Nein, man sollte keine Nation und ihre Bürger pauschal verurteilen, aber die Gäste um uns herum - nun ja, sagen wir mal so: Sie kommen nicht gerade aus den aufgeschlosseneren, intellektuelleren Küstenregionen der USA. Fast alle sind von weit weg angereist - irgendwo aus der Mitte des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten. Bei manchem ist es sogar der Jahresurlaub - und gleichzeitig die Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie lachen jetzt vielleicht, aber die Chance auf eine Teilnahme unten am Ratepult und der mögliche Gewinn ist für die meisten Kandidaten ein ernstes Ziel. Da wird die Tochter nochmal nachgeschminkt - nachdem auch die Mutter schnell nachjustiert hat. Da werden potentielle Konkurrenten mit ähnlich liebevoll gestalteten T-Shirts missfällig begutachtet. Zumindest solange bis es auffällt.
Man überbietet sich mit Erzählungen von bevorstehenden Hochzeiten, Jahrestagen oder, mit umgekehrter Wirkung, von besonders traurigen Schicksalsschlägen. Hauptsache auffallen. Während wir gerade unsere Namensschilder gezeichnet bekommen und schriftlich versichern, in den letzten 12 Monaten in keiner Gameshow gewonnen zu haben, brandet nur hör- und nicht sichtbar hinter der nächsten Ecke Applaus auf. Mit dem Namensschild auf der Brust biegen wir um jene Ecke und seufzen: Nummer 111 war natürlich schon im Wartebereich Nr. 2, hatte wieder jemanden gefunden, der seine Tricks noch nicht kannte und zauberte. Wir entwickelten politisch völlig unkorrekte Hassgefühle. Warten bei "The price is right" bedeutet übrigens: Geld ausgeben. Ein Getränkestand mit Preisen, die der hilflosen Situation der Kandidaten, die das Gelände jetzt nicht mehr verlassen durften, angepasst sind. Natürlich gibt es auch einen Souvenir-Shop. Und eine Foto-Gelegenheit. Einmal Vermarktung rundum.
T-Shirts verkaufen sich aber schlecht, verrät die Verkäuferin im Souvenir-Shop. Kein Wunder: Fast jeder um uns herum hat ja schon eins oder sich eins selbst gebastelt. Ohne die Show erlebt zu haben oder die Macher hinter den Kulissen schon getroffen zu haben, ist uns längt klar, dass "The price is right" in den USA ein Kult ist, wie es ihn in Deutschland um keine TV-Show je gegeben hat. Video- und Brettspiele gibt es, Bücher und Zeitschriften, Slotmachines in den Casinos von Las Vegas und sogar eine eigene Show dort. Und das liegt nur zum Teil an der Begeisterungsfähigkeit der Amerikaner, sondern viel an Tradition: Nicht wenige Familien sind in drei Generationen angereist. Großmutter, Mutter und Tochter zum Beispiel. Sie alle freuen sich, auch wenn Großmutter sicher lieber noch Bob Barker auf der Bühne sehen würde. Doch nach stolzen 35 Jahren gab der die Moderation der Sendung 2007 an Drew Carey ab. Jener Wechsel wurde damals skeptisch beobachtet und das nicht nur in den USA.
Hing das Format nicht nur noch an dem immer älteren Publikum, das mit Gastgeber Bob Barker alt geworden ist? Die Befürchtung war jedoch umsonst. Längst wird Carey von den Jüngern der Show akzeptiert. Das fiel wohl auch deshalb leicht, weil sonst nicht zu viel modernisiert wurde. Die Großmutter muss nicht noch weiter verschreckt werden. "Marry me Drew" steht auf mehr als einem T-Shirt. Die vorsichtige Modernisierung ist auch grundsätzlich ein gutes Zeichen für FremantleMedia, die Produktionstochter der RTL Group. Denn auch wenn die Show international bereits in über 40 Ländern lief - so sind es aktuell nur noch ein Dutzend. Wie in Deutschland hielt das Format in vielen Ländern nur wenige Jahre durch. Ein neuer Moderator und eine etwas frischere Verpackung gaben 2007 Hoffnung für einen neuen Anlauf im weltweiten Formatgeschäft. Richtig gezündet hat es jedoch noch nicht.
