Herr Somuncu, n-tv hat am Dienstag kurzfristig entschieden, die bereits produzierte Ausgabe Ihrer Talkshow "So! Muncu" aus dem Programm zu nehmen. Worum ging es überhaupt?
Das Thema der Sendung lautete "Alternativlos schmutzig – wie extrem wird der Wahlkampf", als Gäste waren Wolfgang Kubicki von der FDP, Wigald Boning – Comedian und auch FDP-Mitglied – und die Schauspielerin und Moderatorin Annabell Mandeng eingeladen. Wir hatten drei Themenkomplexe zur Wahl und Donald Trump vorbereitet und wollten abschließend an einem Fallbeispiel demonstrieren, wie Fake News funktionieren.
Was war das für ein Fallbeispiel?
Ohne unsere Gäste zuvor zu informieren, wurde die Sendung unterbrochen und ein Original-Korrespondent von n-tv stand plötzlich vor der Kulisse des Weißen Hauses, um die Breaking News zu verkünden, dass das Weiße Haus beschlossen habe, den Bau der Mauer zwischen den USA und Mexiko an das deutsche Unternehmen Hochtief zu vergeben. Zum Zeitpunkt der Aufzeichnung wussten wir nicht, dass unsere Satire von der Realität eingeholt werden wird, denn tatsächlich kam einen halben Tag später die Nachricht über den Ticker, dass sich Hochtief um den Auftrag bewerben wird. Darüber haben wir uns selber erschrocken und natürlich auch gefreut, schließlich waren wir mit unserer Sendung voll drauf. Es kann ja nicht wahr sein, dass wir eine Fake News erfinden, die am nächsten Tag wahr wird.
Haben Sie die Fake News in der Sendung denn aufgeklärt?
Wir waren uns natürlich bewusst, uns in einem sehr heiklen Umfeld zu bewegen, wenn wir bei einem Nachrichtensender mit Original-Label eine Nachricht faken. Deshalb haben wir direkt in der Sendung gesagt: Hahaha – das war ja Spaß, woraufhin derselbe Sprecher im selben Duktus eine komplett andere Nachricht verkündete, nämlich dass Trump jetzt beschlossen habe, die USA aus allen NATO-Einsätzen zurückzuziehen. Daraufhin haben wir unter großem Gelächter des Publikums gesagt, dass auch das Fake sei und nun eine Meldung kommt, die erst recht Fake sei. Es folgte also ein drittes Mal dieser Sprecher, der jetzt erklärte, dass Trump allen Muslimen in den USA für einen Monat den Strom abschalten will, weil sie Entbehrungen gewöhnt seien und das Geld in Terror-Abwehr gesteckt werden soll. Riesen-Applaus im Publikum, Mega-Brüller – aber da war sofort klar, dass das nicht ernst gemeint war.
Wie war rückblickend Ihr Eindruck von der Sendung?
Wir waren sehr zufrieden mit der Sendung und hielten sie für eine der besten, die wir jemals gemacht haben. Aus unserer Sicht gab es beileibe keinen Anlass dazu zu sagen, wir hätten etwas Anstößiges gemacht.
Gleichzeitig erklärt n-tv, dass die Sendung nicht den Qualitätsansprüchen des Senders genügt habe. Wie passt das zusammen?
Ich kenne die Qualitätsansprüche von n-tv ehrlich gesagt nicht. Ich weiß auch nicht, ob sie sich auf das Ausstrahlen von Dokumentationen oder den Wetterbericht beziehen. Ich weiß nur, dass wir, wenn wir bei n-tv waren, immer das getan haben, was wir für richtig hielten – übrigens auch stets mit Unterstützung des Senders. Von Anfang an war klar, dass wir eine Satiresendung machen, die anecken und ungemütlich sein soll. Wir wollen mit sehr außergewöhnlichen Gäste-Konstellationen einen neuen Weg bestreiten, was im Fernsehen leider viel zu selten der Fall ist. So etwas erfordert Mut und Risikobereitschaft. Diese Risikobereitschaft hat n-tv lange genug gehabt. Es gab in dieser Zeit genügend Gelegenheiten, sich über die Qualitätsstandards Gedanken zu machen und diese an uns zu vermitteln. Dass das nun so abrupt und rigoros kam, hat uns enttäuscht und traurig gemacht, weil Friedrich Küppersbusch und ich die Sendung sehr, sehr gerne gemacht haben. Und wir würden sie auch gerne weitermachen. Im Moment sind wir allerdings etwas konsterniert. Jetzt müssen wir uns überlegen, ob n-tv unseren Qualitätsansprüchen entspricht.
Nun lebt Ihre Art des Kabaretts, Ihre Art der Moderation und dadurch auch die Sendung ein Stück weit von der Provokation, über die n-tv jetzt so verwundert ist. Müssen Sie sich jetzt ändern oder muss es der Sender tun?
