Herr Boudgoust, wie ähnlich ist sich eigentlich das Publikum in Deutschland und Frankreich?
Es gibt eine relativ große Gemeinsamkeit zwischen beiden Publika. Eine besteht darin, dass das Arte-Publikum in beiden Ländern städtisch geprägt ist. Und selbstverständlich ist das Publikum hier wie dort kulturaffin und liebt zumeist das Kino.
Was bedeutet die deutsch-französische Verbindung für Arte 25 Jahre nach dem Sendestart konkret?
Diese Verbindung ist unsere DNA, die ja auch im Staatsvertrag angelegt ist. Das äußert sich darin, dass wir mit Arte France und Arte Deutschland zwei nationale Pole haben und mit Arte G.A.I.E. eine Zentrale in der Mitte, die bewusst Wert darauf legt, dass sie mit deutschen und französischen Kollegen arbeitet. Das verbindet ungemein. Es sind Franzosen, die Interesse an Deutschland haben, und Deutsche, die Interesse an Frankreich haben. In den vergangenen Jahrzehnten konnten dadurch sehr viele Gemeinsamkeiten aufgebaut werden. Aber der Anspruch von Arte geht über Deutschland und Frankreich hinaus. Wir verstehen uns als europäischer Kultursender und sind von Beginn an mit dem Auftrag ausgestattet, zum Verständnis und zur Annäherung der Menschen in Europa beizutragen.
Worin äußert sich das im Programm?
Wir haben in den letzten Jahren zunehmend einen Kurs der Europäisierung verfolgt. Mit Arte Europe verfolgen wir im Netz das Ziel, möglichst viele Menschen in ihrer Muttersprache zu erreichen – bald mehr als 70 Prozent der Europäer. Dort sprechen wir die Zuschauer schon heute in Englisch, Spanisch und Polnisch an, ab dem nächsten Jahr kommt Italienisch dazu. Gleichzeitig haben wir im letzten Jahr unsere Partnerschaften ausgedehnt, haben mit der irischen Rundfunkanstalt RTE und der italienischen Rundfunkanstalt RAI Kooperationsabkommen abgeschlossen mit dem Ziel, Koproduktionen zu ermöglichen, mit denen wir unsere Kräfte vereinen und den europäischen Gedanken im Blick behalten.
Inwiefern schmerzt es, dass Europa derzeit an vielen Stellen auseinanderdriftet?
Wenn es Arte nicht gäbe, müsste es gerade heute erfunden werden. Die Krisen Europas können uns mit unserem Anspruch nicht gleichgültig lassen. Wir wollen dazu beitragen, dass sich die Menschen stärker mit Gemeinsamkeiten beschäftigten, mit dem, was die Europäer verbindet. Wir wollen dazu beitragen, Grenzen zu überwinden. Deswegen haben wir in den letzten Jahren einen stärkeren Akzent bei der hintergründigen Aktualitätgesetzt.. Wir wollen dazu beitragen, dass das Zeitgeschehen nicht mehr nur unter dem Aspekt "gefällt mir" oder "gefällt mir nicht" betrachtet wird, sondern dass die Dinge eingeordnet werden. Es ist wichtig für das Gelingen Europas, sich nicht nur auf die materiellen Dinge zu beschränken, nicht nur auf ökonomische Sachverhalte, nicht nur auf die großen politischen Streitthemen, sondern auch das herauszuarbeiten, was im Großen und im Kleinen die Europäer verbindet.
Inwiefern muss Arte seinen Kulturbegriff in dieser Zeit womöglich erweitern oder neu definieren?
Wir haben bereits in den letzten Jahren damit begonnen, den Kulturbegriff zu erweitern – indem er von der Hochkultur über die Popkultur bis hin zur Alltagskultur reicht. Aber auch die Ansprache an unser Publikum hat sich verändert. Wir wollen nicht primär diejenigen erreichen, die schon alles wissen und jede Woche im Konzertsaal anzutreffen sind, sondern diejenigen, die neugierig sind auf Kultur. Deswegen haben wir einen Zugang gefunden, der nicht elitär und arrogant daherkommt. Es geht um Neugierde, Wissbegierde und Entdeckung.
"Lineares Fernsehen ist und bleibt wichtig, aber wir machen keine Unterscheidung mehr."
Peter Boudgoust
Es ist ja bekannt, dass alle vorgeben, Arte zu schauen. Letztlich ist der Sender jedoch mit einem Prozent Marktanteil ein Nischenprogramm. Ist es in der Nische eigentlich bequem oder muss sich Arte nicht auch ein Stück weit dort herausbewegen?
Ich verstehe das gar nicht als Nische. Man muss klar sehen, dass das Umfeld speziell in Deutschland mit sehr vielen Kulturangeboten besonders attraktiv ist. Das verstehen wir aber gar nicht als Manko, sondern es macht die Sache eher noch reizvoller, weil wir uns dadurch noch stärker auf den deutsch-französischen Blick konzentrieren können. Vor dem Hintergrund ist es aber gar nicht verwunderlich, dass Arte bei einem Prozent Marktanteil steht. Das ist ein großer Erfolg für ein ambitioniertes Programm. Es ist auch bezeichnend, dass wir diesen Wert gegen den Trend sogar ausbauen konnten. Außerdem wachsen wir im Netz enorm. Die Zahl der Videoabrufe sind 2016 im Vergleich zum Vorjahr um fast 30 Prozent gestiegen. Gerade haben wir ein komplett überarbeitetes Online-Angebot lanciert, das die alte Unterscheidung zwischen linearem Fernsehen und der Mediathek aufhebt. Es gibt einen einheitlichen Zugang – die alte Grenze ist damit eingerissen.
Welche Rolle spielt das Internet im Vergleich zum linearen Fernsehen – und wie wollen Sie künftig den Erfolg bemessen?
Der Erfolg wird durch die Addition der Akzeptanzzahlen im Netz und im Fernsehen bemessen. Lineares Fernsehen ist und bleibt wichtig, aber wir machen keine Unterscheidung mehr. Wie die Menschen das Angebot nutzen wollen, ist alleine ihre Entscheidung.
Hilft die Erfahrung des SWR, der ja schon früh bemüht war, dem Netz mehr Raum zu gewähren?
In diesem Fall hat Arte aber vielleicht sogar die Nase vorn gehabt, weil Arte nicht dem strengen Reglement des deutschen Rundfunkrechts unterliegt und deswegen mehr experimentieren und Erfahrungen sammeln konnte. Ich werbe dafür, dass der Gedanke, der in Frankreich prägend ist, nämlich dass die Öffentlich-Rechtlichen innovativ und kreativ sind und die Entwicklung im Netz voranbringen, auch in Deutschland verstanden wird.
Gleichzeitig hat man das Gefühl, dass die Kultur gerade bei den großen öffentlich-rechtlichen Sendern an die Ränder gedrängt wurde.
Ich kann diesen Eindruck nicht bestätigen – zumindest wenn ich mir anschaue, was wir beim SWR gemacht haben. Dort haben wir vor einigen Jahren ein großes Kulturmagazin eingerichtet und eine eigene Literatursendung gestartet. Das findet sich mit anderen Schwerpunkten auch im Ersten. Gleichzeitig bringen wir immer wieder Konzertübertragungen, sehr gerne auch in innovativer Form – etwa, indem man in der Pause hinter die Kulissen schaut. Ich glaube allerdings, dass sich die Vermittlung von Kultur verändern musste und noch immer verändern muss, weil immer mehr Menschen nicht mehr mit dem klassischen Bildungskanon aufgewachsen sind. Diese Menschen muss man neugierig machen – und das tun wir.