Herr Zervos, mit "Der Schwarm" und "Children of Mars" arbeitet das ZDF gerade an zwei Science-Fiction-Serien. Wie konnte das denn passieren?
(lacht) Ja, da bin ich selbst auch immer noch überrascht, dass ich das durchbekommen habe. Aber beide passen ganz gut in unsere neue Strategie.
Ich bin auf dem Weg in Ihr Büro einen sehr langen Flur entlang gelaufen, in dem dutzende Titelseiten des "Stern TV-Magazin" mit Fernsehfilmen des ZDF der vergangenen Jahrzehnte langsam vergilben. Und dann kommt der noch recht neue Fiction-Chef mit einer Science Fiction-Geschichte?
Mir hat natürlich der Name Frank Schätzing und die Bekanntheit des Buches, immerhin eines der meistverkauften Bücher in deutscher Sprache, sehr geholfen. Ich kenne niemanden, der das Buch nicht gelesen oder zumindest davon gehört hat. Der Roman ist 15 Jahre alt und die Themen Klima- und Umweltschutz sind jetzt relevanter denn je. Und in der Serie kommt die Gefahr nicht – wie meist sonst bei Science Fiction - aus dem All, sondern aus den Meeren. Frank Schätzing hat es im Roman so schön formuliert: "Wir haben immer nach oben, aber nie nach unten geguckt." Aber keine Frage, es ist etwas ganz Außergewöhnliches für die Primetime des ZDF. Jedoch ganz in unserer Tradition, an die unser Flur jeden erinnert, in der wir immer wieder mit herausragenden fiktionalen Stoffen die jeweilige Zeit mitgeprägt haben.
Wie ist "Der Schwarm" denn zum ZDF gekommen?
Vor anderthalb Jahren erwähnte Eric Welbers (Produzent und Geschäftsführer der ndF, Anm. d. Red.) in einem Gespräch, dass die Verfilmungsrechte von "Der Schwarm" wieder verfügbar werden würden und sich die Chance auftun könnte, daraus eine Serie zu machen, nachdem zehn Jahre lang vergeblich versucht wurde, daraus einen Kinofilm zu machen. Da habe ich gesagt: Das müssen wir machen! Und danach, das muss ich zugeben, war es ein längerer Weg, die Rechte zu sichern, aber es ist uns gelungen. Parallel ist dann die Produktionsfirma Intaglio Films mit Frank Doelger an der Spitze entstanden, die erst einmal nichts mit der Idee zu "Der Schwarm" zu tun hatte. Er schien uns der richtige Showrunner zu sein, da Frank dank "Game of Thrones" schon viele Erfahrungen mit außergewöhnlichen Großprojekten gesammelt hat. Schlussendlich fügte sich alles gut zusammen, weil die richtigen Leute zusammenkamen.
Wo steht das Projekt denn aktuell?
Wir sind gerade dabei, die ersten Fassungen der Bücher fertigzustellen, stimmen uns gleichzeitig mit unseren europäischen Partnern von der European Alliance ab, also France TV und RAI, und auch der ORF und das Schweizer Fernsehen werden dabei sein. Bei Gesprächen während der L.A. Screenings Ende Mai haben wir größtes Interesse am "Schwarm" registriert und wir sind uns sicherlich bald mit einem US-amerikanischen Partner einig. Wir rechnen mit einem Drehstart in der ersten Jahreshälfte 2020.
Und dann kommt "Children of Mars", eine Story über 13 Astronauten und eine Reise zum Mars ohne Rückfahrticket. Da haben Sie jetzt keine Rückendeckung eines Bestsellers von Frank Schätzing…
Die brauchen wir in dem Fall nicht, denn wir haben Christian Schwochow. Das war ein ganz wesentlicher Grund für die Serie, weil wir nach "Bad Banks" auf jeden Fall mit Christian weiterarbeiten wollten. Er hatte sich in diesen Stoff verliebt und will das unbedingt machen. "Children of Mars" wollen wir in erster Linie für ZDFneo und die Mediathek produzieren und haben uns dafür einen zweiten starken Partner gesucht. Beide Serien - "Der Schwarm" und "Children of Mars" - kommen 2021/22. Dann heißt es SciFi made by ZDF.
