Dann bleiben wir mal bei den von Ihnen so geliebten Fernsehfilmen. Mir erscheint es dort leider oft, dass diese in Deutschland oft als Themenfilm daher kommen, was die Sorge aufwirft, dass eine einfach gute Geschichte, die aber kein gesellschaftliches Thema vertieft, keine Chance hat…
Wir versuchen natürlich immer Beides. Und wenn Nadja Uhl als Staatsanwältin in "Gegen die Angst" gegen einen arabischen Clan in Berlin ermittelt - was ja in unserer Hauptstadt ein reales Problem geworden ist - dann ist das eine populäre Möglichkeit, dieses Thema bewusst im Kleid eines Krimis einer größeren Öffentlichkeit nahe zu bringen. Es wurde dann von manchen kritisiert, dass die Dramaserie "4 Blocks" – mit einem ähnlichen Thema – ja viel härter und ausführlicher erzählt sei. Tja, das ist ja auch logisch. Das eine Format hat 90 Minuten, das andere über 300 Minuten Erzählzeit. Aber wenn wir mit so einem Film sechs bis sieben Millionen Menschen erreichen, wo andere einige hunderttausend Zuschauer kriegen, und damit Aufmerksamkeit schaffen, die wir in einer begleitenden Dokumentation vertiefen, ist das öffentlich-rechtlicher Auftrag in Reinform.
Ist das dann das Dilemma der zwei Herzen in einer Brust: Einerseits bestmögliche, heute oft aber auch sehr komplexe Serien zu produzieren, andererseits aber immer den Blick auf das größtmögliche Publikum zu haben?
Ich finde beides toll und berechtigt und würde nicht sagen, dass ich hinter dem einen mehr stehe als hinter dem anderen. Man darf nur nicht den Fehler machen und versuchen, von einer Produktion beides zu wollen - dann kommt man beim Mittelmaß raus. Wenn man auf ein breites Publikum zielt, dann ist das eine Herausforderung und braucht eine besondere Qualität. Es gibt nicht mehr viele Bastionen in der Medienwelt und in der Öffentlichkeit, die zeitgleich so viele Millionen Menschen in unserem Land für ein Thema emotional erreichen.
Wie macht man denn Fernsehfilm sexy again? Um den Satz von Ihnen nochmal aufzugreifen?
Wir müssen mehr Talente ansprechen und aktiv für das Genre gewinnen. Vielleicht gab es auch bei Jüngeren in den vergangenen Jahren die gedankliche Hürde, dass man sowieso keine Chance hätte. Wir arbeiten im Fernsehfilm-Bereich vorwiegend mit den vielen hervorragenden etablierten Meisterinnen und Meistern ihres Fachs zusammen und nun möchten wir auch mehr die jungen Generationen und auch mehr Frauen sehen. Dafür haben Heike Hempel und ich gemeinsam ein Regisseurinnen-Förderprogramm aufgesetzt, wo zwei junge Regisseurinnen pro Jahr jeweils eine neue Folge einer unserer Serien machen und anschließend einen Fernsehfilm.
Also mehr raus aus dem Elfenbeinturm auf dem Lerchenberg?
Sie meinen doch nicht etwa das ZDF-Hochhaus? Ja klar, raus, unbedingt!
Ich will Sie jetzt aber noch nicht aus der Krimi-Frage von vorhin entlassen: Es gibt immer neue "SOKOs". Erklären Sie mir mal, wie man sich für die x-te "SOKO" noch so begeistern kann als wäre es nicht "More of the same"…
Es ist natürlich die Suche nach neuen Konstellationen in den Figuren und Teams, und nach neuen Orten, die auch andere Geschichten erlauben. Die "SOKOs" sehen wirklich ganz unterschiedlich aus, allein durch die Drehorte. Sie sind für uns als nationaler Sender eine Chance, Regionalität ins Programm zu holen. "SOKO Potsdam" ist neben der "SOKO Hamburg" auch deshalb ein gelungener Neuaufschlag, weil wir eine ganz andere Konstellation der Kommissare, private Storylines und deutlich mehr Humor haben.
Ich will natürlich, dass eine Serie wie "Bad Banks" mit uns als Absender gesehen wird und nicht erst später bei Netflix auf die Marke des Streamingdienstes einzahlt.
Aber können bei neuen "SOKOs" wirklich alle bisherigen im Programm bleiben?
