In den kommenden Tagen starten Sie bei 1Live ein neues Abendprogramm. Freitags läuft nun "1Live Go!", das die Hörer ins Wochenende begleiten soll. Wie wollen Sie das anstellen?
1Live verändert ab 20 Uhr traditionell sehr stark das Musikformat. Früher hätte man von albumorientierter Musik gesprochen. Das wird auch so bleiben. Interessanterweise haben wir abends das jüngste Publikum. Es gibt also offenbar trotz verschiedener Streamingdienste ein großes Interesse nach musikalischer Orientierung und daran, mal etwas Neues zu hören. Am Freitagabend moderieren Larissa Rieß und Johanna Tänzer, bisher bei 1Live Diggi, mit unserem DJ Zeller zusammen. Vor 40 Jahren hätte man wahrscheinlich "Freie Fahrt ins Wochenende" gesagt. Es soll eine Sendung sein, die sich gerade an Leute richtet, die Radio hören. Wir müssen keine Sendung machen für Leute, die im Club unterwegs sind.
Was verändern Sie noch?
"Klubbing" wandert auf den Sonntag, ist aber noch mehr eine Sendung, die sich mit Literatur befasst als bisher, weil die Kollegen vier Stunden bei dem Thema bleiben. Wir haben außerdem jetzt fast die komplette Moderations-Mannschaft von „Plan B“ verjüngt. Zwischen 23 und 0 Uhr gibt es dafür keine dramatischen Änderungen. Wir machen weiterhin 60-Minuten-Reportagen, Talk und Hörspiele. Das haben wir bloß ein bisschen neu sortiert.
Interessant, dass Sie sich noch Hörspiele leisten.
Wir haben ganz gute Zahlen damit und liegen - wenn man der MA glauben darf - bei ungefähr 60.000 Hörern. Ob die jetzt immer alles komplett hören, weiß ich nicht. Aber sie haben zumindest Kontakt mit diesem Genre, und auch die Download-Zahlen liegen im vierstelligen Bereich. Dass das kein Massenformat ist, ist klar. Ich finde es aber gut, dass sich der WDR das noch leisten kann, und hoffe, dass das noch lange so bleibt. Das gilt auch für die Musikstrecken jenseits des Mainstreams. Wenn man nur noch Mainstream hat und keinen Raum für Extreme, dann gibt es eine Überschwemmung. Das finde ich langweilig. Diese Reibung von Programmen, die sich an kleinere Publika richten, und dem gleichzeitigen Anspruch, ein Massenpublikum zu erreichen, tut dem Sender gut. Auch in der internen Kommunikation. Wir haben keinen Konkurrenzkampf, dass sich jemand für etwas Besseres hält, nur weil er Hörspiele oder Musikspezialsendungen macht.
Wie passt zu all diesen Ecken und Kanten eine unmoderierte Strecke in der Nacht?
An dieser Stelle geht es tatsächlich mal darum, Geld zu sparen.
Dann müssen Sie mir auf die Sprünge helfen, wieso sich 1Live diese Stunde spart und gleichzeitig beim Digitalsender 1Live Diggi mehrstündige Moderationsstrecken leistet.
Bei 1Live Diggi wird vier Stunden am Tag moderiert. Diese vier Stunden wiederholen wir in einer Schleife. Das ist in erster Linie für uns eine Möglichkeit, jungen Leuten Moderationserfahrung zu geben.
Die könnten die doch auch um Mitternacht sammeln, oder?
Es besteht schon ein Unterschied, ob sie vier Stunden am Stück moderieren oder mal um Mitternacht eine Stunde etwas machen dürfen. Die Moderatoren moderieren bei 1Live Diggi eine ganze Woche durch. Und drei von unseren neuen Moderatoren kommen jetzt von 1Live Diggi ins Programm. Es ist im Grunde wie die zweite Mannschaft von Bayern München: Es ist eben doch etwas anderes, ob jemand mal für zehn Minuten mit der ersten Mannschaft auf den Platz darf oder ob er Wochen hinweg in der zweiten Mannschaft göttlich spielt.
