Irgendwann war der Moment gekommen, an dem Conrad Albert seiner Verwunderung Ausdruck verlieh. "Das ist aber eine sehr friedliche Runde", stellte der ProSiebenSat.1-Vorstand sichtlich erstaunt fest. Und tatsächlich kam die gemeinsame Eröffnungsrunde von Anga Com und Medienforum NRW am Dienstag in Köln über weite Strecken hinweg harmonisch daher. Zu harmonisch sogar, möchte man anmerken. Stellenweise schien es, als sei jeder der Diskutanten bloß gekommen, um sich selbst vor versammelter Branche auf die eigene und mitunter auch auf die Schulter der Kollegen zu klopfen. Michael Hagspihl von der Deutschen Teleko lobte sein Entertain-Angebot, Discovery-Chefin Susanne Aigner-Drews den Eurosport-Player und WDR-Intendant Tom Buhrow freute sich aufs Jugendportal, das im Herbst nun endlich an den Start gehen wird.
Die Runde einte eine erstaunliche Gelassenheit, die "Spiegel Online"-Mann Christian Stöcker leider nie so recht aus der Reserve zu locken vermochte. Stattdessen wurde gesagt, was ohnehin schon jeder weiß: Dass junge Menschen Bewegtbild verstärkt im Netz konsumieren, klassisches Fernsehen aber noch immer die meisten Zuschauer findet. "Das lineare Fernsehen ist nach wie vor King", sagte Buhrow und verwies darauf, dass die Abrufzahlen von Fernsehsendungen nach ihrer Ausstrahlung häufig niedriger seien als man so denkt. Auch Conrad Albert betonte, dass das Medium Fernsehen mit seiner schnellen Reichweitenkraft auf absehbare Zeit das Medium bleiben werde. Allerdings würden sich mobile Endgeräte in Zukunft zum First Screen wandeln, was schlicht damit zusammenhängt, dass das Handy im Gegensatz zum Fernsehgerät ständig mit dabei ist.
Selbst das oft für tot beschworene Lagerfeuer werde "auf lange Sicht noch sehr stark brennen", sagte Albert in Köln, wollte die "Fackelwanderung" aber nicht verhehlen. So habe man schon jetzt "viele kleine Lagerfeuer" angezündet. Was er meint, sind die Abruf-Angebote im Netz. So hätte es sämtliche Videos zu "Germany's next Topmodel" in diesem Jahr zusammengenommen auf mehr als 100 Millionen Views gebracht – eine Zahl, die in der Vermarktung bislang allerdings noch einen vergleichsweise wenig Niederschlag findet. Hier hofft nicht nur ProSiebenSat.1 auf eine stichhaltigere Erhebung der Quotendaten. Veränderungen des Fernsehkonsums stellt WDR-Intendant Tom Buhrow indes vor allem mit Blick auf fiktionale Inhalte fest – getrieben durch Abrufdienste wie Netflix. "Auch wir werden davon lernen", sagte er. "Das wird uns alle besser machen." Bei regionale Informationen etwa werde jedoch das klassische Fernsehen und Radio auf ewig wichtiger sein, mutmaßte Buhrow.
V.l.n.r.: Dr. Peter Charissé, Geschäftsführer ANGA COM, Tom Buhrow, Intendant WDR, Thomas Braun, Präsident ANGA Verband Deutscher Kabelnetzbetreiber, Anke Schäferkordt, Geschäftsführerin der Mediengruppe RTL Deutschland, Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin des Landes NRW, Petra Müller, Geschäftsführerin Film- und Medienstiftung NRW.
