"Ich beweihräuchere mich selten", sagt Helena Fürst und läuft mit Blumenstrauß fuchtelnd aus der behindertengerechten Wohnung, die sie für zwei Hartz-IV-Empfänger miterstritten hat. "Aber in diesem Fall: Das ist unglaublich, was meine Hilfe hier ausgerichtet hat! Wahnsinn!" Dann stürmt sie aus der Tür, vermutlich irritiert, dass sie immer noch keiner fürs Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen hat. Dabei steht Fürst schon seit fünf Jahren für RTL vor der Kamera, erst als "Anwältin der Armen", seit 2014 als "Kämpferin aus Leidenschaft". Dabei ist der Titel egal: Niemand im deutschen Fernsehen beweihräuchert sich so gerne selbst wie Fürst.
"Da hab ich schon viel erreicht", erinnert sie, wenn wieder irgendeine Behörde einen Vorgang nochmal prüfen muss, weil sie da war. "Der Versicherung hab ich's gezeigt!", sagt sie triumphierend in die Kamera. Einmal muss sie sich erst bei ihrer Begleitung erkundigen, wo sie gerade ist: "Auch hier in, in – in Bad Freienwalde, ne? – konnten die mir nicht widerstehen!"
Dabei ist eigentlich nichts einfacher als das, so ungeschickt wie Fürst auf Menschen reagiert, die sie nicht anstänkern kann. Einen in Tränen ausbrechenden Vater, der nach einem Schlaganfall im Rollstuhl sitzt, versuchte sie unlängst im Brüllton zu beruhigen: "SIE MACHEN DAS SUPER, HERR H.! Da kann Ihre Frau aber sehr stolz sein und Ihr Junge! Ja, SUPER!" Unter meinen Text über ihre Fehlbesetzung als Trostbeistand kommentierte Fürst im vergangenen Jahr: "Mein Format heißt Kämpferin aus Leidenschaft und nicht Heulsuse der Nation! Ich kämpfe leidenschaftlich und gewinne fast immer." Dabei muss die zur Mediengruppe RTL gehörende Produktionsfirma infoNetwork, die mit "Kämpferin aus Leidenschaft" einen der Tiefpunkte des deutschen Reality-Fernsehens verantwortet, allerdings kräftig nachhelfen.
Vor einer Woche ging es um zwei Familien, die in einer finanziellen Notlage die Raten ihres Kredits nicht mehr zahlen konnten, obwohl sie dafür eine Versicherung abgeschlossen hatten. Diese wollten mit Verweis aufs Kleingedruckte nicht zahlen. Nach wenigen Minuten war klar: Der BGH hat mit einem Urteil in einem vergleichbaren Fall längst verfügt, dass das nicht rechtens ist. Damit war die Sache entschieden. Helena Kämpf kämpfte trotzdem weiter: dafür, die restlichen 40 Minuten Sendezeit vollzukriegen und zwei Fälle zu gewinnen, bei denen der Redaktion von vornherein klar gewesen sein muss, dass sie gar nicht zu verlieren sind.
Mit einem freundlichen Brief wär's womöglich auch gegangen. Aber dann könnte die "Kämpferin aus Leidenschaft" nicht von so einem schönen Hauptsatz-Stakkato aus dem Off beim Durchgreifen begleitet werden: "Helena Fürst ist wütend", analysiert der Sprecher, "Helena Fürst geht diese Geschichte sehr nahe", "Helene Fürst ist skeptisch", "Helena Fürst fühlt sich ein bisschen wie im falschen Film", "Helena Fürst muss taktisch klug vorgehen", "Helena Fürst gehen schon jetzt viele Dinge durch den Kopf", "Helena Fürst platzt der Kragen" und "Helena Fürst beschleicht dieses gewisse Bauchgefühl, das sie immer bekommt, wenn es um zahlungsunwillige Versicherungen geht."
Dabei geht es dem Format und seiner Hauptprotagonistin allenfalls am Rande um die Beseitigung von Missständen. Zuallererst zählt der sendefähige Knalleffekt – oder wie Fürst selbst sagt: "Es geht hier darum, um den Grabstein ihres toten Mannes zu kämpfen!" Mit Kamerateam und Mahnschreiben bewaffnet wirbelt sie durch Behörden, Institutionen und Kundencenter, um dort Verantwortliche zur Rede zu stellen. Ob die wirklich verantwortlich sind, ist im Zweifel egal.
In der ersten Folge im Juli half Fürst einem Elternpaar, seine Kinder aus einem Pflegeheim zurückzubekommen. Obwohl Ex-Mitarbeiter dort von miserablen Zuständen berichteten, stellte sich das Jugendamt angeblich quer. Also holte Fürst die beiden Jungen einfach auf eigene Faust raus, inklusive dramatischer Befreiungsszenen und Fluchtwagenwechsel auf einem nahegelegenen Parklatz. Zuvor war sie in der Angelegenheit bereits ins Rote Rathaus geplatzt, um den Regierenden Bürgermeister von Berlin persönlich in die Pflicht zu nehmen. Als stattdessen der Pressesprecher kam und versprach, die Vorwürfe prüfen zu lassen, war die Sache für RTL klar: "Von hier ist wohl eher wenig Hilfe zu erwarten." Und Fürst polterte: "Ich mach hier keine Show!"