Wo haben Sie denn vorher ausprobiert?
Nirgends! Deswegen haben wir es ja eingeführt. Wir haben festgestellt, wie schwer es für uns ist, Nachwuchs zu bekommen. Für viele jüngere Leute lag die Latte 1Live - ohne arrogant klingen zu wollen - einfach zu hoch auf. Wir haben ein paar Leuten eine Chance gegeben und sie nach einigen Monaten wieder rausgenommen. Das will man eigentlich nicht. Weder für uns noch für die Kollegen ist das gut, weil die hier völlig enttäuscht vom Platz gehen mit dem Gefühl, rausgeworfen worden zu sein. So kamen wir darauf, 1Live Diggi als Plattform zu sehen, auf der sich junge Leute probieren können.
"Natürlich wollen wir keine Muffelköppe haben."
Jochen Rausch
Was müssen Ihre Moderatoren können?
Die meisten, die zu uns kommen, haben sich ja auch schon woanders probiert, aber meist in anderen Formaten. 1Live ist im deutschen Radiomarkt relativ für sich, vergleichbar sind wir eigentlich nur mit den anderen jungen ARD-Radios, aber kaum mit privaten Sendern. Wenn wir potenziellen Moderatoren sagen, sie sollen authentisch sein, nachdem ihnen fünf Jahre gesagt wurde, sie sollen möglichst das Gegenteil davon sein, dann wird’s schwierig. Das ist so als würden Sie sagen: Bisher hatten wir Rechtsverkehr, aber ab 12 Uhr machen wir Linksverkehr. Da haben Sie Unfälle, das ist katastrophal. Natürlich wollen wir keine Muffelköppe haben, aber wir setzen bewusst auf unterschiedliche Charaktere, die stärker polarisieren.
Kurz vor dem 20. Jubiläum überraschte Jürgen Domian damit, seine Sendung im kommenden Jahr beenden zu wollen. Wie sehr hat Sie das getroffen?
Ganz überraschend kam die Entscheidung nicht, denn es ist ja nicht so, dass man nie miteinander spricht. Es ging immer wieder darum, wohin sich die Sendung entwickelt. Sie hat sich ja ziemlich stark verändert. In der Anfangszeit war Domian viel stärker bei den Sex-Themen, doch das hat sich schon nach zwei, drei Jahren zu einer Art allgemeiner Lebensberatung gewandelt. Ich kann es absolut verstehen, dass es irgendwann mal gut ist. Dass er nach wie vor eine tolle Programmmarke für den WDR ist, versteht sich von selbst.
Wahrscheinlich hat keiner den Spagat zwischen Fernsehen und Radio so gut hinbekommen.
Meinen Sie nicht, dass das eher als Fernsehsendung wahrgenommen wird? Ich glaube schon - und das ist auch in Ordnung. Insofern hat er eine absolute Sonderstellung, weil es um diese Uhrzeit nichts live gibt. Er ist der einzige Mensch, der nachts noch um diese Zeit mit Ihnen im Fernsehen spricht.
Während wir miteinander sprechen, läuft bei Ihnen die ganze Zeit das Radio im Hintergrund. Wann ist es bei Ihnen eigentlich mal still?
Ich durfte als Kind nie Radio hören, während wir Hausaufgaben machten. Bei uns herrschte immer Stille, und mir fällt es auch nach wie vor schwer, Musik zu hören, während ich mich konzentriere. Ich hab das in Wirklichkeit nur laufen, weil Sie da sind, damit Sie denken, ich würde den ganzen Tag unser Programm anhören. (lacht)
Ärgert Sie ein Begriff wie Dudelfunk?
Für diejenigen, die Dudelfunk machen, ärgert er mich nicht. (lacht)
Herr Rausch, vielen Dank für das Gespräch.