Jan Böhmermann läuft mit markantem Hitler-Bärtchen durch die Kölner Innenstadt. Beim Bäcker verlangt er nach einem Brownie, im Haushaltswarenladen nach einem "Endsieb". Als die Verkäuferin ihn nicht versteht, fragt er: "Sieb kaputt oder Sieb heil?" Unterdessen interviewt Palina Rojinski, getarnt als russische TV-Reporterin, ein rheinisches Karnevalsprinzenpaar, das ungewollt sämtliche Klischees von verordneter Fröhlichkeit und Komasaufen bestätigt.
Neben dem frisch gebackenen Grimme-Preisträger und "Neo Magazin"-Matador sowie der "Got to Dance"-Jurorin, DJane und Schauspielerin gehören auch die Spartensender-Moderatoren Katrin Bauerfeind (3sat, ZDFkultur) und Jan Köppen (Viva, ZDFneo, RTL Nitro) zum Quartett. Bei RTL hätte man sie eher nicht vermutet, schon gar nicht in dieser Konstellation - doch nun sitzen sie gemeinsam in einer Wohnzimmer-Deko in den Hürther nobeo-Studios und zeichnen vier Folgen "Was wäre wenn?" auf, eine überraschend witzige Comedy-Show mit schwieriger Historie und ungewisser Zukunft.
Was wäre, wenn man einfach in ein Möbelhaus einzieht? Was wäre, wenn man Menschen vor der eigenen Wohnungstür ungefragt zum Teil einer Doku-Soap macht? Was wäre, wenn man einem Politiker im Interview immer wieder die gleiche Frage stellt? Fragen wie diese beantworten Böhmermann, Bauerfeind, Rojinski und Köppen in lustigen, teils gewagten Einspielfilmen, für die sie langwierige Drehtage quer durch Deutschland absolviert haben. Im Studio plaudern sie sich und das Publikum von Film zu Film, starten zwischendurch neckische Telefonstreiche. So muss Köppen seinen besten Freund anrufen, um ihm plötzliches homosexuelles Begehren zu gestehen. Bauerfeind und Rojinski wählen die Nummern einer Sex- und einer Wahrsager-Hotline und halten die beiden Telefone einfach aneinander, was zu größter Verwirrung zwischen den kostenpflichtigen Dienstleistern führt.
Entscheidender fürs Format sind aber die ausgeklügelten Außenaktionen, mal mit versteckter, mal mit offener Kamera. Ein griechischer Imbiss findet sich ungeahnt mitten in einer "Restauranttester"-Doku wieder ("Dreh' schon mal die schmutzige Theke!"). Beim Interview mit Grünen-Spitzenpolitikerin Bärbel Höhn kriegen sich Reporterin Bauerfeind und ihr Kamerateam (gut maskiert: Köppen und Böhmermann) dermaßen in die Haare, dass ständig abgebrochen werden muss. Und während Böhmermann den Bundesvorsitzenden der rechtsextremen "Bürgerbewegung pro Deutschland" interviewt, hakt er einschlägige Phrasen à la "Armutsflüchtlinge", "Parallelgesellschaften" oder "Überfremdung" auf seiner mitgebrachten "Nazi-Bingo"-Karte ab.
Eine Comedy-Show, die so schräg und subversiv ist, so weit vom gepflegten Mainstream entfernt, hat man bei RTL lange nicht mehr gesehen. Zuletzt vielleicht 2009, als die "TV-Helden" für zwei Folgen ran durften, dann abgesetzt wurden und dann den Deutschen Fernsehpreis als Beste Comedy gewannen. Deren unübersehbares Erbe hält "Was wäre wenn?" nicht nur bei den Inhalten und der Haltung hoch, sondern auch personell: Böhmermann war damals einer der drei "TV-Helden", hinter den Kulissen zeichnete Thomas Pommer als Producer der Produktionsfirma probono verantwortlich.
Mittlerweile hat Pommer sich mit seiner eigenen Firma dibido.tv selbstständig gemacht, produziert für EinsPlus "In Deutschland um die Welt" mit Pierre M. Krause sowie Beiträge für "Bauerfeind" oder "SWR3 latenight". Dass er den Piloten für das neue RTL-Format "Was wäre wenn?" gedreht hat, ist bereits annähernd zwei Jahre her. Und hier beginnt die Geschichte kompliziert zu werden. In der Zwischenzeit haben die Karrieren aller vier Protagonisten mehr oder weniger starke Wendungen genommen - neue Shows, neue Rollen, Senderwechsel. Doch beim Pilotdreh hatten sie dem Vernehmen nach eine Option für eine mögliche Vierer-Staffel von "Was wäre wenn?" unterzeichnet.
So kommt es, dass Böhmermann, Bauerfeind, Rojinski und Köppen am vergangenen Wochenende nach den Aufzeichnungen spätabends im leeren Studio zusammensitzen und noch ein paar Witzchen ohne Kameras reißen - über RTL und darüber, dass schon keiner mehr mit dem Zustandekommen der Show gerechnet hatte. Dann spötteln sie, dass es in den Sternen stehe, ob und wann "Was wäre wenn?" überhaupt ausgestrahlt werde. Offiziell heißt es dazu bei RTL nur "demnächst", ein Sendetermin sei noch nicht gefunden. Immerhin haben es die mutigen Macher schon mal geschafft, die Folgenzahl im Vergleich zu den "TV-Helden" auf vier zu verdoppeln. Dass nun alle Wahrscheinlichkeiten wieder gegen eine längere Lebensdauer bei RTL sprechen, ist bei diesem gelungenen Format mehr als schade.