Kluge Koproduktionen ermöglichen uns, dass wir mehr produzieren können und den Rundfunkbeitrag gut und effizient einsetzen.
Können Sie nachvollziehen dass es angesichts von Beitrags-Milliarden komisch klingen kann, wenn ein "starker zweiter Partner" gebraucht wird, um eine Serie zu realisieren?
Klar, theoretisch könnte man sowas alleine machen – bei dieser Größenordnung maximal für ein Projekt pro Jahr. Und dafür müsste man vieles andere weglassen. Aber so einfach ist das nicht. Das ZDF hat sehr viele erfolgreiche Sendeplätze, wir haben den Anspruch für alle etwas anzubieten. Und wir werden nicht ohne Not beliebte Programme einstellen. Genau deshalb gibt es solche Partnerschaften und deswegen wollen wir mehr Serien aus Deutschland heraus produzieren. Bei der Präsentation in Cannes habe ich ja bereits mit der Aussage "Wir sind jetzt bereit, für den Weltmarkt zu produzieren" geprahlt. Aber im Ernst: Bei Serien wie "Der Schwarm" oder "Children of Mars", wo erst noch die Bücher geschrieben werden müssen, sind sehr hohe Budgets erforderlich. Kluge Koproduktionen ermöglichen uns, dass wir mehr produzieren können und den Rundfunkbeitrag gut und effizient einsetzen.
Irgendwie bitter. Jahrelang war die Finanzierung der Grund, warum gute Serien aus Deutschland scheinbar nicht möglich waren. Jetzt ist das geklärt, da werden die Kreativen und Talente knapp, weil so viel produziert wird.
Absolut, wir merken einen so intensiven Kampf um Talente wie es ihn noch nie gab, allerdings auch weil viele der neuen aber auch etablierten Kreativen derzeit an den besonderen Großprojekten und Highend-Serien arbeiten wollen und der Ehrgeiz und Nachwuchs für die klassische Fernsehserie oder den Fernsehfilm nachlässt. Dabei ist eins meiner erklärten Ziele: Make Fernsehfilm sexy again. Und gleichzeitig zieht es viele unserer Kreativen ins Ausland, da dort die Großprojekte angesiedelt werden – auch wegen der besseren Bedingungen der Filmförderungen und besserer Steuer-Modelle. Was viele gar nicht wissen: Selbst deutsche Großproduktionen drehen deswegen vor allem im Ausland. "Bad Banks" zu weiten Teilen in Luxemburg, "Preis der Freiheit" oder "Das Boot" hauptsächlich in Prag. Österreich wird noch dieses Jahr ein Programm mit Steuervergünstigungen für Produktionen auflegen. Die Tschechen können sich vor lauter Produktionen im Land - aus gleichem Grund - kaum noch retten. Das treibt mich um.
Sie plädieren also dafür, Förderungen mehr als Standort- und Wirtschaftspolitik zu verstehen?
Ja, insbesondere die Serienförderung, die längerfristige Arbeitsplätze und Strukturen ermöglichen würde, ist ein Thema der Standortförderung. Man sollte den wirtschaftlichen Gesichtspunkt erkennen. Eine vitalere Produktionslandschaft ist die beste Voraussetzung für nachhaltige Nachwuchsarbeit. Ich finde es nicht richtig, dass gerade jede neue Film- und Serienproduktion aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen Gründen überlegt, ob sie nicht nach Luxemburg, Tschechien oder demnächst nach Österreich geht, weil es dort günstiger ist.
Der "war for talent" ist real und das Schlimmste wäre, wenn jemand das ZDF aus irgendeinem Grund erst gar nicht in Betracht zieht.
Aber ist die richtige Antwort auf das Steuer-Dumping der anderen Länder wirklich, es selbst zu machen? Ich verstehe den Wunsch, damit mehr Produktionen in Deutschland zu halten.
