Die ARD schmückt sich gerne für ihre ungewöhnlichen Filme am Mittwoch, traut sich aber nicht, einen solchen Film um 20:15 Uhr zu zeigen. Das ist doch mit gespaltener Zunge gesprochen.
Henke: Wenn die Fernsehfilm-Koordination eine solche Entscheidung trifft, dann ist das kein Willkürakt. Das muss ich respektieren und akzeptieren.
Hat das Fernsehen das Publikum vielleicht ein Stück weit verzogen?
Henke: Ich weiß ja, worauf Sie hinauswollen. Wir haben selbstverständlich eine Verpflichtung zu einer Angebotskultur, klar. Aber es hat auch immer eine gewisse Verlogenheit, wenn alles Anspruchsvolle um 20:15 Uhr im Ersten gefordert wird. Wissen Sie, ich treffe ständig Leute, die angeblich nur Arte gucken und trotzdem kommt der Sender nur auf einen Prozent Marktanteil. Da stimmt doch etwas nicht.
Król: Vermutlich hat sich auch der Lebensstil der Menschen verändert. Ich sehe das an mir selbst. Die Zeiten, in denen ich bestimmte Dinge im Fernsehen keinesfalls verpassen wollte, sind vorbei. Das hängt auch damit zusammen, dass ich mir die gewünschten Inhalte mittlerweile dann holen kann, wenn ich Sie sehen möchte. Gutes Fernsehen geht dadurch nicht verloren. Wir müssen nur immer wieder aufs Neue die Qualität betonen.
Die meisten schalten hierzulande jedoch noch immer das lineare Fernsehen ein.
Henke: Natürlich wäre es schön, unabhängig von Sendeplätzen zu produzieren, weil jeder nur noch auf Abruf schaut. Aber das ist noch nicht die Realität. Die Zuschauer sind ja heute auch sehr viel ungeduldiger geworden und schalten sofort weg, wenn irgendetwas kommt, das sie nicht kennen. Sie bleiben nicht mal ein paar Minuten dran, sondern sind schon bei der Wetterkarte oder während des Vorspanns raus. Das macht uns beim Fernsehen ja auch ein bisschen nervös. Man hat Angst, komplexe Filme zu machen, weil sich die Leute immer seltener drauf einlassen. Und wenn irgendwo ein Krimi läuft, sind die Zuschauer eben sofort dort. Aber sollen wir deshalb nur Krimis machen?
Also keine Experimente mehr?
Henke: Viele Format-Experimente finden Sie heute im Krimi, weil es dort ein verlässliches Gerüst gibt, in das die Leute ein Urvertrauen haben. Wenn Sie dasselbe, was etwa zum Beispiel bei Tukur im "Tatort" passiert, am Mittwoch ohne dieses Label machen, würden die Zuschauer wahrscheinlich fliehen.
Herr Król, Sie haben selbst viel Krimi-Erfahrung gesammelt, spielten einen "Tatort"-Ermittler, waren Lutter, Brunetti und der erste Wilsberg. Wie betrachten Sie diese Krimisierung des Fernsehens?
Król: Das sind Marktgesetze. Angebot und Nachfrage. Ein großer Prozentsatz der Produktionen ist glücklicherweise wirklich gut, insbesondere im Vergleich zu Sachen, die man aus dem Ausland kennt. Daher werde ich auch in Zukunft wieder Krimistoffe annehmen, wenn sie mich überzeugen. Es ist offensichtlich ein Grundbedürfnis der Leute.
Henke: Das Niveau der Krimi-Produktionen ist ja hoch, sehr viel höher als noch vor 20 Jahren. Ich mache mit großer Liebe die "Tatort"-Koordination. Aber irgendwann ist doch mal Schluss. Es ist wichtig, auch andere Dinge zu machen. Man will ja nicht immer nur Sahnetorte essen, sondern zwischendurch auch mal ein Mettwürstchen.
Hat es das System nicht selbst in der Hand?
Henke: Der Mittwoch im Ersten ist ja ein Termin, der frei von Genres ist. Aber Sie sehen doch, wie schwer man sich dort bisweilen in der Akzeptanz tut. Wenn im ZDF ein Krimi läuft, ziehen sie den Kürzeren. Wir unterliegen dem Fluch des eigenen Erfolgs. Gunther Witte, der Erfinder des "Tatorts", sagte einmal, der "Tatort" dürfe nicht mehr als einmal im Monat kommen, sonst nutze er sich ab. Tatsächlich gab es bis in die 80er und 90er Jahre hinein nur zwischen 12 und 20 "Tatort"-Folgen pro Jahr. Damals liefen am Sonntagabend auch noch ganz normale Fernsehfilme – heute unvorstellbar. Aber je höher die Frequenz der "Tatorte" stieg, desto verärgerter waren die Zuschauer, wenn sie etwas anderes zu sehen bekamen. Das ist eine Erfolgsgeschichte, die aber dazu geführt hat, dass Filme abseits des Krimis nicht mehr am Sonntag laufen. Sie können ja mal beim ZDF nachzählen, wie viele Filme am Montagabend keine Krimis sind.
Womit Sie mir spät die Frage beantworten, ob das Fernsehen sein Publikum verzogen hat. Anderes Thema: Alle sprechen derzeit von Serien, die ARD macht zusammen mit Sky "Babylon Berlin". Interessiert Sie das als Schauspieler, Herr Król?
Król: Ich habe zuletzt "Boardwalk Empire" gesehen, davor zwei Staffeln "Fargo" und "Breaking Bad". Sie sehen, das geht über viele Jahre. Wenn es gut gemacht ist, kannst du da als Schauspieler richtig was zeigen. So eine lange Zeit in einer Figur zu sein und horizontal zu erzählen, ist sehr spannend. Wenn die Parameter stimmen, könnte ich mir daher gut vorstellen, auch in einer Serie mitzuwirken. Es ist ein weiteres Segment in dem wunderbaren Strauß von Arbeitsmöglichkeitem.
Manche sehen in den Serien von heute schon das neue Kino.
Henke: Ich bin oft erstaunt, wie kritiklos mit vielen Serien umgegangen wird. Da sind Netflix-Produktionen häufig per sé super und unsere einheimischen Serien sind immer gleich doof. Als ich kürzlich "The Crown" sah, war ich allerdings für einen kurzen Moment beruhigt. Das war so langsam und breit erzählt – da wurde mir klar, dass auch die Kollegen nur mit Wasser kochen.
Abschließende Frage: Wird "Über Barbarossaplatz" trotz des späten Sendeplatzes weitergehen?
Henke: Das kann ich leider nicht beantworten. Wir haben einen zweiten Stoff in der Entwicklung. Wenn ich nach dem bisherigen Feedback gehe, dann beeindruckt der Film die Leute. Irgendwie scheinen wir also etwas Interessantes gemacht zu haben.
Herr Henke, Herr Król, vielen Dank für das Gespräch.