Herr Henke, wieso handelt es sich bei "Über Barbarossaplatz" um eine reine WDR-Produktion und nicht, wie inzwischen üblich, um eine Auftragsproduktion?
Gebhard Henke: Der WDR hat eine lange Geschichte mit Sendereigenproduktionen. In den 60ern liefen in unserem Haus bis zu 15 szenische Eigenproduktionen parallel – mit großartigen Ergebnissen. Heute konzentriert sich unsere Produktionsbetrieb auf Information und Unterhaltung. Als fiktionale Eigenproduktion war die "Bloch"-Reihe übrig geblieben, die wir bis zum Tod von Dieter Pfaff gemeinsam mit dem SWR gemacht haben. Das war der Ausgangspunkt, der dazu führte, dass wir "Über Barbarossaplatz" selbst produzierten, auch wenn wir den Film inhaltlich keineswegs als Nachfolge von "Bloch" verstehen.
In beiden Filmen stehen Therapeuten im Mittelpunkt. Das ist aber schon die einzige Gemeinsamkeit.
Henke: "Über Barbarossaplatz" ist ein rauer, schroffer Film, der es dem Zuschauer zu keiner Sekunde leicht macht. Ich spreche in diesem Zusammenhang gerne von einen „poetischen Realismus“, der von unverstellten Seiten verletzter Seelen in der lauten Großstadt-Welt erzählt. Dem Regisseur Jan Bonny ist es gelungen, eine neue Art der fiktionalen Erzählung zu finden, die sich den Figuren sehr schonungslos nähert. Wir gehen voll rein ins Geschehen – auch mit all den lauten Geräuschen, die es am Barbarossaplatz gibt.
Schön ist der Schauplatz ja nicht gerade.
Henke: Der Ansatz war, den Film urban zu machen und nichts vordergründig Pittoreskes abzubilden. Aber das bedeutet nicht, dass der Platz hässlich ist. Wir haben mal die These aufgestellt, dass wir das alles schön finden, und wollen das Besondere und Schöne auch in der Hässlichkeit entdecken.
Wie würden Sie die Machart des Films beschreiben, Herr Król?
Król: Heutig. Dieses Wort schießt mir direkt durch den Kopf. In seiner Machart ist es ein Film, der sich der konventionellen 20:15-Uhr-Ästhetik entzieht. Das ist von Jan Bonny so gewollt. Viele der Stilmittel kennt man eher aus dem Kino als aus dem Fernsehen, was den Film für das Publikum sicher ungewohnt erscheinen lässt. Das ist jedenfalls kein Film, den man nebenbei guckt.
Sie selbst spielen den Therapeuten Benjamin Mahler. Was ist das für ein Typ, den Sie verkörpern?
Król: Mahler ist jemand, der weiß, wo er wohnt. Einer, der ein Dach überm Kopf hat. Er hat ja keine Existenzangst, sondern weiß nur nicht so richtig, wofür er gerade existiert. Gleichzeitig besitzt er eine hohe Kompetenz, die derzeit brachliegt. Hinzu kommt Mahlers Alter. Er ist wie ich Ende 50 und an einem Punkt angelangt, an dem die magische Zahl – die 60 – auf ihn zukommt. Ich finde es spannend, wenn man durch das Nachdenken über sich selber eine Figur bereichern kann.
"Leider ist unser Sendeschema nicht so flexibel, wie man sich das manchmal wünschen würde."
Gebhard Henke, WDR-Fernsehfilmchef
Die ersten Reaktionen auf "Über Barbarossaplatz" sind sehr positiv. Da verwundert es doch, dass der Film nicht – wie ursprünglich geplant – um 20:15 Uhr zu sehen ist, sondern erst nach den "Tagesthemen".
Król: Ich finde es schade, dass der Film trotz seines Primetime-fähigen Ensembles auf einem Termin platziert wird, auf dem man vielleicht ein Publikum erreicht, das gar kein Bewusstsein für diese Produktion hat. Da seid ihr in der Pflicht, Gebhard.
Henke: Wir haben mit "Über Barbarossaplatz" sehenden Auges etwas riskiert und müssen damit leben, dass der Fernsehfilm-Koordination der Film auf einem späteren Sendeplatz besser aufgehoben erscheint. Leider ist unser Sendeschema nicht so flexibel, wie man sich das manchmal wünschen würde.
Diese Probleme macht sich die ARD allerdings selbst. Wer hindert Sie daran, mal das Schema aufzubrechen, wenn Sie einen guten Film haben?
Henke: Das ist in der Tat ein Dilemma, weil es nichts zwischen 20:15 Uhr und dem späten Abend gibt. Eigentlich ist auch kein Etat vorgesehen, um Filme für eine solch späte Sendestrecke zu produzieren.
Król: Wie, ihr habt kein Geld?
Henke: Unsere Fiction-Budgets im WDR sehen abgesehen vom Debutfilm und Kino Produktionen Filme für 20:15 Uhr vor, also für den "Tatort" am Sonntag und unsere Mittwochs-Filme. Anders als die Skandinavier produzieren wir keine Filme für die Spätschiene, obwohl es sicher einen Wert für uns darstellen könnte, zusätzlich zum "Tatort" auch mal härtere Stoffe zu machen. Beim "Tatort" ist die Vorgabe, einen Film für FSK 12 zu produzieren. Man zeigt Gewalt, muss aber auf den Jugendschutz achten. Das ist, wenn Sie so wollen, ein strukturelles Defizit. Dass "Über Barbaraossaplatz" jetzt auf einem späten Sendeplatz ausgestrahlt wird, empfinde ich nicht als Drama. Es gibt ja auch im Kino das Spätprogramm oder die Late Show mit Themen für Erwachsene.