Hat sich die Situation so kurz vor den Olympischen Spielen etwas gebessert?

Im Gegenteil. Die Lage hat sich in den vergangenen Wochen sogar noch verschlimmert. Bislang gab es drei staatliche Presseagenturen, eine davon sehr modern gemacht mit einer Frau an der Spitze. Sie hat zwar die Linie eingehalten, gleichzeitig aber viele Diskussionsforen geschaffen. Inzwischen wurde die Frau durch einen sehr stromlinienförmigen Menschen ersetzt und die Agentur zu einem Propagandainstrument umgebaut. Das ist wirklich tragisch.

Da bleibt nur die Flucht ins Internet?

Im Internet gibt es tatsächlich eine ganz breite Medienbewegung mit vielen sehr guten Websites und Bloggern. Ich habe noch nie in meinem Leben so gearbeitet wie momentan. Jeden Abend lese ich die Blogs, verfolge die sozialen Medien. Viele wichtige Journalisten schreiben zum Teil unter anderem Namen. Interessant finde ich, dass die Blogger mittlerweile beginnen, sich eine Art Kodex zu geben. Das ist viel in Bewegung, auch wenn das Internet nicht nur oppositionell ist. Die Putin-Jugend ist im Netz sehr aktiv, gibt sich modern und hat sehr viel mehr Geld zur Verfügung.


Mal generell gefragt: Freuen sich die Russen auf Olympia?

Es gibt wahnsinnig viel Kritik, auch mit Blick auf die Korruption. Viele finden es ekelhaft, dass Putin so eine Show daraus macht. Beim Fackellauf werden die Städte teilweise gesäubert und Claqueure an die Straßen gestellt, bei denen man weiß, dass sie nichts falsch machen. Dennoch freuen sich sehr viele Menschen darauf, die Welt zu Gast zu haben.

Das Bild, das die Welt von den Olympischen Spielen erhalten wird, wird ein sehr doppeldeutiges sein.
Ina Ruck

Die Olympischen Spiele bieten die Chance, sich der Welt zu präsentieren. Dabei spielen die Medien aber eine wichtige Rolle. Welches Bild, meinen Sie, wird die Welt am Ende der Spiele von Russland haben?

Den Fernsehsendern werden Bilder von allen Wettkämpfen zur Verfügung stehen. Das wird perfekt sein, natürlich. Gleiches gilt für die jubelnden Fans in den fantastischen Stadien, die die Russen zeigen werden. Das wird alles grandios aussehen, solange man nicht hinter die Fassaden schaut. Ein Beispiel ist die Sprungschanze, die auf einem Berg gebaut wurde, vor dem im Vorfeld jeder gewarnt hat, weil er rutscht. Man hat sich aber für genau diesen Berg entschieden – wahrscheinlich, weil man da noch mehr Geld versenken und abzweigen konnte. Nun raten Sie mal, was mit dem Berg passiert ist.

Er ist gerutscht?

Genau. Und die Schanze auch. Man hat diesen Berg schließlich mit Beton-Injektionen befestigen müssen, aber im Dorf unterhalb des Berges ist durch das Rutschen die Straße um einen Meter angehoben worden. Die können also vorne nicht mehr aus ihren Häusern raus und haben jetzt eine Asphaltschicht vor der Nase. An einer anderen Stelle hat man einen ganzen Strand betoniert. Da wird niemand mehr baden können.

Das ist für Sie als Journalistin ein gefundenes Fressen.

Wir haben schon im Vorfeld sehr viel erzählt. Aber das Bild, das die Welt von den Olympischen Spielen erhalten wird, wird ein sehr doppeldeutiges sein. Auf der einen Seite diese sicher sehr schönen Spiele, gleichzeitig aber eben auch Schattenseiten. Können Menschen ihre Urlaubspensionen weiterbetreiben, wenn der Strand zubetoniert wurde? Was ist mit all den Hotelbauten, die niemals jemand wieder brauchen wird? Was ist mit der Umweltzerstörung? Es wird die Herausforderung sein, auch das zu zeigen.