Aber die Bildundtonfabrik ist schon deutlich gewachsen und inzwischen mehr als nur ein Haufen Kreativer.
Ja, wir wissen jetzt wie man Steuerprüfungen übersteht, haben eine Controlling-Abteilung, bilden Volontäre aus und denken gerade darüber nach, Stipendien anzubieten für Leute, die aus dem gestalterischen Bereich kommen. Die Bildundtonfabrik besteht im Kern aus Kunststudenten, die sich eines Mediums angenommen habe, das offenbar mal ein Refurbishing brauchte. Alles was wir machen, machen wir selbst. Das ist im Vergleich zu anderen Produktionsfirmen manchmal totaler Wahnsinn, aber dafür wissen wir, was wir können. Deswegen wollen wir mit dem Neo Magazin jetzt nicht fünf Sendungen die Woche machen. Zwei wären toll. Da wissen wir, dass wir das in sehr guter Qualität leisten könnten.
Wenn ihr zweimal die Woche produzieren könntet, habt ihr da konkrete Tage im Auge?
Dienstags und donnerstags. Und dann dahin kommen, dass wir am Tag der Aufzeichnung online gehen können. Für olle Fernsehhasen klingt das total unspektakulär. Aber wir wollen das ja in einer visuellen und inhaltlichen Qualität hinbekommen, für die wir uns nicht schämen müssen. Es geht darum die Dosis zu erhöhen, und nicht den Stoff zu strecken. Zweimal die Woche 45 Minuten, dann müssten wir die Sendungen auch nicht mehr kaputtschneiden auf eine halbe Stunde.
Mein Salat war ja ohnehin kalt, aber Jans Nudeln müssten es bald auch sein. Beim Interview essen ist auch schwierig.
Was lernst man eigentlich über Journalisten, wenn man Everybodys Darling ist und wie zum Start des „Neo Magazin Royale“ Interviews ohne Ende gibt?
Erstmal lernt man über Journalisten, dass man bei Suggestiv-Fragen, in denen man mit Titeln wie Everybody’s Darling umschmeichelt wird, erstmal mit Vorsicht genießt. Everybody’s Darling? Das habe ich jetzt noch nicht beobachtet.
Du warst doch Anfang des Jahres zum Start des „Neo Magazin Royale“ omnipräsent. So ein bisschen Coverboy wie Joko & Klaas vor zwei Jahren mal…
Eher Somebody’s Darling. Hated by a lot of people and loved by some. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Journalisten genauso schnell von Dingen wieder gelangweilt sind wie zuvor begeistert. Interviews gehören zum Job dazu und mir gefallen solche Gespräche, weil man ja ein Gefühl davor bekommt, wie gut oder schlecht es wirklich um einen steht.
Sonst was gelernt?
Mancher Journalist ist enttäuscht, wenn man ihm nicht die Antworten liefert, die er sich schon im Vorfeld ausgedacht hatte. Im Zweifelsfall rede ich mich mit ironischem Promo-Gerede raus. Am Liebsten mag ich eigentlich Interviews, in denen es gar nicht um mich geht. Über Andere reden oder einfach was erfinden. Meinen Zweitwohnsitz und das Privatflugzeug.
"Ich habe mich auch daran gewöhnt, dass alles was ich sage immer auf doppelten Boden überprüft wird."
Kann es zu viel Jan Böhmermann geben?
Klar. Nach meinem eigenen Gefühl wurde die Grenze schon oft überschritten. Da denk ich mir dann im Nachhinein „Hätt’ ich bloß die Fresse gehalten“. Das gilt für viele belanglose Dinge, aber es gibt Themen, die mir leider wirklich wichtig sind, auch wenn es vielleicht ein bisschen uncool ist, etwas dazu zu sagen. Wenn ich also vier Tweets zu den Stolpersteinen in München absetze, dann nicht, weil ich mich profilieren möchte, sondern weil mich das Thema wirklich seit vielen Jahren beschäftigt. Die Stolpersteine sind ein dezentrales Mahnmal zum Gedenken an die in der Mehrzahl jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. 50.000 Stolpersteine liegen mittlerweile in Deutschland in 1200 Städten, eine Idee, die mittlerweile viel größer ist als der Künstler, von dem sie stammt. Und die Stadt München verhindert und verbietet die Verlegung dieser Gedenksteine mit Begründungen. Unter anderem gegen eine Bürgerinitiative von knapp 100.000 jüdischen und nicht-jüdischen Befürwortern der Stolpersteine. Und dabei erwartet ja keiner, dass die Verantwortlichen in München diese Form des Gedenkens gut finden. Aber sie sollten die Meinung derer respektieren, die anderer Ansicht sind, und unter anderem darum halte ich ein Verbot für falsch.
Aber ist es bei solchen ernsteren Themen nicht ärgerlich, wenn mancher nicht mehr weiß, ob du das jetzt ernst meinst?
Die Möglichkeit, dass man missverstanden wird, ist bei der Zeichenbegrenzung von Twitter ja ohnehin immer gegeben. Und ich habe mich auch daran gewöhnt, dass alles was ich sage immer auf doppelten Boden überprüft wird.
Wir sind fertig. Unsere Teller werden abgeräumt. Die Kellnerin interessiert sich nur für Jan. Gleich ist wohl die Zeit gekommen für das versprochene Autogramm.
Stichwort Themen, die wichtig sind. Was sagst Du zum Hass-Problem im Netz, besonders bei Facebook?
Zur Hass-Debatte kann ich nur sagen: Facebook und Google verstaatlichen! Sofort!
(lacht) Das ist radikal. Ernst oder Gag?