Keine einfache Thematik. Zumindest sollte man aus meiner Sicht die Frage erörtern, ob der wirtschaftliche Nutzen letztlich nicht die eingeräumten Vergünstigungen übertrifft. In den Länderförderungen, insbesondere den großen wie NRW, Berlin-Brandenburg und Bayern, aber auch z.B. beim MDM hat sich dazu schon einiges bewegt. Sonst wäre die Produktion unserer Bauhaus-Serie "Die neue Zeit" oder unserer ZDFneo-Serie "Parfum" komplett in Deutschland nicht möglich gewesen. Dies ist aber immer unser Ziel. Dafür reichen nur die bisherigen Anreize noch nicht.
Nun, werden wir jetzt nicht klären können. Konkreteres Thema: Wie stellen Sie als alt-ehrwürdiges ZDF eigentlich sicher, im Wettbewerb um die besten Stoffe auch angesprochen zu werden, wenn man so lange mit großen etablierten Firmen und eigenen Töchtern arbeitet. Wie zugänglich ist das ZDF für Autorinnen und Autoren?
Natürlich müssen kleine unabhängige Firmen bei uns eine Chance haben. Wir arbeiten auch mit vielen sehr guten Autorinnen und Autoren direkt zusammen. Der "war for talent" ist real und das Schlimmste wäre, wenn jemand das ZDF aus irgendeinem Grund erst gar nicht in Betracht zieht. Daher setzen wir auf langfristige Partnerschaften auf Augenhöhe. Die junge kreative Produktionsfirma NeueSuper ist ein gutes Beispiel dafür: Die hatten damals "Blockbustaz" als Idee beim TVLab von ZDFneo eingereicht und gewonnen. ZDFneo hat uns da in den vergangenen zehn Jahren enorm bei der Ansprache von neuen und jüngeren Kreativen geholfen und ist eine Experimentierfläche für das ZDF, nicht nur im Programm sondern auch in der Zusammenarbeit mit neuen Talenten und Produzenten. Der Rest ist Geschichte, die Jungs sind gut im Geschäft - und ich freue mich, dass wir mit ihnen "Children of Mars" machen. Und der meist-bepreiste Fernsehfilm des vergangenen Jahres, "Aufbruch in die Freiheit" mit Anna Schudt, kommt von der kleinen, unabhängigen und kreativen Produktionsfirma Relevant Film aus Hamburg.
Sie sind im ZDF nicht für alle aber enorm viele fiktionale Programme verantwortlich, darunter alle Krimiserien. Kann ich mich also heute endlich mal bei Ihnen über diese Monokultur beschweren?
Klar, können Sie. Aber ich finde, der Begriff Monokultur wird unserem Angebot in seinen ganz unterschiedlichen Facetten nicht gerecht. Und der Erfolg des Genre Krimi ist nach wie vor ungebrochen, eher noch gestiegen. Deshalb bleiben Freitag- und Samstagabend Krimi bei uns, die SOKOs um 18 Uhr ebenso. Woran wir aber arbeiten ist der Fernsehfilm der Woche am Montag. Da justieren wir neben den wahnsinnig erfolgreichen Krimireihen, um in den Einzelstücken mehr Genre-Vielfalt zu bekommen. Auf dem Münchner Filmfest dieser Tage sind wir mit 15 Produktionen aus der Hauptredaktion vertreten. 15. Soviel hatte wir noch nie und das ist schon auch ein Qualitätsbeweis. Und in einer ziemlichen Bandbreite, wenn Sie es sich genauer angucken. Die Form Fernsehfilm finde ich nach wie vor spannend und aktuell etwas unterschätzt. Es hat für uns einen enormen Reiz, eine Geschichte an einem Abend in neunzig Minuten zu erzählen. Denn so fing im Kino einst alles an mit dem gefilmten Erzählen von Geschichten.
Auf Seite zwei spricht Frank Zervos darüber, wie man den Fernsehfilm wieder sexy machen kann, immer neue "SOKO"-Ableger und die Serie "Druck", mit der man zuletzt viele junge Zuschauer erreicht hat.