Nein, aber die Nachfrage, die Sie jetzt stellen wollen, kann ich Ihnen noch nicht beantworten. Das klärt sich im Herbst. Aber weil Sie eben sagten "More of the same": Ich lade Sie ein, sich mal ein aktuelles Bild der "SOKOs" zu machen und sie werden feststellen, dass wir hier modern erzählte und zeitgemäße, unterscheidbare Serien von hoher Qualität haben. Mich treibt eher die Frage um, wie wir das jüngere Publikum besser erreichen, damit diese überhaupt einmal reinschauen, um sich selbst ein Bild zu machen. Die Mediathek ist da natürlich sehr wichtig. Deshalb arbeiten wir daran, um das ZDF mit unseren Serienprojekten beim Serien-affinen Publikum dort noch besser zu positionieren. Ich will natürlich, dass eine Serie wie "Bad Banks" mit uns als Absender gesehen wird und nicht erst später bei Netflix auf die Marke des Streamingdienstes einzahlt.
Für welchen Sendeplatz suchen Sie gerade am dringendsten neue Stoffe?
Für den Freitagabend suchen wir nach zwei neuen Serien, weil Christian Berkel mit dem "Kriminalist" aufgehört hat. Da laufen im Herbst 2020 die letzten Folgen. Wir sind gerade auf der Suche und bekommen bereits sehr viele Ideen zugeschickt. Dieser Sendeplatz wird auch ein Schwerpunkt unserer Präsentation beim ZDF-Produzententag sein. Das wird, da bin ich mir sicher, der meistbesuchte Workshop sein. Eine Freitagsserie fürs ZDF zu produzieren, ist ein ziemlich attraktiver Auftrag.
Überzeugt Sie eher eine vorgeschlagene Personalie oder sind es wirklich die Bücher?
Natürlich beides und wir haben uns noch nicht entschieden, wie wir die beiden Serienaufträge angehen. Bei Berkel war es natürlich eine Rolle, die ihm auf den Leib geschneidert war. Wir haben aber auch Freitagsserien, die nicht auf eine einzige Hauptrolle fokussiert sind. Die Frage dahinter ist ja immer: Wer oder was prägt diese Serien? Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir sicherstellen, für diese Serien dauerhaft Zugriff auf die richtigen Autorinnen und Autoren zu haben. Das ist – nebenbei bemerkt – auch für unsere Fernsehfilm-Reihen wichtig, wo wir für die nächsten drei bis vier Filme gerne jeweils eine Head-Autorin oder einen Head-Autor hätten, damit man die Figuren noch besser über die Filme hinweg entwickeln kann. Mit den Grundsätzen, die wir gerade dieser Tage mit dem Autorenverband vereinbart haben, bestehen dafür nun auch zeitgemäße Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit.
Und wie mutig darf es sein am Freitagabend? "Professor T" hat die Verlegung auf den Freitagabend zum Beispiel nicht gut getan.
Ja, bei "Professor T" haben wir am Samstagabend mit dem Vorlauf eines starken 90-Minüters bessere Reichweiten erzielt. Am Freitagabend zum Start des Wochenendes hat das Publikum andere Erwartungen. Ich glaube dennoch daran, dass man neue Impulse geben kann, um diesen Sendeplatz zu erneuern. An "Professor T" halten wir übrigens fest und drehen im Herbst die vierte Staffel mit weiteren vier Folgen.
Stichwort Erwartungsmanagement: Deutsche Geschichte fiktional aufbereiten, das ist auch eine erwartbare Disziplin des deutschen Fernsehens, die Sie im Herbst mit "Bauhaus - Die neue Zeit" bedienen…
Die Event-Serie "Die neue Zeit" im September zum hundertjährigen Bauhaus-Jubiläum finde ich qualitativ und erzählerisch nicht "erwartbar". Erwartbar ist hier nur das Jubiläum. Im November haben wir den Mehrteiler "Preis der Freiheit" mit Barbara Auer, Nadja Uhl und Nicolette Krebitz. Erzählt wird - ohne jetzt zu weit auszuholen - die Geschichte von drei Schwestern in den Wende-Jahren 1988 bis 1990, die unterschiedlicher nicht sein könnten und die alle drei ihren „Preis für die Freiheit" zahlen mussten. Vielleicht für Sie überraschender: Das deutsch-deutsche Thema behandeln wir zeitgenössisch in der Mehrteiler-Verfilmung des Juli Zeh-Romans "Unterleuten" von Matti Geschonneck – und kommt im Frühjahr.
Können Sie mir mal erklären, was für Sie der Unterschied zwischen dem sehr deutschen Genre der Mehrteiler und einer Event-Serie ist?