Es muss sich keiner ändern, weil es sich um eine freiwillige Zusammenarbeit handelt, um die uns der Sender gefragt hat – mit einem deutlichen Auftrag und zumindest am Anfang auch mit viel Zuspruch und einer bewundernswerten Ausdauer. Es ist ja nicht normal, dass eine Sendung, die so außergewöhnlich und exotisch ist, über eineinhalb Jahre laufen kann. Ich weiß nicht, ob sich intern etwas verändert hat. Das Fernsehen ist ja generell ein schnelllebiges Geschäft. Man wird da nicht nur an Ansprüchen, sondern häufig an Anforderungen wie Quote und Mainstream-Tauglichkeit gemessen. Wenn Letzteres jetzt der Fall sein sollte, dann wäre das überhaupt kein Problem, so lange man offen miteinander spricht. Das war bislang so, aber in diesem einen Fall wurde eine Entscheidung getroffen, über die wir erst sehr spät unterrichtet wurden. Dadurch sind wir aus allen Wolken gefallen und stehen jetzt entsprechend überrascht und ratlos da und wissen nicht, wohin die Reise geht.
"Ich wünschte mir, dass das Fernsehen in Deutschland Leute wie mich oder Jan Böhmermann nicht nur benutzt, wenn es quotenträchtig ist, sondern auch dann solidarisch ist, wenn man aneckt oder nicht direkt verstanden wird."
Serdar Somucu
Wie genau hat man Sie darüber informiert? Sie stehen ja schließlich mit Ihrem Namen für die Sendung und müssen nun lesen, dass Ihr Werk nicht einer gewissen Qualität entspreche.
Das ist hart und war im Umgang nicht besonders fair. Ich bin am Dienstag erst am späten Nachmittag vom Senderchef Hans Demmel angerufen worden, den ich außerordentlich schätze. Wir haben ein offenes Gespräch geführt, aber ich war doch sehr verwundert, dass ich als Aushängeschild der Sendung als letztes Glied in der Kette von den Gründen erfahren hatte. Die Entscheidung war zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon gefallen – auch das ist ungewöhnlich und nicht besonders vertrauensvoll. Dabei waren wir durchaus kompromissbereit und boten an, Einspieler rauszunehmen oder sogar die Sendung zum Teil neu zu konzipieren. Das entsprach aber offensichtlich nicht dem Wunsch des Senders. Vielleicht war auch die Auseinandersetzung mit unserer Art der Unterhaltung seit Längerem ein Thema. Aber auch dieses Desaster, wie die Öffentlichkeit informiert wurde, hat mich verwundert.
Was meinen Sie damit?
In dem Statement, das der Sender herausgeschickt hat, steckt ein großes Paradoxon. Man kann ja nicht sagen, eine freie Berichterstattung zu wollen und dann trotzdem vorgeben, wie die Berichte zu verstehen sind. Gerade in Zeiten, in denen dieses Thema groß besprochen – sei es in der Türkei oder in den USA -, wünschte ich mir, dass wir in Deutschland mehr Souveränität haben im Umgang mit Satire, aber auch mit Positionen, die man vielleicht erst mal näher betrachten muss, bevor man sie versteht. Ich traue das den Zuschauern schon seit langer Zeit zu, meine Arbeit auf der Bühne läuft seit 35 Jahren sehr erfolgreich – gerade, weil ich dieses Vertrauen in das Publikum habe. Ich wünschte mir, dass das Fernsehen in Deutschland Leute wie mich oder Jan Böhmermann nicht nur benutzt, wenn es quotenträchtig ist, sondern auch dann solidarisch ist, wenn man aneckt oder nicht direkt verstanden wird.
Haben Sie schon einmal etwas Vergleichbares erlebt?
Ich habe zwar oft mit Redakteuren zu kämpfen gehabt, die Einfluss auf meine Arbeit nehmen wollten, aber in dieser Art und Weise und so radikal habe ich das noch nie erlebt.
Wie geht es nun mit Ihnen und n-tv weiter?
Das ist die Frage, die wir uns gerade stellen. Friedrich Küppersbusch, der Produzent, wird da sicher einige Ideen haben und sich mit dem Sender besprechen. Ich möchte die Sendung noch immer machen, weil ich es richtig und gut finde, diesen Versuch, eine Talkshow zu dekonstruieren, weiterzuführen. Es kommt nicht so häufig vor, dass eine Sendung vor den Augen der Zuschauer entsteht und man am Ende ein Produkt hat, das originär gewachsen ist. Wir gehen ja nicht auf eine Messe, kaufen eine Vorlage und setzen diese 1:1 um. Ich bin fest davon überzeugt, dass es in Deutschland genug Fernsehmacher gibt, die Interesse an so einer Art von Sendung haben und uns die Chance geben, unsere Arbeit so frei und qualitätsorientiert wie möglich fortsetzen zu können. Vielleicht bei n-tv, vielleicht aber auch woanders.
Herr Somuncu, vielen Dank für das Gespräch.