Herr Mojto, das ZDF hat gerade einige neue fiktionale Projekte angekündigt. RTL auch, darunter die von Ihnen und Nico Hofmann produzierte Miniserie über Hitler. Kommt dann irgendwann endlich auch etwas vom schönen „New Golden Age of Television“ in Deutschland an?
Sie steigen ja gleich mit einer Suggestivfrage ein (lacht). Einen Schub in der Entwicklung neuer Stoffe gibt es schon seit einigen Jahren zu beobachten. Viele Projekte sind aber einfach noch nicht fertig.
Ok, aber warum fühlt es sich bei uns so gar nicht nach dem „New Golden Age of Television“ an, was in den USA hingegen gerade zelebriert wird?
Die technologische Entwicklung der vergangenen Jahre hat den Zugriff auf das Fernsehen aus aller Welt sowohl für die Zuschauer, für die Produzenten, als auch für die Sender deutlich vereinfacht. Wir orientieren uns heute sehr viel stärker an dem Stil und an der Qualität von ausländischen Produktionen als noch vor zehn Jahren. Denken Sie an die Zeit vor „CSI“. Da waren deutsche Krimiserien - so wie sie waren - beim deutschen Publikum sehr gefragt. Seit „CSI“ befindet sich aber jede deutsche Krimiserie immer im Vergleich mit dem, was wir aus den USA kennen und als gut bewerten. Es ist so etwas wie ein unausgesprochener internationaler Standard entstanden, an dem das Publikum neue Produktionen in erster Linie bewertet. Es ist inzwischen üblich, frei empfangbaren Sendern bei uns vorzuwerfen, dass sie keine Serien wie „Breaking Bad“ oder „Game of Thrones“ machen. Diese laufen in den USA allerdings im Pay-TV. Da werden dann Äpfel mit Birnen verglichen. Aber grundsätzlich fördert dieser heutzutage automatisch bestehende internationale Vergleich einen neuen Qualitätsbegriff, der mich zuversichtlich macht. Auch wir in Deutschland werden mit Verzögerung ein „New Golden Age of Television“ erleben.
Warum hinken wir da hinterher?
Die Amerikaner haben anfangs nur für den eigenen Markt produziert. Irgendwann haben sie entdeckt, wie schön es ist, auch im Ausland zu vermarkten. Und wieder später, das war in den 90ern, haben sie gemerkt, dass das internationale Geld derart wichtig geworden ist, dass sie auch gleich mit Blick auf den internationalen Markt produzieren. Plötzlich waren die Amerikaner in Cannes bei der MIP vertreten. Diese Entwicklung hat jetzt auch die deutschen Produzenten erreicht. Für Produzenten sind die neuen Vermarktungs- und Finanzierungsmöglichkeiten attraktiv, und ich spüre eine neue Lust auf das internationale Geschäft, um international wahrgenommen zu werden. Dabei gilt dies eher für die Produzenten als für die Sender, was verständlich ist. Ein Erfolg von „Adlon“ oder „Unsere Mütter, unsere Väter“ im Ausland schmückt zwar den Auftrag gebenden Sender, aber ist für ihn nicht das entscheidende Element.
Könnte sich in einem solchen Markt auch das Machtverhältnis zwischen Sendern und Produzenten verschieben?
Dafür reicht allein die Tatsache, dass die Produzenten sich flexibler und schneller auf den neuen Wettbewerb einstellen, nicht. Die Produzenten würden gerne, können aber nicht. Die Sender könnten, wollen aber das internationale Geschäft zu selten. Und da die Produzenten oft nur einen unzureichenden Zugriff auf die Rechte haben, bleibt der internationale Markt meist ein Traum. So wie es zunehmend auch zum Traum wird, einen Auftraggeber zu finden, der einem 100 Prozent - oder sogar ein bisschen mehr - finanziert und inhaltlich einfach mal machen lässt.
Aber ist es nicht das, was Produzenten gerade Netflix zuschreiben und deswegen davon schwärmen?
Man soll nie aufhören zu träumen und daran zu glauben, dass es das Paradies gibt. Ich bin mir nur nicht sicher, ob diesbezüglich Netflix das Paradies ist.
Aber alle reden derzeit nur von Netflix
Vielleicht ist es schon das Unwort des Jahres? (lacht)
Werden die Erwartungen an Netflix überstrapaziert?
Meine ersten Erfahrungen in dieser Branche machte ich bei Leo Kirch und als er mich eingestellt hat, galt dort der Grundsatz: Software wird zur Hardware. Das bedeutet, die Inhalte – die Software – werden wichtiger als die Technik – also die Hardware. Das ist einer der Sätze von Leo Kirch, an die ich oft denke. Deswegen interessiert mich Programm. Deswegen mag ich Menschen, mit denen man sich über Geschichten unterhalten kann. Netflix ist zunächst einmal zwar eine technologische Entwicklung, aber seit wann reden wir über Netflix als neue Hoffnung? Erst seit „House of Cards“. Hardware braucht Software. Übergangsweise fasziniert uns gerade manche technische Möglichkeit, aber sie wird früher oder später Alltag werden. Unterscheiden wird sich Fernsehen nicht durch die Technik, sondern über den Inhalt. Netflix hat das erkannt. Sie brauchen moderne Fortsetzungsromane. Daher ist das eine erfreuliche Entwicklung.
Weil Sie das Wort gebrauchen: Sind Fernsehserien die Romane unserer Zeit?
Ja, natürlich. Der Fortsetzungsroman des 19. und 20. Jahrhunderts ist heute eine Fernsehserie und ich muss im Fall von Netflix nicht mal mehr auf Erscheinungstermine der weiteren Folgen warten
Aber ist der Netflix-Weg die Zukunft des Fernsehens?
Ich mag keine Zukunftsprognosen, die ein radikales Entweder-oder erwarten. Lineare Ausstrahlung hat eine Zukunft, wenn Fernsehsender klug genug sind, ihre eigenen Inhalte so zu verknappen und portionieren, dass ich als Fan der nächsten Folge entgegenfiebern muss. Man darf das nur nicht mit US-Ware machen, die sich der Zuschauer dann eben auf anderen Wegen besorgt. Deswegen müssen deutsche Fernsehsender, auch die kommerziellen, stärker auf eigene Programme setzen. Nur da können sie das Timing bestimmen. Und in einer Welt, in der alles überall verfügbar scheint, werden Verknappung und Exklusivität zu einem wichtigen Element.