Vor ziemlich genau 15 Jahren, am Abend des 26. April 2002, saß ich im Black Pearl, einem kleinen Club im verträumten Städtchen Montreux am Ufer des Genfer Sees. Am Rande des Fernsehfestivals Rose d'Or hatten die Macher einer britischen Show namens "Pop Idol" zum Showcase geladen, gefolgt von einem kurzen Livekonzert mit dem 23-jährigen Will Young, der wenige Wochen zuvor die erste Staffel des neuen Casting-Formats gewonnen hatte. Was ich damals sah, fühlte sich frisch und innovativ an für einen TV-Markt, auf dem das Genre Casting bis dato ausschließlich aus der Doku-Soap "Popstars" bestand.

Ein bisschen elektrisiert, versuchte ich herauszufinden, wie die Chancen auf eine deutsche "Pop Idol"-Version stünden. Die Soap-Fabrik Grundy UFA (heute UFA Serial Drama) war zum damaligen Zeitpunkt mit den Verkaufsbemühungen betraut und biss sich die Zähne an deutschen Senderchefs aus, von denen keiner das Risiko eingehen wollte. Erst einige Monate später, nach UFA-internem Wechsel, gelang es Show-Chefin Ute Biernat, den skeptischen RTL-Boss Gerhard Zeiler von "Deutschland sucht den Superstar" zu überzeugen. 14 Staffeln und etliche glanzvolle Quotenrekorde später geht am Samstag eine Staffel zu Ende, die mit der einstigen Strahlkraft des Formats nicht mehr viel zu tun hat.

 

Noch nie hatte "DSDS" so wenige Zuschauer, wie meine Kollegen in der Zahlenzentrale wiederholt anhand immer neuer Tiefstwerte feststellen mussten. Als "American Idol", die wohl größte und stilbildendste aller 55 weltweiten "Idols"-Versionen, Anfang 2016 bei Fox wegen sinkender Quoten und explodierender Kosten in die letzte (und 15.) Runde ging, betitelte die "New York Times" ihren Nachruf: "How Pop Music Left 'American Idol' Behind". Die rasante Social-Media-Entwicklung, so der Tenor, habe nicht nur die Wahrnehmung von Reality-TV, sondern auch die Regeln des Musikbusiness umgeworfen und die Show damit zum obsoleten Dinosaurier gemacht. Während diese Bestandsaufnahme auch auf die hiesige Großwetterlage zutrifft, spielen beim akuten Niedergang von "DSDS" noch ein paar andere Faktoren eine Rolle.

Exotische Locations ziehen nicht mehr

Malediven, Curaçao, Kuba, Thailand, Jamaika, Dubai. Schaut man sich an, wo RTL und die Produktionsfirma UFA Show & Factual in den vergangenen Jahren ihre "DSDS"-Recalls abgehalten haben, könnte man glatt auf die Idee kommen, hier sei der Fahrplan des ZDF-"Traumschiffs" kopiert worden. Ähnlich wie beim öffentlich-rechtlichen Seriendampfer ist es üblich, dass Tourismus-Marketing-Kooperationen die Wahl der Locations beeinflussen. So umfassend und generalstabsmäßig wie mit dem arabischen Emirat in dieser Staffel lief es freilich noch nie. Die "DSDS"-Produktion nahm großzügige Beistellungen vom Dubai Department of Tourism and Commerce Marketing (DTCM), von der staatlichen Fluggesellschaft Emirates und vom Hotelkonzern Jumeirah an.

Das kam dem Sender finanziell zupass, weil durch eine Regeländerung diesmal auch während des laufenden Recalls noch jede Menge neue Casting-Kandidaten in der Show auftauchten – somit also viel mehr Personen als sonst an den Recall-Ort geflogen und dort untergebracht werden mussten. Die deutschen TV-Macher zeigten sich erkenntlich, indem sie Kandidaten und Jury vor sämtlichen Postkartenmotiven des Wüstenstaats platzierten. "Die Aufzeichnung der Show im Emirat ist eine ganz besondere Gelegenheit, Dubai und seine Vielfältigkeit einem großen Publikum zu präsentieren", jubelte bereits im Dezember Tourismus-Chef Issam Abdul Rahim Kazim. Reiseanbieter wie L'Tur bewerben Dubai-Reisen nun mitsamt "DSDS"-Logo und -Ausschnitten (O-Ton: "Alle DSDS-Recall-Locations werden bei den Ausflügen gesehen"). Alison Broadhead, Chief Commercial Officer der Jumeirah Group, sprach im März auf der ITB in Berlin explizit über ihre "DSDS"-Gastgeberrolle, die dazu beitragen werde, die Zahl der gebuchten Übernachtungen aus dem deutschen Markt zu steigern.

Zu Verstimmungen kam es lediglich, als Ende März ein paar Zitate von Chefjuror Dieter Bohlen in der Funke-Illustrierten "die aktuelle" erschienen. Der hatte in Dubai gegenüber Journalisten gemeckert: "Essen ist teuer, 'ne Flasche Wein ist mega teuer. Ich würde mir das nie leisten, da bin ich ganz ehrlich." Und weiter: Auf Mallorca mache es noch Spaß, "ein Bierchen zu trinken. Hier denkt man ja, man hat 'nen VW gekauft." So viel Offenheit verstieß gegen die Kooperationsregeln und zog sofort einen bösen Brief aus Dubai nach sich. All der Ärger für nichts: Die TV-Zuschauer ließ Dubai jedenfalls eher kalt, die Recall-Quoten fielen noch niedriger aus als zuletzt üblich. Wen der Inhalt ansonsten nicht kümmert, lässt sich im Jahr 2017 auch nicht mehr von vermeintlich exotischen Locations blenden.

Ständige Regeländerungen ziehen nicht mehr

Dass der Recall beim Publikum so schlecht ankam, hat wohl vor allem mit dem Chaos zu tun, das eine geradezu absurde Regeländerung nach sich zog. Mit dem Ziel, mehr Spannung zu erzeugen, überraschte man die bereits weitergekommenen Recall-Kandidaten, indem plötzlich völlig neue Casting-Kandidaten auftauchten und gegen sie antreten durften. Am Bildschirm war angesichts der vielen unbekannten Gesichter kaum noch nachvollziehbar, wer warum woher kam. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem idealerweise ein klar erkennbarer Cast mit Identifikations- und Hassfiguren vorhanden wäre. Als eine Art Folgefehler der Verwirrung ließen die Macher dann noch drei Kandidaten sang- und klanglos zwischen Recall und Mottoshows verschwinden, was erst zu Protesten führte und schließlich durch eine Nachrückaktion mittels eilig eingeführter "Wildcard" teilkorrigiert wurde.

Der ganze Vorgang sagt viel aus über die interne Verzweiflung, mit der man in Köln versucht, gegen den Niedergang des einstigen Quotenschlachtschiffs anzumanagen – und ihn dadurch nur noch beschleunigt. Klare, für den Zuschauer nachvollziehbare Spielregeln sind das Elixier jeder Show, in der es um Wettkampf geht. Hätte das Urformat "Idols" – und lange Jahre auch die deutsche Version – dies nicht beherzigt, wäre es niemals so groß geworden. Verloren gegangene Spannung durch verkomplizierte Regeln zurückholen zu wollen, erweist sich fast immer als Holzweg. Dennoch versucht man es bei "DSDS" seit geraumer Zeit immer wieder mal. Und provoziert damit regelmäßig Konflikte mit den Rechteinhabern des Formats.