Laut einer aktuellen Studie der Produzentenallianz, sind nur 39 Prozent der deutschen TV-Produzenten mit ihrer wirtschaftlichen Lage zufrieden. Gehören Sie zu diesen 39 Prozent?
Alessandro Nasini: Definitiv, definitiv. Das sage ich jetzt mal ganz unabgestimmt.
Arne Merten: Es könnte immer noch besser gehen, aber in der Tat kann man nicht behaupten, dass die Aussichten schlecht wären. Die Bedingungen verändern sich und derjenige, der sich damit am schnellsten arrangiert statt darüber zu klagen, ist am Besten aufgestellt.
2013 war also ein gutes Jahr für wellereiter.tv?
Alessandro Nasini: Das war ein sehr gutes Jahr. Wir haben in den 17 Jahren, in denen wir diese Firma jetzt führen, immer steigendes Wachstum verzeichnet. Ich denke mal, das ist ein gutes Zeichen. Die 61 Prozent des Produzentenmarkts, die ihre Situation in der Studie nicht so positiv bewertet haben, werden von der zunehmenden Fragmentierung des Marktes erwischt. Da hilft es wellenreiter.tv, dass wir mit 50 Mitarbeitern über einer gewissen kritischen Größe liegen, so dass wir von der Fluktuation der Kleinstfirmen nicht getroffen werden.
Sie waren mit einer Reportage mit Anke Engelke bei der Themenwoche „Glück“ im Ersten dabei. Können Sie sich über solche Themenwochen mit hoher Aufmerksamkeit freuen oder ärgert es, dass davon abgesehen so viele Dokumentationen und Reportagen auf unprominenten Sendeplätzen untergehen?
Arne Merten: Für uns war die Themenwoche „Glück“ zunächst mal eine super Gelegenheit, ein Format wie „Sowas wie Glück“ mit Anke Engelke auf einem sehr prominenten Sendeplatz zu zeigen statt zu später Nachtzeit zu versenden. Für diese Gelegenheiten muss man den Themenwochen der ARD sehr dankbar sein. Insofern möchte ich die Themenwochen lieber als Chance begreifen als kritisch betrachtet von einem Feigenblatt zu reden.
Alessandro Nasini: Wenn man die Chance hat, mit einer Dokumentation in der ARD um 20:15 Uhr zu laufen, sagt man erst einmal Danke. Das ist ein großes Vertrauen, das einem da entgegengebracht wird. Nichtsdestotrotz nehmen wir natürlich auch wahr, dass Dokumentationen und Reportagen in den vergangenen Jahren zunehmend auf Randsendeplätze verdrängt wurden, weil sie besonders in der Primetime hohe Quotenerwartungen haben. Auf diese Entwicklung bei ARD und ZDF haben wir uns als Firma eingestellt.
Inwiefern?
Alessandro Nasini: Wir kommen von der Reportage und Dokumentation, aber wissen natürlich auch, dass diese Sendeplätze rarer werden. Deswegen sind wir stärker in den Bereich Factual gegangen und haben Sendereihen entwickelt. Weil diese Genre und diese Form inzwischen lieber genommen werden.
Ihnen kommt die Öffnung der Öffentlich-Rechtlichen gegenüber neuen Formen des Infotainment also auch nicht unbedingt ungelegen…
Arne Merten: Die Lagerkämpfe zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sender sind definitiv vorbei. Im Gegenteil: Bei ARD und ZDF wird inzwischen intensiv das gesucht, was früher mal die Kernkompetenz der Privaten war, die Unterhaltung. Und die Privatsender haben Interesse an der Information gefunden, wenn man sich zum Beispiel die jüngsten Reportage-Formate bei RTL anschaut.
Alessandro Nasini: Wir produzieren derzeit Programm sowohl für den SWR als auch den WDR, wo es um Factual Entertainment geht. Damit kommt man tatsächlich auf prominentere Sendeplätze. Die Nachfrage danach nimmt auch eher zu als ab. Da sieht es besser aus als bei der klassischen Reportage oder Dokumentation. Und bei rund 50 Mitarbeitern können wir uns nicht nur die Bonbons aussuchen, sondern müssen natürlich in Bereiche gehen, in denen wir mehr Aufträge erwarten können.
Arne Merten: Wir erleben dabei aber spannende Erzählarten, etwa auch den Ansatz, dass reine Service-Themen inzwischen gerne kombiniert werden mit Gamification. Inzwischen wird ja mehr denn je getestet und gecheckt - mit dem Wunsch nach einer Bewertung.
Aber woher kommt denn plötzlich die Begeisterung dafür? Können Sie sich das erklären?
Alessandro Nasini: Ich glaube, sie hören sehr gut zu, was der Markt ihnen anbietet. Sie sind offener für Experimente geworden. Das ist vielleicht auch eine Frage der Personen, mit denen man zu tun hat. Und um nochmal zu der Studie der Produzentenallianz zurückzukommen: Der Fernsehmarkt war meiner Meinung nach noch nie so offen wie jetzt. Weil viele Schranken in den Köpfen mancher Beteiligten gefallen sind - oder neue Köpfe den Kurs vorgeben.
Mit „Mission mittendrin“ produzieren Sie auch für EinsPlus - würden Sie einen öffentlich-rechtlichen Jugendkanal begrüßen?
Alessandro Nasini: Definitiv ja. Ich bin ein großer Verfechter dieser Idee, weil ich sehr daran glaube, dass es in einem zunehmend fragmentierten Fernsehmarkt für ARD und ZDF die beste Lösung wäre, ein junges Publikum anzusprechen. Ich würde es mir zwar wünschen, dass ARD und ZDF das auch ohne Jugendkanal schaffen würden, glaube aber, dass diese Herkules-Aufgabe nicht mehr zu stemmen ist.
Aber schiebt man damit nicht jüngere Formate aus den Hauptprogrammen ab und beschleunigt deren Entwicklung zu Seniorenprogrammen?
Alessandro Nasini: Aber die Alternative wären unzählige Spagate, bei denen man im gleichen Programm junge Leute erreichen will, ohne die älteren Stammzuschauer zu verlieren. Das hat sich ja bislang als nicht sehr erfolgreich erwiesen. Und ich finde, dass ARD und ZDF ein Angebot brauchen, um die jungen Zuschauer, die vom Ki.Ka kommen, bei sich zu behalten. Derzeit finden sich doch junge Erwachsene im Programm der Öffentlich-Rechtlichen viel zu selten wieder.
Arne Merten: Hier geht es einfach darum, was pragmatisch möglich ist.
Aber wenn ich mir anschaue, dass ein „Neo Magazin“ im Netz mehr Zuschauer erreicht als bei ZDFneo - dann weiß ich nicht, ob das Beharren auf einem Fernsehkanal so sinnvoll ist oder man nicht gleich ins Netz geht.
Alessandro Nasini: Ich bin mir sicher, ARD und ZDF würden das sofort gerne machen, wenn sie denn dürften und der Rundfunkstaatsvertrag dementsprechend angepasst würde.