Sie waren Vorreiter im europäischen Serienmarkt: Skandinavische TV-Serien sind seit Jahren weltweit gefragt. "The Bridge", "Kommissarin Lund" und "Borgen" haben den Ruf geprägt nachdem Produktionen wie "Beck" und "Wallander" den Grundstein gelegt haben. Inzwischen variieren Produktionen aus Skandinavien stärker: Mit "Lifjord" (in Deutschland bei Sony Entertainment Television und im WDR zu sehen), das international als "Acquitted" vermarktet wird, lieferte die dänische Produktionsfirma Misofilm eine atmosphärisch Charakterstudie, die sich für FremantleMedia International so gut verkaufte, dass eine zweite Staffel gedreht wurde. Die Ausstrahlung in Norwegen und anderen skandinavischen Märkten hat vor wenigen Tagen begonnen. Wir waren am Set der Serie und haben mit den beiden Führungsköpfen von Misofilm, Peter Bose und Jonas Allen, über Scandi Noir, "Acquitted" und Erwartungen gesprochen.
Peter, mit Scandi Noir ist Fernsehen aus Skandinavien weltweit erfolgreich. Geschäftlich ist das ein Segen. Kreativ ein Fluch?
Peter Bose: Wir produzieren seit mehr als 15 Jahren Krimiserien und als Produzent willst Du Dich weiterentwickeln, nicht wiederholen. Und ich glaube nicht, dass wir uns wiederholt haben. Als wir die Firma 2004 gegründet haben, kamen wir aus der Produktion von „Kommissar Beck“ und „Wallander“. Unsere erste eigene Serie „Varg Veum“ fokussierte sich auf einen Privatdetektiv, noch dazu mit einer jungen Hauptfigur. Dann kam unsere dänische Serie „Those who kill“ (in Deutschland: „Nordlicht - Mörder ohne Reue“) über einen Serienmörder. Das sorgte für eine Schockwelle, weil die Produktion um 20 Uhr zur besten Sendezeit lief und sehr drastisch war. Mit „Dicte“ kam dann eine weibliche Kriminalreporterin. Die Serie hatte für uns die Tagline „Crime meets Sex and the City“ und mit „Lifjord“, wie es in Deutschland heißt oder international „Acquitted“ haben wir jetzt etwas ganz Neues probiert. Ein von den Figuren getriebenes Mystery Drama.
Peter Bose: Ja, ich glaube der Sender hatte ein wenig Angst, weil es sich so leichter verkaufen ließ. Man nimmt dem Publikum da oft die Gelegenheit selbst zu entdecken und entscheiden, was das ist, was sie sehen. Sender lieben es, ihren Programmen klare Labels zu geben.
Jonas Allen (Foto rechts): Der Erfolg von Scandi Noir hat eine enorme Nachfrage ausgelöst. Aber Sie haben schon recht: Die Branche ist jetzt seit zehn Jahren sehr gut auf dieser Welle geritten und es werden Stimmen laut, die neue Geschichten, neues Terrain verlangen. „Lifjord“ ist eine dieser neuen Interpretationen.
„Lifjord“ bzw. „Acquitted“ ist kein klassischer Krimi. Es ist eher eine Charakterstudie mit dunklem Geheimnis.
Peter Bose: Richtig. Die erste Staffel widmete sich sehr intensiv den Erlebnissen und Gefühlen der Rückkehr in den Heimatort im Westen Norwegens nach vielen vielen Jahren. Und wir erleben die Hauptfigur Aksel, einst von einem Mord freigesprochen, die sich als Puzzleteil fühlt, das einfach nicht passen will. Weil die Serie über ihre sorgsam gezeichneten Charaktere funktioniert, machte es die Produktion von Staffel 2 auch so einfach: Wir konnten auf gut eingeführte Charaktere bauen.
Wie kam es eigentlich zu dem Boom von Scandi Noir? Wem haben wir das TV-Genre zu verdanken?
Peter Bose: Ich glaube es fing alles mit Henning Mankells „Wallander“ an - zumindest wenn man das Interesse an skandinavischen Kriminalgeschichten in Europa erklären will. Die erste Filmreihe dazu startete schon 1993, das war lange bevor die eigentliche Welle des Scandi Noir einsetzte. Das war das Fundament für alles was folgte.
Jonas Allen: Ich glaube was die skandinavischen Romane mitgebracht haben, war der Einbezug von gesellschaftlichen Umständen, besonders den weniger erfreulichen und selten beleuchteten. Taten, Täter und Opfer bekamen damit eine ganz andere Bedeutung. Das war zu der Zeit relativ selten. So richtig abgehoben hat Scandi Noir dann natürlich mit „The Killing“ (in Deutschland: „Kommissarin Lund“) vom DR.
Peter Bose: Und jetzt ist „Acquitted“ eine unserer international am besten laufenden Serien, dank der Hilfe von FremantleMedia International. Es verkauft sich überall in der Welt.
Aber in Deutschland…
Peter Bose: …ist es nicht beim ZDF, richtig. Deutschland ist einerseits dankbar, andererseits schwierig. Eigentlich gibt es nur den Sendeplatz beim ZDF am Sonntagabend um 22 Uhr, für den aus Deutschland jemand auch gezielt nach skandinavischen Produktionen sucht. Die ARD macht es wenn dann mal als Event-Programmierung. Wir freuen uns aber, dass wir mit „Acquitted“ bei Sony Entertainment Television und dem WDR zu sehen sind, denn die Serie ist ja eben kein klassischer Krimi und sehr stark durcherzählt.
Vor einigen Jahren hatte ProSiebenSat.1 die Rechte an „Broadchurch“ gesichert. Das wäre im werbefinanzierten Fernsehen eine spannende Ausstrahlung geworden und hätte etwas öffnen können.
Peter Bose: Das ganz große Publikum erreichen europäische Serien in Deutschland wohl nur auf besagtem Sendeplatz am Sonntag um 22 Uhr beim ZDF. Es wird spannend sein zu beobachten, welche Entwicklung SVoD-Plattformen in Deutschland nehmen. So wie ich das bislang mitbekomme ist Netflix noch keine große Nummer?
Netflix und Amazon sind aktiv, aber die tatsächliche Reichweite ist unklar.
Peter Bose: Immerhin gibt es bei Ihnen Wettbewerb unter SVoD-Plattformen. Wettbewerb ist immer gut und hilft uns als Produzenten. Dass es mit Sony Entertainment Television eine Fläche für europäisches Programm gibt, bedeutet auch schon mal mehr Möglichkeiten Programm auch im deutschen Markt zu platzieren. Und auch in Skandinavien wird so das Duopol aus meist einem wichtigen öffentlich-rechtlichen und einem privaten Sender gebrochen. Der Marktplatz wird größer und eröffnet uns auch kreativ neue Möglichkeiten, weil es in den kleinen skandinavischen Märkten schon eine Herausforderung ist, Serien zu produzieren die eine Million Zuschauer oder mehr erreichen sollen - wenn weniger als fünf Millionen Menschen im Land leben. So hohe Erwartungen hätte in Deutschland niemand an eine Serienproduktion. SVoD-Player öffnen uns da die Nische.