Vielleicht liegt es einfach daran, dass man die Schuld für sinkende Leserzahlen lieber bei anderen sucht als am eigenen Produkt zu arbeiten. Vielleicht liegt es auch an der Angst, die bestehenden Strukturen nicht verändern zu wollen. So oder so präsentiert sich der deutsche Zeitungsmarkt in den letzten zwei Jahren vergleichsweise innovationslos. Nach Jahren der Format-Debatte, dem Kampf um bzw. gegen Gratis-Zeitungen und regionalen Experimenten ist es recht ruhig geworden. Die "Welt am Sonntag Kompakt" war das letzte Wagnis auf dem nationalen Zeitungsmarkt.

Blickt man über den Kanal, gibt es in Großbritannien in dieser Woche einen spannenden Relaunch zu verfolgen. Dort wagt der "Independent" einen deutlichen Relaunch. Mit gerade einmal 25 Jahren ist die Zeitung eine der jüngsten in der britischen Presselandschaft und präsentierte sich dennoch stets klassisch und zurückhaltend und konnte zuletzt als einzige Qualitäts-Tageszeitung in Großbritannien sogar Leser zurückgewinnen. Der Relaunch ist damit nicht wie sonst so oft ein Versuch sinkende Leserzahlen zu stoppen. Viel mehr wurde ein nebenbei durchgeführtes Experiment zu erfolgreich.

 

 

Vor fast genau einem Jahr, am 26. Oktober 2010 startete der gerade erst vom russischen Geschäftsmann Alexander Lebedev übernommene Verlag Indepedent Print einen neuen Zeitungstitel auf dem britischen Markt. Als Ableger des "Independent" wollte man mit einer kompakteren Ausgabe die Berufspendler ins Visier nehmen. Dünner, plakativer, deutlicher und mit nur 20 Pence spottbillig. Spätestens im Sommer 2011 wurde das Experiment dann sehr erfolgreich. Vielleicht zu erfolgreich: Das Leichtgewicht "i" überholte bei der täglichen Reichweite mit 184.000 Lesern das Mutterblatt "Indepedent" (183.000 Leser).

Und so leitet sich der Relaunch des "Independent" sehr deutlich vom Erfolg von "i" ab. Die erste Ausgabe in neuer Optik erschien am Dienstag und wirkte deutlich plakatischer, moderner und klarer. Die Lesbarkeit wurde damit in der Tat verbessert, wie man auch auf Seite 2 seinen Lesern in einer kurzen Erklärung des Relaunches vermittelt. Doch dann fehlt auch das "Viewpaper", der seperate Meinungsteil. Kolumnen und Kommentare finden jetzt im jeweils passenden Ressort ihre Heimat. Das ist pragmatisch, doch Wettbewerber werfen bereits vor, der "Independent" würde verflachen und seinem jüngeren Schwesterblatt zu ähnlich.

Doch diese Kritik kennt man beim "Independent". Als man im September 2003 vom Großformat a la "SZ" oder "FAZ" auf das Tabloid-Format umstellte, brach man ein Tabu: Das handlichere Format war bis dahin den Boulevard-Titeln - in Großbritannien eben aufgrund des ihnen eigenen Formats auch Tabloids genannt - vorbehalten. Doch nach großer Aufregung folgte kein Jahr später auch Konkurrent "The Times" ins handlichere Format. Damit war die Debatte um Zeitungsformate endgültig entbrannt und schaffte es in der Folge auch zu uns und war Auslöser für "Welt Kompakt", Holtzbrincks "News"-Experiment oder später die Umstellung der "Frankfurter Rundschau".