„Babylon Berlin“, die erste Kooperation von ARD und Sky, erzählt die Geschichte des Kommissars Gereon Rath (gespielt von Volker Bruch), der aus Köln nach Berlin versetzt wird, um dort mit der Sittenpolizei einen Pornoring auszuheben. In Berlin lernt Rath die junge Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) kennen und landet schließlich bei der Mordkommission.
Die Filmemacher Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries haben gemeinsam das Drehbuch geschrieben und Regie geführt.
Herr Tykwer, Sie haben mal in einem Interview gesagt, ein Stoff eigne sich nur dann zur Adaption, wenn man sich konstruktiv von ihm emanzipieren könne. Wie haben Sie sich bei „Babylon Berlin“ konstruktiv von Volker Kutschers Romanvorlage emanzipiert?
Tykwer: Zuerst einmal war die Romanreihe die ideale Basis, um unsere Vision eines Sittengemäldes zu entwickeln, das ein Berlin der Zwanziger Jahre zeigt. Unser Interesse an dieser Zeit ließ sich zunächst gar nicht in eine konkrete Geschichte pressen – bis wir „Der nasse Fisch“ von Volker Kutscher entdeckt haben. Ich glaube, man tut einem Roman nicht gut, wenn man ihn soldatisch treu in einem anderen Medium nacherzählt und bebildert – eher dann, wenn man die Vision des Buchs beschützt und seinen eigenen Weg damit findet. Wir hatten die Möglichkeit, Vorlagen auszuschmücken und auszubauen, die Kutscher uns mit Nebenfiguren, manchmal auch nur in Nebensätzen geliefert hat. Das Format Serie hat sehr dabei geholfen. Die beiden abgedrehten Staffeln basieren ausschließlich auf dem erstem Roman.
„Babylon Berlin“ ist mit rund 40 Millionen Euro für 16 Folgen die erste deutsche Serie, die mit den Produktionsbudgets amerikanischer Projekte mithalten kann …
Handloegten: In den vergangenen Jahren gab es aus Deutschland einige Zwei- und Dreiteiler, die vergleichbar oder noch besser ausgestattet waren. Aber sicher: Mit 2,4 Millionen Euro pro Episode ist „Babylon Berlin“ keine Low-Budget-Produktion.
Trotzdem: Was ist eigentlich so teuer daran, gute Geschichten zu erzählen?
Handloegten: Das Berlin des Jahres 1929 existiert ja nicht mehr! Wir leben alle drei selbst in dieser Stadt und haben uns intensiv mit dieser historischen Epoche beschäftigt. Da kann man nicht einfach nach Prag oder Budapest fahren, wo es so ähnlich aussieht, und beim Dreh so tun, als würde das nicht auffallen. In Babelsberg hatten wir stattdessen die Möglichkeit, die „Neue Berliner Straße“ aufzubauen. Das war ein enormer Aufwand. Auch weil es zum Beispiel schwierig ist, genügend Fahrzeuge aus der Zeit zu bekommen. Unser Kostümbildner Pierre-Yves Gayraud hat selbst die Komparsen bis zur Unterwäsche mit zeitgenössischer Kleidung ausgestattet, weil sich die Leute dann ganz anders bewegen. Uns war klar, dass wir die Stadt nicht so rekonstruieren können, wie sie einmal war – aber wir konnten unsere eigene, plausible Version davon erschaffen. Das kostet.
In Babelsberg wurde eigens für die Dreharbeiten die „Neue Berliner Straße“ aufgebaut.
Sie haben zum Teil mit bis zu drei Einheiten parallel gearbeitet: War das die größte Herausforderung während der Dreharbeiten?
Tykwer: Zumindest erfordert es eine ziemlich ausgefeilte Logistik. Ich war schon bei einigen großen Produktionen dabei, aber etwas derart Komplexes hab ich vorher auch noch nie erlebt.
