Foto: DWDLAm Samstagabend werden wieder Millionen Zuschauer in ganz Europa vor den Fernsehbildschirmen sitzen und beim Eurovision Song Contest mitfiebern. Und vielleicht wird es - wie auch im vergangenen Jahr - danach wieder Klagen über Blockbildungen und Punkteschiebereien geben. Dies ist zumindest, vielleicht auch aus Ermangelung eines deutschen Erfolges, in den vergangenen Jahren immer wieder ein beliebtes Thema der Boulevardpresse nach dem Wettbewerb gewesen. Und oft ist damit eine sicher berechtigte Frage verbunden: Wer darf eigentlich teilnehmen beim Eurovision Song Contest?

Eine geografische Erklärung anhand des heutigen Europas hilft nicht weiter. Dreimal gewann schon Israel und selbst Marokko war zumindest einmal als Teilnehmer, wenn auch glücklos, mit dabei. Und in diesem Jahr feiert Aserbaidschan seine Premiere. Wie also definiert der Eurovision Song Contest eigentlich Europa? Geht man dieser grundsätzlichen Frage nach, findet man erstaunliche Definitionen. Willkommen bei einer Zeitreise zu medienrechtlichen Merkwürdigkeiten vergangener Jahrzehnte. DWDL.de hat nachgeforscht.
 
Die EBU - Veranstalter des Eurovision Song Contest
 
Voraussetzung für eine Bewerbung eines Landes beim Eurovision Song Contest ist die Mitgliedschaft eines Fernsehsenders dieses Landes in der European Broadcasting Union (EBU), die den Wettbewerb seit 1956 veranstaltet. Damit beginnen wir die Zeitreise auf der Suche nach der Definition von Europa. Gegründet wurde die EBU im Februar 1950. Unter Führung der BBC schlossen sich damals 23 Rundfunkanstalten zusammen, um zunächst einmal ihre Zusammenarbeit bei der Nachrichtenberichterstattung zu verbessern und technische Entwicklungen im Radio- und Fernsehbereich zu standardisieren. Es folgten erste Eurovisions-Sendungen und 1956 der erste Eurovision Song Contest.
 


Die EBU trat 1950 die Nachfolge der schon 1929 gegründeten International Broadcasting Union (IBU) an, die allerdings von den Nationalsozialisten im zweiten Weltkrieg zur Überwachung des europäischen Rundfunks mißbraucht wurde und so danach das Vertrauen der Siegermächte verspielt hatte. Eine zwischenzeitlich gegründete International Broadcasting Organisation (IBO) mit Sitz in Prag existierte in seiner Gänze nur kurz: In Folge der Verstimmungen zwischen Ost und West wollten die westeuropäischen Länder keine Organisation mit Sitz in Prag. Die IBO als Verbund osteuropäischer Sender existierte bis zum Ende des Kalten Krieges - später bekannt unter dem Namen "Intervision". In Westeuropa entstand die EBU. Deutschland war bei der Gründung am 12. Februar 1950 im britischen Seebad Torquay nicht dabei, stieß aber 1952 mit der ARD dazu.
 
Eine Zeitreise zurück bis ins 19. Jahrhundert
 
Die Kuriositäten des Eurovision Song Contests waren da schon vorprogrammiert. So zählten schon zu Beginn der EBU die nordafrikanischen Staaten Marokko, Tunesien und Ägypten sowie aus dem Nahen Osten der Libanon dazu. Es folgten weitere Länder die geografisch nicht zu Europa gehören. Wieso? Laut Artikel 3, Paragraph 3 der EBU-Statuten sind alle Länder der so genannten European Broadcasting Area (EBA) sowie Mitglieder des 1949 gegründeten Europarates bei der EBU betrittsberechtigt. Das Bedarf also einer weiteren Erklärung: Welche Länder gehören eigentlich zur EBA und wie ist diese definiert?

Grafik: DWDL.de; Logo: EBU; Artwork: EBUDie Antwort auf diese Frage liefert die International Telecommunication Union (ITU), eine Organisation der Vereinten Nationen, die schon seit 1865 besteht und seit 1927 völkerrechtlich verbindlich technische Aspekte der weltweiten Telekommunikation regelt. Sie hat die European Broadcasting Area in den so genannten "Radio Regulations" festgehalten - und das schon 1932. Demnach verläuft die Grenze der EBA im Westen entlang einer künstlich gezogenen Linie quer durch den Atlantik. Im Osten endet der europäische Sendebereich am 40. Längengrad Ost und im Süden am 30. Breitengrad Nord.
 
Auch der Irak könnte am europäischen Wettbewerb teilnehmen
 
Letztere Grenze beruht auf den damals noch existierenden Kolonien europäischer Staaten in Afrika, die berücksichtigt wurden. Der Ostgrenze wurde damals keine große Bedeutung zugemessen, da sie ohnehin irgendwo im Gebiet des damaligen Russland verlief. Soweit die Fakten. Überträgt man diese auf eine Weltkarte bedeutet das: Große Teile Russlands, der Nahe Osten und die Nordküste Afrikas gehören zur Europa Broadcasting Area. Die von der ITU formulierten "Radio Regulations" zählen auch den Irak und Saudi-Arabien zur Europäischen Sendezone - und das noch heute, da sich an der Definition der European Broadcasting Area nichts geändert hat. So ist die Welt nach wie vor in drei Sendezonen aufgeteilt - unabhängig von allen politischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte.

So könnten in Zukunft auch die EBU-Länder Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Libanon und Jordanien am Eurovision Song Contest teilnehmen. Sie erfüllen bereits alle Voraussetzungen. Syrien, der Irak und Saudi-Arabien sind als Länder der European Broadcasting Area zum Beitritt in die EBU berechtigt und potentielle Teilnehmer. Der diesjährige Neuling Aserbaidschan hat wiederum eine andere Möglichkeit genutzt: Man gehört dem Europarat an - und hat darüber auch das Recht zum Eintritt in die EBU. Dort wiederum sollte man angesichts dieser Tatsachen die Regularien des Eurovision Song Contests noch einmal ganz genau überprüfen, wenn der Wettbewerb und die Definition von Europa nicht zur völligen Farce werden soll.

Dieser Artikel erschien in abgewandelter Form erstmals im Mai 2007 beim Medienmagazin DWDL.de