Um so interessanter ist es, einen Blick auf den US-Erfolg zu werfen, wo "The price is right" weiterhin Kult ist und in den letzten Jahren auch immer mal wieder als Lückenfüller in der Primetime lief. Es ist inzwischen 10 Uhr an diesem Juli-Morgen in Los Angeles, also noch gut zwei Stunden bis zur Aufzeichnung. Jetzt kommt das, was die Show so einmalig macht. Was sie vor allem von dem unterscheidet, was wir im Tagesprogramm des deutschen Privatfernsehens erleben. Das Casting echter Protagonisten. Stan Blits, Co-Producer der Show, interviewt zusammen mit zwei Helfern jeweils zehn Kandidaten auf einmal. Gruppe für Gruppe die gleichen Fragen: Woher kommen Sie? Was machen Sie? Und wer dabei Interesse weckt, kriegt weitere Fragen gestellt. Manche machen sich basierend darauf schon Hoffnungen.
Auf Regiestühlen sitzend haken die Helfer dabei auf der durchnummerierten Liste ab, wer in Frage kommt und eine Chance kriegen könnte. Über das genaue Verfahren will keiner im Team später nach der Sendung Genaueres verraten. Schon jetzt würden sich viel zu viele zu sehr anstrengen und dabei nicht mehr natürlich sein. Ach was, denken wir uns - und denken an James zurück. Der war bedauerlicherweise in der Interview-Gruppe vor uns - so konnten wir nicht mitverfolgen, wie sein übermäßiges Selbstvertrauen ankam. Ohne amerikanische Social Security-Nummer, die jeder angeben muss, der gewinnen will, sind wir ohnehin aus dem Rennen. Langsam setzt Müdigkeit ein. Aber es ist immerhin schon kurz nach 11 Uhr und wir warten auf der letzten Wartebank vor dem Einlass ins Studio. Zu diesem Zeitpunkt werden die Handys und Kameras eingesammelt.
Zum Zeitvertreib werden wir berieselt mit Highlights alter "The price is right"-Folgen. Das spornt die gewinn-bereiten Fans um uns herum wieder an. Sie jubeln mit, sie leiden mit. Sie verrenken sich die Hälse, um die auf den aufgehängten Screens gezeigten Bilder zu verfolgen. Schöner Nebeneffekt: James findet niemanden, der ihm seine Aufmerksamkeit schenkt. Wer in Wartebereich Nr. 2 eine Essensbestellung aufgegeben hatte, wurde jetzt versorgt. Nach immerhin knapp fünf Stunden entwickelte sich bei offenbar sehr vielen ein Hungergefühl. Auch wir haben bestellt. Chicken Fingers. Mit neuen Kräften legte die Meute dann so richtig los: Von Laola-Welle bis zu Gesangseinlagen. In den Minuten vor dem vermuteten Einlass peitschen sich die Kandidaten plötzlich gegenseitig hoch.
Kein Warm-Upper, keine Anweisungen, keine Vorlagen. Allein die Aussicht auf eine Gewinnchance von 12 zu etwa 300 scheint genug zu sein. Plötzlich wird auch eine Gruppe von Freundinnen in ihren Fünfzigern lebendig. Sie gackern und scherzen rechts von uns. Und links von uns fängt James schon wieder an. Alle klatschen. Nicht wegen James, nicht im Rhythmus, nicht als Applaus. Nein, jetzt wollen alle einfach nur noch, dass es los geht. Rein ins Studiogebäude, die Treppe rauf und am Schild mit dem wahrscheinlichen Ausstrahlungsdatum dieser Aufzeichnung - Januar 2013 - vorbei ins Studio 33, einer kunterbunt verspielten Kulisse, die Animateuren in Ferienclubs ums Mittelmeer und noch weit darüber hinaus Tränen in die Augen treiben würde. Dazu die passende Musik. Nur ein Clubtanz fehlte im Grunde noch. Aber auch so zuckelten halt alle für sich und doch in gemeinsamer Extase dem Beginn der Sendung entgegen.