Zu Beginn des Projekts haben Sie die Intention geäußert, Berlin quasi zum dritten Hauptprotagonisten zu machen. Herr von Borries sagt, die Serie sei eine „Liebeserklärung an unsere Wahlheimat“. Wenn man sich die Metropole zwischen Laster, Gewalt und Verbrechen in der Serie ansieht: Ist es nicht eher die Liebeserklärung an einen Abgrund?
Von Borries: Der Abgrund, den wir zeigen, ist dem Genre und der Tatsache geschuldet, dass wir unterhalten wollen. Das Berlin, das Sie sehen, ist aber dasselbe, in dem es eine Aufsteigerin wie unsere Hauptprotagonistin Charlotte Ritter ganz nach oben schaffen will. Berlin ist die Stadt, in der man sich immer neu erfinden kann. Das ging mir übrigens genauso: Ich fand es in München ganz schwierig, sich einen eigenen Raum zu erobern. Deswegen bin ich 1989 hergekommen. Der Platz, den diese Stadt bietet, die Nischen, die Ecken – das macht für mich Berlin aus.
Straßen und Plätze sehen in vielen Szenen beeindruckend nah, manchmal irritierend vertraut aus. Besteht nicht Gefahr, dass die Protagonisten hinter der Gewaltigkeit dieses Eindrucks zurücktreten müssen?
Tykwer: Ich bin mir ziemlich sicher, dass uns das nicht passiert ist. Die Annäherung an die Stadt selbst war für uns nie eine äußerliche. Der Film ist nur dann interessant, wenn die Stadt durch die Figuren entdeckt und erlebt wird. Jeder Blick, insbesondere von unseren Helden, muss ein subjektiver sein. Das hat eine inhaltliche, aber auch formale Konsequenz. Weil man nicht in einer imposanten Totalen verweilt, sondern das Gefühl zu vermitteln versucht, mit den Schauspielern in einer Zeitmaschine zurück gegangen zu sein, um sich im Berlin von damals so natürlich wie möglich zu bewegen. Das ist irre aufwändig. Aber die Zuschauer spüren glaube ich, dass der Film nicht ausstellen will. Dass er Berlin erlebt, nicht präsentiert.
Wie kam es zur Entscheidung, die beiden Hauptrollen mit Volker Bruch und Liv Lisa Fries zu besetzen, die noch nicht so vielen Zuschauern bekannt sind?
Von Borries: Beim Casting hat sich herausgestellt, dass das die beiden sind, für die die Hauptrollen geschrieben waren. Das war eine der Entscheidungen, für die wir unser 2:1-Prinzip außer Kraft gesetzt haben, um sie einstimmig zu dritt zu treffen. Wir haben uns in die beiden verliebt.
Achim von Borries (r.) am Set mit Volker Bruch und Liv Lisa Fries.
Ich hab das Gefühl, die Serie lässt sich sehr viel Zeit, die Zuschauer in ihre Welt zu holen. Aber dann schaukelt sich die Stimmung von Folge zu Folge immer weiter auf – bis zur ersten großen Explosion, der Niederschlagung der Mai-Demo der KPD. Auf diese Verzögerung müssen sich die Zuschauer einlassen wollen.
Von Borries: Richtig, aber diesen Atem brauchen Sie bei Serien immer. In „Breaking Bad“ ist Walter White ja auch nicht sofort der Crystal-Meth-König von Albuquerque.
Tykwer: Bei einem guten Buch darf und will der Leser genauso wenig nach der fünften Seite wissen, welche Dämonen die Helden reiten. Vor allem bei den Hauptprotagonisten war es uns ein großes Anliegen, ihre Geheimnisse zu wahren und erst langsam zu lüften, weil auch die Figuren sich selbst erst mit der Zeit kennenlernen. „Babylon Berlin“ funktioniert quasi wie ein zwölfstündiger Film.
Tom Tykwer (ganz rechts) mit Volker Bruch (2.v.l.) beim Dreh der KPD-Mai-Demo.
Es gibt keine durchgängige Episodenstruktur, die Folgen gehen alle sehr unterschiedlich zu Ende. Am beeindruckendsten ist vielleicht die Collage der Gewalt und der menschlichen Abgründe zum Varietétanz von „Zu Asche, zu Staub“ am Ende der ersten Doppelfolge – kein Wort wird da gesprochen, dennoch überschlagen sich die Ereignisse. Haben Sie keine Sorge, „Babylon Berlin“ könnte zu wenig dem entsprechen, was das Publikum von deutschen Serien gewohnt ist?
Von Borries: Natürlich muss man Gewohnheiten ernst nehmen, auch deshalb erzählen wir das Sittengemälde im Gewand einer Kriminalgeschichte. Man darf Gewohnheiten aber auch nicht überschätzen. Auf Sky sehen die Zuschauer schon jetzt Serien, die mit ihren Erwartungen spielen und aus dem Rahmen fallen. So lange eine Erzählung unterhaltsam ist, kann man glaube ich vieles ausprobieren.
Handloegten: Vor allem lässt sich nicht postulieren, etwas Neues schaffen zu wollen, wenn man dann einfach das wiederholt, was schon da ist. Film ist eine visuelle Kunst, deshalb erzählen wir auch visuell.
Das verstehe ich schon. Es ist nur nichts, woran das deutsche Fernsehpublikum in den vergangenen Jahren intensiv gewöhnt worden wäre.
Handloegten: Ich glaube, da unterschätzen Sie das Publikum. Gerade im Krimi-Genre sind die Zuschauer hierzulande sehr gebildet. Die Vielfalt alleine des „Tatort“-Formats spricht für sich.
Gab es einen Punkt, an dem Sie überlegt haben, wie „Babylon Berlin“ als Film geworden wäre, Herr Tykwer?
Tykwer: Visuell wahrscheinlich sehr ähnlich. Im Laufe der Dreharbeiten ist uns klar geworden, dass man ja gar nicht loslässt vom erzählerischen Gestus, den man hat, wenn man fürs Kino arbeitet. Die Bedingungen sind vielleicht andere und in vielen Situationen muss man anders denken. Aber im Prinzip sieht die Serie genau so aus wie den Film, den ich gedreht hätte.
Wobei ausgerechnet die Serie mit ihrer Optik nun der visuellen Ästhetik des Kinos der damaligen Zeit eine ständige Reverenz erweist – schon durch den Vorspann, der völlig anders funktioniert als man das von den meisten modernen Serien gewöhnt ist.
Von Borries: Wir haben einfach versucht, uns in diese Zeit hineinzuknien. Und wenn man uns lässt, machen wir das auch noch für drei weitere Staffeln.
„Babylon Berlin“ läuft ab 13. Oktober freitags um 20.15 Uhr in Doppelfolgen auf Sky 1 und 2018 im Ersten.