Auch im Fall der jüngsten Wildcard-Lösung war das so. RTL schrieb in seiner Pressemitteilung Mitte April: "Da DSDS internationalen Regeln unterliegt, hat es etwas Zeit in Anspruch genommen, um eine faire Lösung abzustimmen." Aus dem PR-Deutsch übersetzt heißt das: Die Telefonkonferenzen mit hoch bezahlten Entertainment-Anwälten in London und Los Angeles zogen sich tage- und nächtelang hin.

Selbst für Insider ist es inzwischen schwer zu überblicken, wessen Interessen bei jeder Änderung am Format berücksichtigt werden müssen. FremantleMedia, der Produktionsarm der RTL Group, vertreibt und managt "Idols" zwar, muss sich die Rechte jedoch seit jeher mit Koproduzenten teilen. Kompliziert wurde die Struktur dadurch, dass die ursprüngliche Firma von "Idols"-Erfinder Simon Fuller durch Fusionen und Übernahmen mehrfach den Besitzer gewechselt hat.



Vereinfacht gesagt, ist der zweite große Rechteinhaber neben Fremantle heute die Core Media Group, eine Holding mehrerer US-Produktionsfirmen. Diese wurde 2015 vom Finanzinvestor Apollo zusammen mit Endemol in die Fusion mit der Shine Group der 21st Century Fox eingebracht. Apollo und Fox führen Core jedoch weiterhin unabhängig von ihrer Endemol Shine Group. Trotz seines Ausstiegs 2010 hatte Simon Fuller noch bis 2016 eine 10-prozentige Gewinnbeteiligung am Format sowie kreatives Mitspracherecht. Diese Regelung wurde voriges Jahr im Zuge einer gerichtlichen Auseinandersetzung und einer Insolvenz von Core aufgehoben, nachdem "American Idol" ausgelaufen war und die Parteien sich mit Millionenforderungen überzogen hatten.

Der Schlenker ist notwendig, um zu verstehen, welchen Rattenschwanz RTL mit jeder Regeländerung an "DSDS" heraufbeschwört. Aufwand und Nutzen stehen nicht mehr im Verhältnis. Die Konstellation von Fremantle und Core spielt aber auch gleich noch eine Rolle, wenn es um die mögliche Zukunft des Formats geht.

Schlagertitan Dieter Bohlen zieht nicht mehr 

RTL hat sich von seinem Chefjuror Dieter Bohlen in einer Weise abhängig gemacht, wie es wohl weltweit einmalig ist. Selbst sein langjähriger US-Counterpart Simon Cowell – noch härter, noch fieser und noch besser bezahlt als Bohlen – wurde nach neun Staffeln ausgetauscht, ohne dass "American Idol" darunter gelitten hätte. Anders in Köln: Zwei Wochen nach dem diesjährigen "DSDS"-Finale feiert RTL den "erfolgreichsten Produzenten und Fernsehjuror Deutschlands" sogar eigens mit einem Samstagabend-Spektakel namens "Dieter Bohlen – Die Mega-Show". Laut Inhaltsangabe wird es viel um die Vergangenheit gehen: um "Ballonseide-Anzüge und schräge Frisuren" aus der Modern-Talking-Zeit, um die "simulierten Ohnmachten" von Thomas Anders' Freundin Nora – und auch um eine Neufassung des "DSDS"-Hits "We Have a Dream" aus der allerersten Staffel.

Dass vor allem Bohlens Erinnerungen an vergangene Zeiten aufleben sollen, passt irgendwie zum Zustand von "DSDS". Obwohl der Mann im TV und in der Boulevardpresse immer noch gern "Poptitan" genannt wird, hat das schon seit Jahren nicht mehr viel mit der Realität zu tun. "Schlagertitan" wäre längst angebrachter. Bohlen komponiert und produziert heute in erster Linie für Andrea Berg und Vanessa Mai. Das ist lukrativ, weil die Schlager-Zielgruppe noch überdurchschnittlich oft Tonträger kauft und treu zu den Konzerten ihrer Stars pilgert. Dem Coolness-Faktor in jungen Zielgruppen hilft das weniger. Denn anders als Helene Fischer haben es die genannten Sängerinnen nicht geschafft, zum alters- und zielgruppenübergreifenden Phänomen zu werden. 

Weil Bohlen mit neuen Alben für Berg und Mai alle Hände voll zu tun hat, verzichtet er dieses Jahr sogar darauf, den "DSDS"-Sieger zu produzieren. Das ist in 14 Jahren "DSDS" erst dreimal vorgekommen. Während sich früher sein Erfolg in der Popwelt und seine Sprücheklopfer-Qualitäten im TV gegenseitig zu beachtlichem Kultpotenzial bei den ganz jungen Zuschauern verstärkten, zehrt Bohlen an dieser Front heute nur noch von der Jury-Dauerpräsenz. Die Show bringt ihm inzwischen mehr als er der Show.

Was hat das mit der Zukunft von "American Idol" zu tun?

"Ich würde nicht ausschließen, dass 'American Idol' in naher Zukunft auf einem größeren Sender zurück ins US-Fernsehen kommt", sagte Guillaume de Posch, Co-CEO der RTL Group, Mitte März im DWDL.de-Interview. Eine Aussage, die manche aufhorchen ließ. Schließlich war die letzte Show zu diesem Zeitpunkt noch kein ganzes Jahr her. Was de Posch im Sinn hatte, wird jetzt klarer: Nach US-Medienberichten hat der zu Disney gehörende TV-Sender ABC vorige Woche FremantleMedia kontaktiert und ein Angebot für ein "American Idol"-Comeback unterbreitet. Die Rede ist von einem gewünschten Start im März 2018.

Doch die Rechteteilung zwischen Fremantle und der Core Media Group macht die Sache kompliziert: Bevor Fremantle mit ABC verhandeln kann, braucht es das Okay von Core. Zuvor hatten bereits NBC und Altsender Fox Angebote für ein Revival abgegeben. Dem Vernehmen nach tendierte man bei Fremantle zu NBC, das offenbar auf eine von zwei "The Voice"-Staffeln pro Jahr verzichten und stattdessen "Idol", "Voice" sowie das ebenfalls von Fremantle produzierte "America's Got Talent" im Wechsel zeigen wollte. Bei Core jedoch befürchtete man einen Interessenkonflikt auf Seiten Fremantles, der dazu führen könnte, dass "Idol" unter Wert verkauft würde. Die Verhandlungen kamen vorerst zum Erliegen.

Wie auch immer der Hickhack zwischen den Rechteinhabern ausgeht – dass "American Idol" nächstes Jahr nach dann zweijähriger Pause auf den Bildschirm zurückkehrt, ist inzwischen wohl recht wahrscheinlich. Damit gibt es einen Präzedenzfall, der zweierlei zeigt: Grundsätzlich hat das Format auch nach 15 Jahren immer noch Potenzial. Und eine Pause zum richtigen Zeitpunkt bedeutet keineswegs das Ende – sondern vielmehr die Chance auf einen Neustart unter frischen Bedingungen, ohne manchen Ballast, der sich über die Zeit angesammelt hat.