Trend Nr. 2: Mehr On-Demand!
Hat Netflix die deutsche TV-Landschaft seit seinem Markteintritt im vergangenen September schon revolutioniert? Klare Antwort: nein! Wie zu erwarten, war mancher voreilige Hype übertrieben - und auf die erste deutsche Netflix-Serie werden wir auch noch eine Weile warten müssen.
Was nicht übertrieben ist: Der Stellenwert der Nutzung von audiovisuellen Inhalten auf Abruf steigt unaufhörlich. Rund ein Fünftel aller deutschen Onliner nutzt heute VoD-Angebote, für die kommenden Jahre prognostiziert Goldmedia dem Abomodell SVoD ein jährliches Wachstum um 50 Prozent. Parallelstrategien für lineare und nonlineare Angebote werden zum notwendigen Rüstzeug der TV-Macher. Von globalen VoD-Giganten wie Netflix oder Amazon zu lernen, kann dafür durchaus lohnend sein. Sie haben 2014 rund 3 Milliarden Dollar (Netflix) bzw. zwischen 1,5 und 2 Milliarden Dollar (Amazon) in ihre Inhalte investiert.
Man lernt dann schnell, dass das Zauberwort 'Big Data' heißt. Es ist nicht weniger als eine Zeitenwende für kreative Prozesse, wenn Algorithmen den Nutzer, seine Wünsche und Interessen so präzise vorausberechnen können, dass sich mäßig sichere Testinstrumente wie Piloten und Marktforschung erübrigen. Wo TV-Sender sich mit Quoten als eher grobem Werkzeug behelfen, gehen die Bosse von Amazon und Netflix beherzter zur Sache, weil sie genau wissen, welche Zutaten in welcher Zielgruppe Potenzial haben und was diese Zielgruppen wert sind.
Aus Sicht der Kreativen tritt ein vergleichsweise kompromissloser "Ja oder Nein"-Prozess an die Stelle des überkommenen "Ja, vielleicht, aber bitte hier ein bisschen anders und da ein bisschen anders"-Prozesses der klassischen Fernsehindustrie. Je mehr digitale Anbieter ihre On-Demand-Plattformen erfolgreich am Markt platzieren, desto breiter greift diese Maxime um sich. Ganz zu schweigen vom verwöhnten, mächtigen Konsumenten, der immer weniger bereit sein wird, sich Zeiten oder Orte für seine Nutzung aufoktroyieren zu lassen.
Detaillierte Prognosen für den On-Demand-Markt sind deshalb so schwierig, weil er permanent in Bewegung ist. Obwohl eine offizielle Bestätigung noch aussteht, halten sich hartnäckig die Gerüchte, dass Amazon im Laufe des Jahres neben Prime Instant Video einen werbefinanzierten VoD-Service für Nichtmitglieder starten will. Je nachdem, wie attraktiv das Angebot wird, könnten kostenpflichtige Dienste wie Netflix darunter leiden.
Auch Online-Video-Gigant YouTube hat die Ambition, Netflix & Co. qualitativ auf den Pelz zu rücken. Hohe Summen werden immer gezielter in einzelne Talente investiert, die eine hohe Nutzerbindung und Verweildauer erreichen. Die Folge ist eine Professionalisierung des Marktes, die ohnehin schon vorhandene Trennung zwischen wenigen richtig großen YouTube-Profis und dem breiten Rest wird sich weiter verstärken. Diesen Prozess können die heutigen Multi-Channel-Networks nur überleben, wenn sie auf Klasse statt einzig und allein auf Masse setzen.
Spannend wird in diesem Zusammenhang auch der Launch der neuen US-Plattform Vessel im Laufe des ersten Quartals, der zur weiteren Diversifizierung des On-Demand-Markts beitragen dürfte. Dahinter steckt der frühere Hulu-CEO Jason Kilar. Er setzt auf einen Mix aus 2,99 Dollar monatlicher Abogebühr plus Werbefinanzierung. Dafür werden die besten, populärsten Online-Video-Formate dort zuerst zu sehen sein - mehrere Tage vor YouTube & Co. Kilar spricht bewusst von einem "first window" und spielt damit auf die Annäherung an klassische Auswertungsfenster der TV-Industrie an.
Zum Start werden u.a. die TV-Gruppe A&E Networks, MCNs wie Machinima oder Tastemade, populäre YouTuber wie Rhett & Link oder Hollywood-Star Alec Baldwin (mit seiner neuen Originalserie "Alec Baldwin's Love Ride") ihre Inhalte hinter die Paywall von Vessel stellen. YouTube selbst sowie die MCNs AwesomenessTV und Fullscreen werden wohl im Laufe des Jahres mit ähnlichen Premium-Abo-Angeboten nachziehen.
Mehr und mehr wird es damit zu einer Frage des Geschäftsmodells - abo- oder werbefinanziert oder ein Mix aus beidem - und immer seltener wird sich der lange gepriesene Charme des Amateurhaften gegenüber "premium content" durchsetzen können. Bis ein Klick auf die Smart-TV-Steuerung jedoch YouTube oder Vessel in puncto Anspruch und Verweildauer mit Netflix oder Amazon gleichstellt, gilt es noch einiges aufzuholen. Netflix wird jedenfalls in den kommenden Monaten mit der dritten Staffel von "House of Cards", mit "Daredevil" (Charlie Cox als Marvel-Superheld) oder der Comedy-Serie "Unbreakable Kimmy Schmidt" (von den "30 Rock"-Masterminds Tina Fey und Robert Carlock) nachlegen, Amazon mit "Point of Honor" von "Lost"-Macher Carlton Cuse oder "The Man in the High Castle" von "Akte X"-Producer Frank Spotnitz.
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