiger werden, hatte sich dafür jedoch ein eher zu Infotainment-Häppchen passendes Layout zugelegt. Diese Schere zwischen Optik und inhaltlichen Vorstellungen gibt es beim „Spiegel“-Relaunch nicht. Eins jedoch hat der „Spiegel“ mit dem „Focus“ gemeinsam: Es war in der Regel nicht das Layout, das im Mittelpunkt von Kritik stand. Es waren die Titelthemen des „Spiegel“, die immer wieder Anlass zu Kritik und Gelächter gaben, weil statt aktueller Relevanz zu oft eine regelrecht merkwürdige Auswahl getroffen wurde, die so gar nicht zu dem investigativen Image passen wollte, das der „Spiegel“ in seiner letzten Imagekampagne zu vermitteln versuchte. Chefredakteur Wolfgang Büchner kann sich zwar mit und für Artdirector Uwe C. Beyer freuen: In Form gebracht ist der „Spiegel“. Die größere Herausforderung für Büchner steht aber noch bevor: Das Hamburger Nachrichtenmagazin auch inhaltlich wieder auf einen relevanteren Kurs zu bringen.