Frau Schlesinger, Sie sind jetzt ein gutes Jahr beim RBB. Lief alles wie erwartet oder haben Sie Überraschungen erlebt?
Ich habe vor allem positive Überraschungen erlebt. Es zeigte sich schnell, dass hier im Laden Spaß, Lust und Veränderungswillen herrschen. Ich habe viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter getroffen, die mir sagten: Es soll was passieren, wir krempeln die Ärmel hoch! Dieses Maß an Aufbruchstimmung hatte ich nicht unbedingt erwartet.
Man könnte auch sagen: Der Leidensdruck war noch größer als gedacht.
Die Defizite im Fernsehprogramm, die sich ja nicht abstreiten lassen, waren natürlich auch in der Belegschaft bekannt. Daraus entstand bei vielen der Wunsch, das Haupt zu heben, die Stirn zu bieten und den RBB zum Hauptstadt-Sender zu machen.
In der Vergangenheit ist das oft am Geld gescheitert, das beim RBB traditionell knapp ist. Wo haben Sie zusätzliche Mittel aufgespürt?
Durch die Umstellung auf die Haushaltsabgabe geht es uns finanziell ein bisschen besser. Gleichzeitig haben wir in alle Ecken des Senders geschaut, Strukturen in der Verwaltung verschlankt, Redaktionen verändert und Sendungen gestoppt, die aus unserer Sicht nicht zwingend zum Programmauftrag gehörten. Auf diese Weise haben wir Geld gesammelt, um es zum Beispiel aus dem Nachmittag oder Spätabend heraus in die Primetime zu packen. Insgesamt investieren wir dieses Jahr rund 10 Millionen Euro mehr ins Programm, wovon zwei Drittel aus unseren Umschichtungen stammen und ein Drittel aus dem Beitragseffekt. Unser Ziel war es, an mindestens vier bis fünf Abenden pro Woche selbstgemachtes Programm zu senden – keine Wiederholungen, keine Übernahmen aus den anderen Dritten. Nur eigenes Programm stiftet Identität und zeigt dem Zuschauer hier in der Region: Dies ist dein Sender. Damit legen wir am 4. September richtig los. (Anm. d. Red.: DWDL.de hatte über die anstehenden Programmänderungen berichtet.)
Wenn man wie Sie vom NDR kommt, hält man selbstgemachtes Programm eigentlich für eine Selbstverständlichkeit.
Es war ja nicht so, dass der RBB kein eigenes Programm gemacht hat – aber eben nicht schwerpunktmäßig am Hauptabend, wo die Küche am heißesten und die Konkurrenz am größten ist, wo allerdings auch die meisten Menschen vor dem Fernseher sitzen und identitätsstiftendes Programm von ihrem Heimatsender erwarten.
"Demnächst werden noch ein bis zwei hochkarätige Menschen von außen hinzukommen"
Patricia Schlesinger, RBB-Intendantin
Klingt nicht nach einem guten Zeugnis für Ihre Vorgängerin.
Es gab in der Vergangenheit andere Prioritäten. Die Fusion von SFB und ORB zum RBB war ein politisches und ökonomisches Mega-Projekt, dessen Folgen wie etwa Tarif-Auseinandersetzungen sehr lange nachgewirkt haben. Dann gab es einen knallharten Sparkurs, der nötig war, um das Haus zu konsolidieren. Ich habe ein finanziell konsolidiertes Haus übernommen und schätze die große Leistung von Dagmar Reim, die das erreicht hat, sehr. Jetzt können wir neue Prioritäten setzen.
Sie haben Ihren NDR-Kollegen Jan Schulte-Kellinghaus zum Programmdirektor gemacht und Martina Zöllner vom SWR als Fiction- und Doku-Chefin geholt. Nehmen Sie billigend in Kauf, dass der Eindruck entsteht: Jetzt kommen die Experten von den großen Sendern und zeigen dem RBB mal, wie's läuft?
Ich glaube nicht, dass dieser Eindruck entsteht. Wir wollten die Besten für die anstehenden Aufgaben gewinnen. Wenn wir die Besten kriegen können, weil sowohl der Standort Berlin als auch der Arbeitgeber RBB attraktiv sind, dann halte ich diese Personalien für richtig. Es werden demnächst noch ein bis zwei hochkarätige Menschen von außen hinzukommen. Aber wir haben auch viele neu geschaffene Stellen von innen besetzt, beispielsweise mit Anna Kyrieleis, die jetzt Chefin unserer drei Nachrichteneinheiten "Abendschau", "ARD-Mittagsmagazin" und "ARD-aktuell" ist.
Überraschender und provokanter will Patricia Schlesinger das RBB Fernsehen positionieren. Das spiegelt auch eine neue Werbekampagne mit dem Claim "Bloß nicht langweilen" wider, die in diesen Tagen anläuft.
Sie haben den Anspruch formuliert, dass der RBB künftig stärker als Hauptstadt-Sender wahrnehmbar werden und einen größeren Beitrag innerhalb der ARD leisten soll. Was tun Sie, um das umzusetzen?
Wir nehmen schon jetzt mehr Aufgaben innerhalb der ARD wahr. Der wichtigste Punkt ist sicher, dass wir ab Januar 2018 das "Mittagsmagazin" übernehmen und aus Berlin senden werden. Das wird ein klares Nachrichtenmagazin, das wir strukturell deutlich auf Information ausrichten. Und wenn diese Sendung aus der Hauptstadt, aus Berlin-Mitte, kommt, heißt das auch, dass wir viele Interviewpartner direkt im Studio haben werden und somit weniger Schalten brauchen. Auch Jessy Wellmer erhöht die Sichtbarkeit von RBB-Köpfen im Ersten, indem sie als einzige Frau die "Sportschau" moderiert. In der Fiction arbeiten wir an unserem ersten eigenen ARD-Mittwochsfilm und an möglichen regionalen Serien fürs Erste.