Kultserien der Neuzeit wie "Lost" verführen Fans und Macher Jahre danach gerne mal zum Romantisieren. Carlton Cuse, einer der beiden Creator und Showrunner des sechs Staffeln währenden ABC-Hts, läuft da offenbar weniger Gefahr. Auf die Frage, ob er Lehren aus "Lost" gezogen habe, antwortete Cuse beim Scripted Summit in New York eher unromantisch: "Ich versuche, keine Serien mit 22-Folgen-Staffeln mehr zu machen. Da gehen einem zu schnell die hochwertigen Stories aus."
Bei der erstmals veranstalteten Konferenz im Herzen von Manhattan kamen in den letzten Tagen rund 300 Serienmacher und -verantwortliche aus aller Welt zusammen. Cuse nutzte die Plattform, um seine kommenden Projekte vorzustellen. Am 14. Januar läuft beim NBCUniversal-Kabelsender USA Network seine Science-Fiction-Familienserie "Colony" an, in der das L.A. der nahen Zukunft von Aliens besetzt wird. Im Fokus steht der Umgang der Gesellschaft mit der Kolonialisierung – irgendwo zwischen Anpassung und Widerstand.
"Colony" sei ebenso Spionage-Thriller wie Familiendrama – mit einem Hauch SciFi, der aber eher eine Nebenrolle spiele, so Cuse. Serie werde für ihn erst dann richtig spannend, wenn er mehrere Genres in den Mix einbringen könne. "Colony" ist die erste Produktion des neuen Serien-Arms von Legendary, dem Hollywood-Studio hinter "Jurassic World" oder "Hangover", das wie so viele große Kino-Player derzeit ins Seriengeschäft expandiert. Neben seinen beiden laufenden Serien "Bates Motel" (A&E) und "The Strain" (FX) – Cuse arbeitet jeweils mit einem Co-Showrunner und geht selbst so gut wie nie ans Set – bereitet er für Amazon Studios gerade eine serielle Version der "Jack Ryan"-Spionage-Thriller nach den Bestsellern von Tom Clancy vor. Entlocken ließ er sich dazu nur, dass 2016 weltweit gedreht werden soll, mit Top-Budget und Augenmerk auf aktuellen geopolitischen Verwerfungen.
Welche enormen Produzenten-Hoffnungen auf den Streaming-Anbietern ruhen, zeigte sich in New York einmal mehr am stark überfüllten Raum beim Auftritt von Morgan Wandell, Head of Drama Development bei Amazon Studios. "Wir sind wie der Coach, der die Spieler aufstellt", versuchte er sich in Sport-Analogie. "Wir können vom Spielfeldrand aus anfeuern und vielleicht ein paar Tipps reinrufen, aber das Spiel müssen die Talente auf dem Platz schon selbst machen." So etwas hören Kreative und Produzenten nur zu gern.
Theoretisch, so Wandell, könne Amazon auf Jahre hinaus gut von Serienstoffen leben, die TV-Sender zuvor abgelehnt hätten. Die nächste Woche startende Literaturverfilmung "The Man in the High Castle" aus der Schmiede von Ridley Scott und Frank Spotnitz ist so ein Fall. Scott hatte sie vor Jahren zuerst für die BBC entwickelt, wo das Projekt jedoch vor der Realisierung gestoppt wurde. 2013 nahm er zusammen mit FremantleMedia einen weiteren Anlauf für den US-Sender Syfy, der ebenfalls scheiterte. Um juristisch auf Nummer sicher zu gehen, so Wandell, kaufte Amazon der BBC und Syfy die alten Drehbücher ab, obwohl diese nicht benutzt wurden. Der vorige Woche von Amazon erteilte Pilotauftrag für "The Last Tycoon" – eine Serie über die legendären Hollywood-Moguln der 1930er Jahre – rettet ein Projekt, mit dem Produzent Sony Pictures zuletzt nach längerer Entwicklung für HBO in die Sackgasse gelaufen war.
Frohe Botschaften wie diese teilte die Seriengemeinde fleißig beim Scripted Summit. Hervorragende Stoffe mit starker, einzigartiger Stimme finden früher oder später den passenden Abnehmer, so der Tenor. Auch Stefanie Berk, Fiction-Chefin von FremantleMedia North America, konnte ihr Beispiel dazu beitragen. Bei ihrem früheren Arbeitgeber Playtone, der Produktionsfirma von Tom Hanks, hatte sie die Neil-Gaiman-Romanverfilmung "American Gods" als HBO-Serie entwickelt. Das Projekt stockte, wechselte schließlich zum US-Pay-TV-Konkurrenten Starz. Da Playtone jedoch einen Exklusivvertrag mit HBO hat, durfte Berk den Stoff zur RTL-Group-Tochter mitnehmen. Die Geschichte rund um den Kampf zwischen alten mythischen Figuren und neuen Göttern wie Geld, Drogen oder Technologie soll nun 2016/17 bei Starz laufen – mit Bryan Fuller ("Hannibal") und Michael J. Green ("Fantastic Four") als Showrunnern.
Und noch ein Trend hinter den Kulissen des US-TV-Markts zeichnete sich bei der Konferenz ab: Mehrere Sender- bzw. Programmchefs berichteten davon, dass sie unlängst Kulturanthropologen als Berater engagiert haben. Sie sollen dabei helfen, die sich wandelnde kulturelle Verankerung von Serien, die Beziehung des Publikums zu Figuren und Geschichten zu analysieren – und bestenfalls in neue Programmstrategien umzusetzen. "Charaktere wie Walter White helfen uns dabei, unsere eigenen moralischen Konflikte zu reflektieren", brachte es AMC- und SundanceTV-Chef Charlie Collier auf den Punkt. "Damit verhandeln moderne immersive Serien zum Teil sehr grundlegende Fragen, die früher Religion und Kirche vorbehalten waren."