Nach Auffassung von Susanne Aigner-Drews machen sich die Veränderungen durch Netflix & Co. allerdings schon jetzt stellenweise auch bei anderen Formaten der klassischen Sender bemerkbar. So verwies sie darauf, dass ihr Männersender DMAX mit seiner US-Reality "Goldrausch in Alaska" zuletzt Abrufzahlen verzeichnete, die einer Länge von 150 Jahren am Stück entsprächen. "Wir sehen neue Anbieter nicht als Killer für unsere Inhalte", stellte sie daher klar. Und doch stehen die Sender durch das veränderte Nutzungsverhalten der Zuschauer vor neuen Herausforderungen, schließlich braucht es durch die zunehmende Verlagerung ins Internet immer höhere Bandbreiten. Doch auch hier ließ sich keiner der Diskutanten wirklich aus der Reserve locken – auch die Kritik von ProSiebenSat.1-Mann Albert, wonach zu wenig in den Netz-Ausbau abseits der Städte investiert werde, verhallte weitgehend unbeachtet.
Für Unitymedia-Chef Lutz Schüler stellt sich ohnehin kein Problem, rühmt er sich doch mit großen Investitionen in diesem Bereich. "Jede Bandbreite wird genutzt, wenn sie da ist", erklärte er und plädierte noch einmal für seinen Ausbau des WLAN-Netzes, der zuletzt auch auf Kritik gestoßen war, weil der Kabelkonzern dafür in erster Linie auf die heimischen Router seiner Kunden setzt. "Wir diskutieren immer nur über Probleme", reagierte Schüler etwas gereizt und forderte, mehr über Chancen zu reden. Das gelte insbesondere für die Nutzung von Kundendaten, die ja letztlich auch den Kunden selbst dienten. So sieht das auch Telekom-Privatkunden-Chef Hagspihl. "Wir dürfen uns nicht verstecken, den Kunden den Mehrwert zu erklären", sagte er mit Blick auf individuelle Programm-Empfehlungen, die bei Anbietern wie Amazon kurioserweise stets als Plus für die Kunden ausgelegt würden. "Big Data stiftet hier Nutzen" stellte er klar und forderte, nicht nur Ängste zu schüren.
Debatte um ungleiche Regulierung
Was die Sendervertreter unterdessen eint, ist die Kritik an der Regulierung von Seiten der Politik – und zwar sowohl mit Blick auf die öffentlich-rechtlichen als auch auf die privaten Anbieter. Die Regulierung habe mit der Entwicklung des Marktes nicht Schritt gehalten, weil sie sich noch immer nach dem Absender richte, mahnte Anke Schäferkordt, Geschäftsführerin der Mediengruppe RTL Deutschland, schon vor der großen Eröffnungsrunde von Anga Com und Medienforum NRW. "Der Zuschauer versteht lange nicht, dass das, was auf seinem Endgerät stattfindet, komplett anderen Regulierungen folgt", sagte sie, stellte aber immerhin Verbesserungen fest. "Die Schritte gehen in die richtige Richtung", so Schäferkordt. Teilweise Zufriedenheit herrscht auch bei WDR-Intendant Tom Buhrow, weil ARD und ZDF nun mit dem geplanten Jugendangebot im Netz endlich experimentieren dürften.
Doch auch für ihn gehen die neuen Freiheiten nicht weit genug – so wünscht er sich abseits des Jugendportals weitere Spielräume für die Öffentlich-Rechtlichen. Buhrow verwies auf die "Kurvenklänge" des WDR, eine Aktion, bei der das Rundfunkorchester im vorigen Jahr anlässlich des Sendergeburtstags die Fan-Hymnen großer Fußball-Vereine aus dem Westen einspielte. All das sei zwar explizit für die sozialen Netzwerke gemacht worden, habe aber zunächst linear ausgestrahlt werden müssen, um die Vorgabe eines sendungsbegleitenden Online-Angebots zu entsprechen. Eine Ankedote, die offenbart, wie kurios die Medienpolitik mitunter ist. Eigentlich ein schönes Streitthema. Doch selbst hier blieb die prominent besetzte Runde bei der Anga Com erstaunlich friedlich. Letztlich eine Diskussion, der auch Menschen mit schwachem Blutdruck gut folgen konnten.