Wer sich bei den Zuständigen erkundigt, kriegt einen anderen Eindruck. Aus der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft heißt es auf Anfrage, Berlin sei gar nicht zuständig gewesen – sondern Brandenburg, weil die betreffende Einrichtung dort angesiedelt sei. Die Beschwerde sei weitergeleitet worden, es habe deswegen zwei unangemeldete Kontrollbesuche in der Einrichtung gegeben, Missstände seien keine festgestellt worden. Die Mitarbeiter des Jugendamts hätten erklärt, sich nicht per se gegen die Rückholung der Kinder gestellt, sondern empfohlen zu haben, diese über einen gewissen Zeitraum zu strecken, um die erreichten pädagogischen Fortschritte nicht zu gefährden. Darauf hätten sich die Eltern nicht eingelassen und weitere Gespräche verweigert. Welche Seite Recht hat, lässt sich schwer sagen. An den Gegenpositionen war infoNetwork aber offensichtlich auch gar nicht mehr interessiert. In der Sendung kamen sie nicht vor.
Der stellvertretende Berliner Senatssprecher Bernhard Schodrowski, der Fürst im Roten Rathaus in Empfang nahm, kennt die Methoden, mit denen das Reality-Fernsehen arbeitet, inzwischen ganz gut. Der Pförtner ruft an, sagt, ein TV-Team wolle ein Schreiben übergeben. "Dann macht man die Tür auf, das Licht geht an, und wenn Sie als erstes sagen: 'Kamera aus!', haben Sie schon verloren." Dass sich Schodrowski stattdessen mit Fürst auseinandersetzte, hat zwar auch nicht viel geholfen. "Aber ich kann in Unkenntnis des Sachverhalts in einer solch konfrontativen Situation vor der Kamera ja nichts versprechen, was später nicht eingehalten werden kann."
Inzwischen hat infoNetwork einen Weg gefunden, Situationen im Fernsehen zu zeigen, selbst wenn das Drehen zuvor untersagt worden ist. "Das Gespräch wurde mit Schauspielern so nachgestellt, wie es sich abgespielt hat", erklärt der Off-Sprecher in solchen Fällen. Dann folgen Szenen, die dem Sender sonst selbst für seine Scripted Realitys am Nachmittag zu peinlich wären. Laiendarsteller, die den echten Protagonisten mit Ringelpullis und Freizeithemden möglichst ähnlich sehen sollen, sitzen nickend neben der echten Helena Fürst, die andere Laiendarsteller zur Sau macht, die giftig-uneinsichtige Sachbearbeiter oder Pressesprecher spielen: "Ich nenn das Kundenverarsche und Abzocke!", "Im Namen aller Kunden: pfui!", "Ich kann Ihnen eins sagen: Dass ich jetzt hier bin, ist bestimmt nicht gut für Sie."
Stimmt aber gar nicht: Weil infoNetwork am Ende nicht mal den Mut hat, den Namen der verantwortlichen Bank oder Versicherung zu nennen, die das verdient hätte. Rechtliche Auseinandersetzungen will man offensichtlich nicht riskieren. Die Krankenkasse, die freundlich einlenkt, wird hingegen gerne genannt. Von der ist ja nichts zu befürchten.
Dass es in einigen Fällen tatsächlich um kritisierenswerte Zustände geht, steht außer Frage. Menschen sind überfordert von erklärungsbedürftigen Beschlüssen im Behördendeutsch oder kommen nicht gegen Unternehmen an, die erst explizit auf geltendes Recht hingewiesen werden müssen bevor sie bezahlen. Traurig ist, dass diese Menschen ausgerechnet eine krawallgeschulte Basta-Frau vom Fernsehen als ihre engste Verbündete begreifen. Und dass RTL anstatt seriös zu recherchieren mit zweifelhaften Methoden Krawallstücke für den Sonntag-Vorabend hinhuddelt. Die sind so günstig produziert, dass Fürst zum Schluss auch selbst spendabel sein darf: Der Grabstein des verstorbenen Gatten, der geht auf's Haus!
Inzwischen scheint das Publikum von dieser Art Problemfernsehen zunehmend ermüdet zu sein. Auf Anfrage von DWDL.de erklärt eine RTL-Sprecherin: "Da wir zuletzt leider nicht mehr genügend Zuschauer mit dem Format erreicht haben, setzen wir es nicht fort." Eine weitere Zusammenarbeit mit Helena Fürst sei "generell vorstellbar, jedoch aktuell nicht geplant".
Es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis Fürst die RTL-Sendezentrale in Köln stürmt, eine Frist für die augenblickliche Fortsetzung ihrer Sendung setzt und den gefürchteten Satz sagt, den sonst nur Jobcenter- und Krankenkassen-Mitarbeiter zu hören kriegen: "Wenn Sie das nicht machen, komm ich wieder!" Diesmal sieht halt bloß keiner mehr zu.