Jaja, lach ruhig! Langfristig führt da kein Weg dran vorbei. Die wichtigsten Plätze für Diskurs und Information in unserer Gesellschaft liegen in den Händen von US-amerikanischen, börsennotierten Unternehmen mit kommerziellen Interessen. Diese Plattformen sind inzwischen ein so wichtiger Bestandteil unser zivilgesellschaftlichen Kommunikationsstruktur, und wenn sie so wichtig bleiben oder noch wichtiger werden, muss die Zivilgesellschaft früher oder später auch die Regeln aufstellen.
Sehr interessante Argumentation. Oder aber Netzwerke, die uns heute unersetzbar erscheinen, sind es irgendwann nicht mehr. Es gab schon genügend Anbieter im Netz, die einst dominierend waren und heute keine Rolle mehr spielen.
Das ist auch eher eine Diskussion, die Leute in unserem Alter führen. Wenn ich mit Lena-Fans rede, die 15, 16 oder 17 sind, dann sind die bei Snapchat oder Netzwerken, von denen ich noch weniger Ahnung habe. Wir sind halt die Generation, die gesagt hat: „Wow, Facebook. Lass uns mal von StudiVZ dahin wechseln, das ist viel besser.“
Mal was Anderes. Bist Du eigentlich ein Seriengucker?
Ja, total. Ich habe gerade „Sherlock“ nachgeholt mit Benedict Cumberbatch und dem anderen…
Martin Freeman?
Genau. Fantastisch.
Hast Du „Fargo“ gesehen?
Natürlich habe ich „Fargo“ gesehen und ich freue mich auf die zweite Staffel. Frage mich nur, ob das so klappt diese Serie fortzusetzen. Von der zweiten Staffel „True Detective“ war ich jetzt sehr enttäuscht. Das war noch komplexer und noch schwerer verständlich mit diesem Akzent. Die erste Staffel war ganz toll - auch wenn ich da Matthew McConaughey ertragen musste. Aber ich war letzte Woche im Kino. Hast Du „Victoria“ schon gesehen?
Ohja!
Was für ein fantastischer Film, oder? Das war einer der besten deutschen Filme, die ich jemals gesehen habe. Atemberaubend. Mit hohem Anteil an Improvisation, die aber von den Schauspielern mit einem so perfekten Gefühl für Timing umgesetzt wurde. Kamera- und tonmäßig außergewöhnlich umgesetzt und ein sehr gutes Visual Effects-Team, dessen Aufgabe es ja in erster Linie war, dass man sie und ihre Effekte gar nicht wahrnimmt. An dem Film stimmt einfach alles.
Nur der Schnitt war irgendwie unauffällig…
(lacht) Nur der Cutter hat sich wirklich keine Mühe gegeben! Aber im Ernst: Da kann man jetzt wieder beklagen, wo die große deutsche Serie ist, die neue Impulse setzt. Aber dann übersieht man diese herausragende Kinoproduktion, koproduziert von Arte und dem WDR.
Außerdem kommt im Herbst ja auch gute, neue deutsche Serienware wie „Deutschland 83“
Hast Du es schon gesehen?
Ja
So gut wie „Weissensee“?
Es ist anders. Es hat mehr Tempo und ist eher ein Abenteuer. Weniger episch als „Weissensee“ aber genauso gut. Und die US-Presse überschlägt sich auch jetzt nach dem Staffelfinale noch mit Lob.
Aber ist die Toleranz bei ausländischen Produktionen nicht immer höher? Bei uns verlieben sich doch Kritiker auch immer wieder mal in Filme aus allen möglichen Ländern und man denkt sich nach dem Film dann: Hä?
"Irgendjemand muss doch aktuelle Themen lustig fürs Fernsehen aufbereiten, macht ja sonst bald keiner mehr. Ich fühle da fast schon so etwas wie eine heilige Pflicht."
Ich glaube, auch mit Kenntnis all der Folgen, würde ich einer berechtigten Euphorie beipflichten. Aber jetzt lass uns nochmal kurz über das „Neo Magazin Royale“ reden. Was habt ihr euch für die neue Staffel vorgenommen?
Geil abliefern, nicht müde werden und ZDFneo und das ZDF nach vorne ficken. Und vielleicht ein bisschen mehr inhaltlich arbeiten.
Unsere Kellnerin kommt plötzlich mit einer Portion Tiramisu aufs Haus an unseren Tisch. Eine Portion und zwei Löffel. „Wir sind ja in Köln, da kann man das ja so machen“, sagt sie. Was für ein Spruch. Aber das Tiramisu schmeckt - und geht auf’s Haus.
Was meinst du eben mit „mehr inhaltlich“ arbeiten?
Also Rubriken wie „Eier aus Stahl“ beispielsweise. Themen zu recherchieren, aufzubereiten und auch selbst zu setzen, das kann man auch gut mit den Mitteln der Unterhaltung tun kann. Irgendjemand muss doch aktuelle Themen lustig fürs Fernsehen aufbereiten, macht ja sonst bald keiner mehr. Ich fühle da fast schon so etwas wie eine heilige Pflicht. Und ich werde im Januar 2016 neben dem Neo Magazin Royale eine kleine, neue Sendung im ZDF moderieren.
Das klingt interessant.
Ja, wird es auch. Aber mehr kann ich leider noch nicht verraten.
Schade. Jan, dann erst einmal danke für das Gespräch an dieser Stelle.
Unsere Kellnerin kam kurz darauf dann noch auf das versprochene Autogramm zurück. Es waren plötzlich sogar zwei - einmal für sie selbst und noch eins für einen Kollegen, der sich nicht traute selbst zu fragen. Jan signiert zweimal auf dem Kellnerblock. Bei dem Autogramm für den Kollegen malt er einen Penis daneben. Mir rutscht ein „Aaaahja“ heraus. Jan sagt: „Penis geht immer“.