Bekommt man es eigentlich mit, wenn man überholt wird?
Alsmann: Ich merke das an den Fragen, die mir gestellt werden. Die Maßstäbe haben sich einfach verschoben. Wenn früher im Bundestag ein Politiker gesagt hat, "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch", dann war das zehn Jahre lang ein Thema in der Presse. Aber heute, wo im Fernsehen rund um die Uhr die schlimmsten Dinge getan, gesagt, gewünscht und erfüllt werden, da müsste sich im Bundestag jemand selbst verbrennen, damit wir davon Notiz nehmen. Wenn Sie so lange dabei sind wie wir, dann verändert sich eher die Umgebung. Und die lässt uns in einem anderen Licht erscheinen.
Westermann: Gleichzeitig hat es sicher auch viele Formate gegeben, die sich von "Zimmer frei!" haben inspirieren lassen.
Alsmann: Wenn Sie ganz akribisch in der Fernsehgeschichte forschen, werden Sie aber natürlich auch in anderen Shows Spielelemente finden, etwa bei Peter Frankenfeld oder Hans Rosenthal. Natürlich gibt es eine Tradition von Spielsendungen. Aber in der Radikalität der Spiele, in dem Sich-Selbst-Preisgeben, haben wir sicher in den 90er Jahren ein neues Kapitel aufgeschlagen.
Westermann: Es gibt den schönen Satz eines langjährigen Redakteurs. Der sagte: "Behütetes Blamieren." Wir gucken den anderen nicht zu, sondern wir machen es mit. Wir sehen genauso alt aus, egal ob bei den körperlichen Spielen oder beim Singen. Ich liebe diese Situationen, wenn am Anfang der Sendung ein Spiel mit Kopfbedeckungen kommt.
Weil er sie bis zum bitteren Ende trägt?
Westermann: Ja! Und das finde ich großartig.
Warum ziehen Sie sie eigentlich nicht aus, Herr Alsmann?
Alsmann: Weil meine Frisur im Eimer wäre. Wir hatten mal eine 90-minütige Sendung mit Udo Jürgens, die sogar im Ersten ausgestrahlt wurde. Darin spielten wir gleich zu Beginn in Erinnerung an seinen Großonkel Hans Arp, der ein berühmte Dadaist war, Theater mit original dadaistischen Filz-Kostümen aus den 20er Jahren. Ich musste diese blöde Mütze also 80 Minuten lang aufbehalten. Über den Kopfhörer des Kameramanns hörte ich aus anderthalb Metern Abstand den Schrei des Redakteurs: "Der soll das Scheiß-Ding endlich abnehmen!" Ich hab's aber durchgezogen und hielt es rückblickend betrachtend für einen 80-minütigen Höhepunkt der Sendung.
Viel Eigenlob, oder?
Alsmann: Sie wissen ja: Der Arm des Künstlers ist immer so lang, dass er sich gerade noch selbst auf die Schulter klopfen kann. Ich bin allerdings tatsächlich davon überzeugt, dass diese Sendung in einer anderen Kombination nicht möglich wäre.
Westermann: Es wirkt ja oft so, dass Götz mitten in ein Gespräch reingeht, bei dem ich gerne noch zwei Fragen gestellt hätte. Götz nennt das die "rhetorische Blutgrätsche". Das ist eigentlich ein schönes Markenzeichen, das man als Mitmoderator aber aushalten können muss. Und meistens ist es auch gut, dass er mich unterbricht, bevor zu sehr auf die große Westermann'sche Tränendrüse gedrückt wird. Es ist nicht immer gutes Timing, aber gerade das finde ich nach wie vor anarchisch.
Alsmann: Wir nehmen eben in Kauf zu scheitern. Manchmal haben wir Spiele, von denen wir überzeugt sind, dass die Welt über Jahre hinweg von nichts anderem reden wird. Und dann verpuffen sie innerhalb von 30 Sekunden wie ein Soufflé.
Wie oft kommt das vor?
Alsmann: Leider ganz häufig!
Lassen Sie uns zum Ende nach Amerika blicken. Dort ist es möglich, dass Moderatoren wie David Letterman seit 30 Jahren jeden Abend auf die Bühne gehen. Warum ist so etwas in Deutschland eigentlich kaum denkbar?
Alsmann: In Amerika ist das Genre Late Night gelernt wie bei uns die „Tagesthemen“. Das ist nicht übertragbar. Seit es Fernsehen gibt, gibt es in Amerika den Mann hinter dem Schreibtisch. Wir verstehen noch nicht mal, warum ein Mann als Gastgeber seine Gäste an einem Schreibtisch empfängt. Das hat bei uns mal Thomas Gottschalk eingeführt und wieder weggelassen, später hat es Harald Schmidt gemacht, und ich habe es in der "NDR Spät Show" gemacht. Aber es ist und bleibt eine amerikanische Tradition.
Westermann: Und es gibt die amerikanische Tradition, dass Frauen ruhig alt werden können. Katie Couric zum Beispiel. Sie hat die "Today"-Show moderiert, hat dann den Sender gewechselt und ist nach wie vor da. Es gibt Barbara Walters, die inzwischen 84 ist und immer noch die Präsidenten interviewt. Ich persönlich mag ihre Art, Fragen zu stellen nicht, aber in Amerika ist sie eine Institution. Es ist doch großartig, dass man sich an Gesichter gewöhnt. Zu meiner Zeit in San Francisco habe ich häufig die dortigen Local News gesehen, die noch immer von denselben Moderatoren präsentiert gut werden. Die sind mittlerweile geschnitten und aufgespritzt, aber so ein bisschen was erkennt man von ihnen trotzdem noch.
Alsmann: Häufig hat es damit zu tun, dass man hierzulande schnell einem Trend hinterherlaufen möchte und dabei ohne nachzudenken seine Traditionen verliert. Das amerikanische Publikum ist offensichtlich willens und imstande, ältere Menschen im Fernsehen auszuhalten. Und ich glaube, das ist es bei uns auch. Bei den Talkformaten in den Dritten wird ja teilweise auch sehr lange mit denselben Leuten gearbeitet, bei "3 nach 9" sind denen sogar schon einige der Moderatoren weggestorben. Letzten Endes ist unsere Fernsehkultur aber doch geprägt von Angst und einem Unterschätzen des Zuschauers.
Insofern womöglich ganz gut, dass Sie mit "Zimmer frei" nie ins Erste gewechselt sind.
Alsmann: Das war sowieso nie unser Ziel, auch wenn uns das keiner glaubt. Sehen kann man uns überall. Obwohl wir im WDR geblieben sind, werde ich im Ausland häufig angesprochen, gerade erst wieder in Wien von einer jungen hübschen Frau: "Sie sind doch Götz Alsmann. Meine Mutter ist so ein großer Fan von Ihnen."
Frau Westermann, Herr Alsmann, vielen Dank für das Gespräch.