Es gibt manche gesetzliche Regelungen, von denen man gedacht hatte, sie würden längst der Vergangenheit angehören. Das sogenannte "Tanzverbot" beispielsweise, vor allem rund um Ostern ist das noch in erstaunlich vielen Bundesländern aktuell. Auch in diesem Jahr dürfen vor allem an Karfreitag und Karsamstag in weiten Teilen der Republik keine öffentlichen Tanzveranstaltungen abgehalten werden. Aber zum Glück gibt es RTL+, wo pünktlich zu Ostern die neue Serie "Disko 76" startet. Die ist so gut geworden, dass es die Zuschauerinnen und Zuschauern kaum auf ihren Sofas halten dürfte. 

Angekündigt schon 2020 unter dem Titel "Disko Bochum" geht es in der neuen von UFA Fiction produzierten Serie um eine Gruppe von jungen Menschen, die im Bochum der 70er Jahre das Disko-Feeling für sich entdecken und sich nicht mehr einengen lassen wollen von den biederen Vorstellungen ihrer Eltern und der Gesellschaft. Es ist eine Serie, in der auch das wunderbare Wort "schwofen" fällt. Was im ersten Moment vielleicht etwas angestaubt klingt, entwickelt sich mit den Diskobeats schnell zu einer musikalischen Rundreise durch die 70er. 

Zugegeben, die Musik ist das größte Pfund, mit der "Disko 76" wuchern kann. Egal ob Boney M., Donna Summer, Abba, Kool and the Gang oder andere - sie sind alle Teil der Serie. Genauso wie die Tänze der Hauptdarsteller, allen voran von Jannik Schümann (Robert), Luise Aschenbrenner (Doro) und Emma Nova (Elli). Ihre zwischenzeitlichen Tanzeinlagen können sich sehen lassen und spätestens jetzt stehen sie wohl auf der Kandidatenliste für die kommende "Let’s Dance"-Staffel. Sie dürften für die Serie jedenfalls die eine oder andere Tanzstunde genommen haben. 

Eine Nachverwertung der Schauspielerinnen und Schauspieler in der RTL-Tanzshow würde wohl ziemlich gut in das Konzept der Bertelsmann Content Alliance passen, die zur Serie jetzt auch noch einen entsprechenden Roman herausbringt. Wie das ohne die starke musikalische Untermalung funktionieren soll, steht auf einem anderen Blatt. Denn bei "Disko 76" gibt es nicht nur lange Musik-Szenen in der Disko, auch normale Spielszenen sind immer wieder wunderbar mit Musik hinterlegt, sodass man irgendwann gar nicht mehr anders kann und die gute Laune, die diese Songs versprühen, in sich aufnimmt. Und das übrigens unabhängig davon, ob man in der Zeit aufgewachsen ist oder nicht. 

Clash der Kulturen

Inhaltlich punktet die Serie vor allem damit, dass man zwei völlig unterschiedliche Welten aufeinanderprallen lässt. Hier Doro und ihre Geschwister, die sich von alten Konventionen und Regelungen nicht mehr gängeln lassen wollen. Und auf der anderen Seite ihre Eltern, die einen Feinkostladen betreiben und ein altes Verständnis von Mann und Frau sowie von Tanz und Musik haben. 

"Disko 76" spielt in einer Zeit, die viele Menschen in Deutschland heute schon vergessen haben. Es ist eine Zeit, in der es in der Ehe eine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenverteilung gab. Und diese sah vor, dass sich die Frauen nun mal um den Haushalt zu kümmern haben. Arbeiten durften sie nur, wenn ihnen ihr Mann das erlaubte. Darunter leidet vor allem Doro, die ihren Job im Kindergarten eigentlich sehr mag. Ihr Mann entscheidet dann aber, dass sie sich darauf konzentrieren soll, ein Kind zu bekommen. Es ist aber auch die Zeit, in der ein Arzt bei der Untersuchung einer schwangeren Frau rauchen durfte und in der werdende Mütter Cocktails mit nur ein bisschen Eierlikör bekamen. Durchbrochen wird diese bittere Realität immer wieder durch humoristische und nicht-reale Überhöhungen, die mal mehr und mal weniger gut eingebunden sind.

Disko 76 © RTL Auch Michael Jackson (Shan Robitzky) hat einen kurzen Auftritt in der Serie

Doro, aus deren Perspektive die gesamte Serie erzählt wird, hat dann ihre Erweckung, als sie erstmals eine Disko von innen sieht. Danach wagt sie den schwierigen Balanceakt zwischen neu entdeckter Freiheit und den ihr auferlegten Ehe-Pflichten. Überhaupt spielen Erweckungen bei den verschiedenen Figuren immer wieder eine Rolle. Doros Bruder Georg (Jonas Holdenrieder) begeht Fahnenflucht und entdeckt später, dass eine langjährige Freundin vielleicht doch mehr sein kann. Doros und Georgs Schwester Johanna will Pilotin werden, was Frauen in den 70er Jahren aber noch nicht erlaubt war. Hoch über den Wolken hat sie schließlich ihre eigene Erweckung. Über die sechs Folgen hinweg sind diese Storylines nicht gleichbleibend gut und relevant, in sich bleibt "Disko 76" dennoch immer stimmig. 

Doro und Georg haben schließlich die Möglichkeit, die familieneigene Eck-Kneipe zu übernehmen. Die läuft nicht gut und dann ist da auch noch ihr Vater, der sich jedem Wandel verschließt und damit allen Kindern regelmäßig vor den Kopf stößt. Schon gar nicht will er irgendwelche "Halligalli"-Veranstaltungen in der Kneipe sehen. "Disko 76" ist damit in weiten Teilen auch eine sehr politische Serie, in der es um den Freiheitskampf der jungen Figuren geht und in der Generationenkonflikte ausgetragen werden. 

Eine Welt, in der man sich verlieren kann

Am Ende schaffen es Doro und Georg, ihre eigene kleine Disko aufzuziehen. Aber auch das läuft nicht völlig reibungslos. Denn damit ziehen sich die beiden Geschwister den Zorn der etablierten Konkurrenz auf sich. Und hier kommt Robert (Jannik Schümann) ins Spiel, der schnell eine emotionale Beziehung zu Doro aufbaut, aber auch mit einer Disko-Besitzerin (Natalia Wörner) in Düsseldorf verbandelt ist - letzteres aber eher gezwungenermaßen. 

"Disko 76" transportiert das Disko-Gefühl der 70er Jahre hervorragend, da hätte es einen Auftritt der Jackson 5, inklusive Moonwalk von Michael Jackson, nicht gebraucht. Dennoch hat die Serie das Zeug dazu, zur Überraschung des Jahres zu werden. Gerade wegen des starken Fokus auf die Musik (Musik-Verantwortlicher: Christopher Bremus), aber auch dank eines starken Ensembles rund um Luise Aschenbrenner. Das Autoren-Team um Linda Brieda und die beiden Regisseure Florian Knittel und Lars Montag haben eine Welt geschaffen, in der man sich verlieren kann und in der sowohl Charaktere als auch Publikum beschwingt werden. Das können nicht einmal Gesetze verbieten. 

"Disko 76" steht ab dem 28. März zum Abruf bei RTL+ bereit. Nitro zeigt alle Folgen an Ostermontag, den 1. April, ab 20:15 Uhr.