Sie sind neuerdings nicht nur für 1Live verantwortlich, sondern - als Leiter Breitenprogramme - auch für eine ganze Flotte. WDR 2 gehört seit dieser Woche dazu und bald auch WDR 4. Hilft es wirklich beim Sparen, wenn Sie jetzt über drei Sendern schweben?

Was das Sparen angeht, ist das bei der Reorganisation nicht das stärkste Motiv. Es ist aber wichtig, den Mitarbeitern zu zeigen, dass nicht nur unten gespart wird, sondern auch in der Führungsetage. In erster Linie geht es jetzt aber um die Frage, wie wir unsere drei "Breitenprogramme" so positionieren, dass die Übergänge leichter gelingen. Momentan fährt jeder für sich und wenn man vom Schiff 1Live zum Schiff WDR 2 wechseln möchte, muss man sehr viel Anlauf nehmen.

Aber warum soll ich denn überhaupt von einem zum anderen Sender wechseln?

Weil der WDR einfach das beste Radio macht – und zwar in verschiedenen Spielklassen. Wir wollen die drei Programme so aufstellen, dass sie von der Temperatur richtig aufeinander abgestimmt sind. Es geht nicht darum, die Leute zu erziehen, von einem zum anderen zu wechseln, sondern ihnen im WDR-Angebot Alternativen anzubieten.

Ehrlicherweise ist die Konkurrenz für den WDR in Nordrhein-Westfalen gar nicht so groß. Sie sind ja sogar an Radio NRW beteiligt. Wovor fürchten Sie sich überhaupt?

Wir fürchten uns nicht, haben aber festgestellt, dass die Wechselbewegungen kontinuierlich steigen. So erleben wir derzeit die erste Senioren-Generation, die pop-sozialisiert ist. Die Beatles haben sich vor 45 Jahren aufgelöst. Nicht gegründet - aufgelöst! Menschen, die damals 20 waren, sind heute also 65. Die werden sich ja nicht plötzlich Volksmusik und Schlager anhören. Ihr Vater ist doch auch mit einer bestimmten Musik sozialisiert worden. Wenn Sie dem eine Platte von Coldplay vorspielen, dann wird er sagen: Junge, was willst du, das soll mich schocken? Der hat doch in seiner Jugend Jimmy Hendrix gehört, der damals ein paar krassere Gitarrensolos abgelassen hat als eine melancholische Popband.

Was bedeutet das fürs Radio?

Die Toleranz ist größer. In der zurückliegenden Generation, die durch ganz andere politische und gesellschaftliche Zustände geprägt war, hat man Jimmy Hendrix nicht gehört. Wir hatten immer wieder Briefe: Warum eigentlich dieses englische Gejohle? Gibt es keine deutsche Musik? Durch den Zeitablauf hat sich das allerdings ganz stark verändert. Wir haben bei 1Live leichte Zunahmen bei Hörern über 50, obwohl wir die gar nicht ansprechen. Es geht also für den Radiohörer nicht darum, wie alt er ist, sondern wie alt er sich fühlt.

Wie alt muss man sich denn fühlen, um WDR 2 oder WDR 4 zu hören?

Das lässt sich so nicht sagen. Es kommt noch das Kriterium dazu, in welcher Welt ich mich bewegen möchte. Möchte ich mich in der Welt der Popkultur bewegen oder in der Erwachsenen-Welt - oder gar in beiden? Die wenigsten Menschen sind eindimensionale Wesen. Man hat doch auch kein Problem damit, den "Spiegel" zu lesen und gleichzeitig im Fernsehen Gossip zu gucken. Da sieht man doch in sich keinen Widerspruch.

"Es ist fahrlässig, kein junges Publikum zu haben. Dann hat man auch keine Zukunft."
Jochen Rausch

Sie werden nächstes Jahr 60, habe ich gesehen.

Das habe ich auch mit Erschrecken zur Kenntnis genommen. Dafür habe ich aber zwischen 25 und 35 Programm für ältere Leute gemacht, habe also den natürlichen Verlauf umgedreht. Man muss sich dafür nicht rechtfertigen. Aber ich glaube, es gibt Menschen, die stark beeinflusst sind durch eine popkulturelle Sozialisierung, und es gibt Menschen, die schon immer erwachsen waren. Wozu ich mich zähle, ist klar. Es gibt Leute, die mit 20 unfassbare Spießer sind, und es gibt Leute, die mit Mitte 60 immer noch Ideen generieren und nicht stehen bleiben wollen. Mein großes Vorbild ist in dieser Hinsicht Peter Gabriel. Weniger wegen der Musik. Der ist super-innovativ, gerade was das Thema Digitalisierung angeht. Immer dieses krampfhafte Festhalten am Vinyl...

Nichts gegen Vinyl!

Ich will Ihnen eine kleine Anekdote erzählen, die mein ganzes Berufsleben geprägt hat. In meiner Kindheit habe ich eine Wochenzeitung ausgetragen und mit der Zeit festgestellt, dass jeden Monat ein bis zwei Abonnenten gestorben waren. Es kamen aber keine neuen nach. Irgendwann habe ich mit dem Chef gesprochen, ob ich nicht mal Artikel über Rockmusik schreiben könne, damit wir wieder jüngere Leser kriegen. Daraufhin hat er mich freundlich verabschiedet – und ein halbes Jahr später war die Zeitung pleite. Es ist fahrlässig, kein junges Publikum zu haben. Dann hat man auch keine Zukunft. Es hat ganz viele Nebenwirkungen. Zum Beispiel verändern sich auch die Redakteure, wenn Sie nur noch altes Publikum haben. Sie stellen nur noch Leute ein, die die Älteren bedienen. Sie haben dann also eine Belegschaft, die nur noch den Seniorenteller auf den Tisch bringt. Und wenn Sie sagen, die Hörer wollen Sushi, dann fragen die: Was ist das denn? Meinst du Rollmops?

Nur: Was mache ich eigentlich als Schlagerfan in Nordrhein-Westfalen?

(lange Pause) Das wird schwierig.

Helene Fischer hat letzte Woche vier Mal den Echo gewonnen. Angenommen, ich mag "Atemlos". Wo läuft das in den WDR-Radios?

Helene Fischer hören Sie bei WDR 4. Bei Schlagermusik muss man allerdings zwei Dinge auseinanderhalten. Einerseits Radio mit Schlagermusik, andererseits Schlager als Event. Wenn Sie sich mal anschauen, wie die Schlager-Branche CDs verkauft, ist das im Vergleich zum Popsektor in der Summe nicht so toll. Da gibt es Helene Fischer, Andrea Berg und dann erstmal lange nichts. Wenn Leute sagen, Sie hören gerne Schlagermusik, dann reden Sie in erster Linie von Events. Es gibt für Schlager im Radio zwar Potenzial, allerdings wage ich zu bezweifeln, dass es noch zu einem Programm mit einem höheren zweistelligen Markanteil reicht. In Zukunft wird das Interesse daran weiter rückläufig sein. Hier kommen andere Verbreitungsmöglichkeiten ins Spiel, also das Digitalradio. So haben es die Bayern ja gerade mit BR Heimat gemacht. Das ist sicher ein nachdenkenswerter Ansatz, der aber nicht nur für den Schlager interessant ist.