Unter Mehrteiler verstehen wir Filme, die wir als dreiteilige Produktionen in Spielfilm-Länge um 20.15 Uhr senden, an aufeinanderfolgenden Abenden. Das sind meist historisch geprägte Produktionen, die sehr für die große Tradition der ZDF-Event-Fiction stehen, wie "Dresden", "Tannbach", "Adlon" oder "Unsere Mütter, unsere Väter". Immer ein Bewusstsein dafür schaffend, woher wir kommen und warum wir sind wer wir sind. Daneben setzen wir zukünftig verstärkt auf Event-Serien à la "Bad Banks" und planen sie für den späteren Abend, die zweite Primetime und dann in Serienlänge, also 6 x 45 Minuten. Und schauen dabei sehr stark auf die Erfolge in der Mediathek. Wir suchen dafür nach zeitgenössischen Stoffen für ein Publikum im Kern 30 - 49 Jahre. Natürlich brauchen auch diese Stoffe eine Relevanz, müssen etwas zu erzählen haben. Aber eben mehr über Jetzt und über das, was vielleicht noch kommt. Und hier ist die Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie II von Heike Hempel genauso dran, wie wir auch. Auch die Hauptredaktion Spielfilm von Simone Emmelius ist dafür unterwegs im Bereich der Koproduktionen mit internationalen Partnern. Uns ist schon klar, dass 3 x 90 Minuten Mehrteiler am Ende 6 x 45 Minuten Event-Serie entspricht. Aber wir haben diese beiden Begrifflichkeiten für die Unterscheidbarkeit etabliert.
"Wenn bei manchem hängen bleibt, dass 'Druck' vom ZDF gemacht wurde, dann haben wir einen sehr wichtigen Anknüpfungspunkt gesetzt."
Jetzt haben Sie mehrfach "Bad Banks" erwähnt. Wann kommt denn die zweite Staffel?
Anfang nächsten Jahres.
Das ZDF verantwortet auch "Druck", die deutsche Adaption der norwegischen Serie "Skam", für Funk bzw. ZDFneo. Wie sinnvoll ist so ein singulärer Vorstoß in diese Zielgruppe?
Mit "Druck" erreichen wir eine Zielgruppe, die das ZDF ja zwischenzeitlich mal gänzlich vernachlässigt hatte - und das in einem Maße, das ich mir nie ausgemalt hätte, als wir mit Beta Film über die Adaptions-Rechte für "Skam" verhandelt haben. 750.000 Abrufe pro Folge, 350.000 Fans auf YouTube und dazu noch hunderttausende auf den dazugehörigen Instagram-Kanälen – das ist sensationell. Da hat sich der Poker gelohnt um das Format, das damals ganz schön gehypt und von mehreren Sendern umworben wurde. Aber dank Bantry Bay und den richtigen Kreativen haben wir "Druck" zu einer sehr eigenen Serie gemacht, die wichtige Themen adressiert und damit nicht nur Unterhaltung bietet. Wir verhandeln dort Religion genauso wie Mobbing, Sexualität und die alltäglichen Probleme von Teenagern heute. Die vierte Staffel von Deutschlands erfolgreichster und bester Teenie-Serie wird demnächst wieder in Berlin gedreht.
Was hat das ZDF davon? Bleibt das nicht ein Feigenblatt?
Solch ein Erfolg bei der schwierigsten aller Zielgruppen wäre dann ein ganz schön großes Feigenblatt. Und wenn bei manchem hängen bleibt, dass die Serie vom ZDF gemacht wurde, dann haben wir einen sehr wichtigen Anknüpfungspunkt gesetzt. Alle Gewerke waren aus dem Nachwuchsbereich und konnten sich hier beweisen. Milena Tscharntke, die Hauptdarstellerin der zweiten Staffel und Michelangelo Fortuzzi, Hauptrolle in der dritten Staffel, haben beide in diesem Frühjahr die wichtigsten Nachwuchspreise gewonnen. Die Stars aus "Druck" wollen wir in anderen ZDF-Produktionen besetzen. Fortuzzi spielt in "Preis der Freiheit" eine wichtige Rolle und Tscharntke bekommt eine große Rolle in einer Event-Serie, die ab Herbst produziert wird. Wir wollen aber auch hinter der Kamera weiter mit den entdeckten Talenten arbeiten und müssen unseren Talent-Transfer noch besser organisieren.
Um nicht den Anschluss zu verpassen?
Ja. Damit nicht ein Talent beim Kleinen Fernsehspiel sein Debüt macht und sich danach anderweitig orientiert, weil wir ihm oder ihr nicht rechtzeitig etwas angeboten haben. Unsere Redaktion "Das Kleine Fernsehspiel" ist die bedeutendste Fernseh- und Kino-Talentschmiede in Deutschland - jetzt müssen wir sie auch nur noch mehr zu unseren Gunsten nutzen. Dass zum Beispiel Marvin Kren nach dem Kleinen Fernsehspiel einen "Tatort" gemacht hat, ärgert mich. Da wurde eine Chance verpasst und der von uns geförderte Nachwuchs nicht aufmerksam genug verfolgt. Auch das wollen wir ändern.
Herr Zervos, herzlichen Dank für das Gespräch.