Was genau hat Sie an der Zeit gereizt, aus der Sie mit „Babylon Berlin“ erzählen?
Von Borries: Wenn man sich näher damit beschäftigt, ist es frappierend, wie ähnlich die Stadt von damals der von heute ist – modern, radikal, voller Menschen aus unterschiedlichen Ländern. Berlin war damals ein Mythos und ist es heute wieder. Und ich glaube, wenn man etwas über Deutschland im 20. Jahrhundert erzählen will, muss man in der Zeit der Weimarer Republik anfangen. Dort sind die Grundlagen unserer Gesellschaft gelegt, für Demokratie, Gleichberechtigung, Kunst und Kultur. In dieser Zeit liegen unsere Wurzeln – die in den Jahren danach auf krasse Weise gekappt wurden.
Handloegten: Es sah doch viel mehr danach aus, dass dieser Entwurf gelingen könnte, als dass alles in so kurzer Zeit zusammenbricht und die Nationalsozialisten an die Macht kommen. Auch für unsere Protagonisten ist die damalige Gesellschaft ein Entwurf, für den es sich zu kämpfen lohnt. Niemand hat damals erwartet, dass ein paar Wahnsinnige am rechten Rand auftauchen und sich halten. Gewisse Ähnlichkeiten zu heute sind nicht ganz von der Hand zu weisen.
Henk Handloegten am Set mit Fritzi Haberlandt (als Raths Vermieterin)
Sind Vergleiche zu heute nicht arg bemüht? Die Weimarer Republik ist ja eben nicht aus einer Zeit der Stabilität entstanden. Viele Leute sind womöglich ähnlich verunsichert von der rasanten Entwicklung. Aber niemand wohnt mit der kompletten Großfamilie im Sud einer winzigen Altbau-Hinterhofwohnung und leidet unter mangelnder Gesundheitsversorgung. Die Standards sind völlig andere.
Tykwer: Natürlich kommen wir aus einer Epoche, in der sich die Demokratie hat stabilisieren können und die Lebensumstände für viele Menschen ungleich besser sind als zur damaligen Zeit, in der das Land gefühlt gerade erst dem Krieg entronnen war, die Inflationskrise überlebt hatte und den meisten eigentlich noch die Monarchie im Kopf und in den Knochen steckte. Das war ein Land, in dem Demokratie erst ausprobiert wurde. Es gab ein großes Maß an politischer Auseinandersetzung – aber zu genau der Zeit, zu der wir mit unserer Erzählung ansetzen, auch einen großen Trieb, das Experiment gelingen zu lassen. 1929 hatte sich die wirtschaftliche Lage gebessert. Die Leute fingen an, die Vorteile des neuen Systems zu genießen. Frauen hatten ganz neue Möglichkeiten, und die Chance der Menschen, sich außerhalb ihres Arbeitsraums zu verwirklichen, war vielleicht einzigartig auf der Welt, weil es in Berlin – anders als in Paris – ein viel breiter gefächertes, weniger elitäres Nachtleben gab.
Im Tanzsaal des „Moka Efti“ amüsiert sich Berlin nach Sonnenuntergang.
Und das vor dem für uns heute schockierenden Hintergrund, dass schon dreieinhalb Jahre später alles komplett auf den Kopf gestellt wurde! Damals hatte niemand eine Vorstellung davon. Genau so wollten wir unsere Charaktere inszenieren: mit einer grundlegenden Naivität. Ich glaube schon, dass das etwas ist, das wir im vergangenen Jahr beim Brexit und der amerikanischen Wahl so ähnlich wieder erlebt haben.
Vom aufkeimenden Nationalsozialismus ist bei „Babylon Berlin“ anfangs noch keine Rede.
Tykwer: Genau. Bis zum Ende der ersten Staffel wird der Name „Hitler“ nur ein einziges Mal erwähnt – und das auch nur als Witz. Weil die Figuren einfach nicht finden, dass das zu dieser Zeit besprechungswürdig wäre.
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