30 Jahre später wirkt es nicht mehr so als wolle das Privatfernsehen sich bewusst abheben - die Öffentlich-Rechtlichen und Privaten haben sich angenähert. Die TV-Welt verbessern - das klingt heute nicht mehr nach dem Anspruch der Privatsender...
So apodiktisch sehe ich es nicht. Am Anfang mussten wir natürlich sehr um Aufmerksamkeit buhlen. Die Menschen in Deutschland kannten ja nur ARD und ZDF. Denen wollten wir zurufen: "Hallo, es gibt auch noch was anderes - und wir machen ganz anderes Fernsehen"! Wenn man auf sich aufmerksam macht, verhält man sich ja manchmal wie ein Gorilla, der mit den Fäusten auf der Brust trommelt - genau das ist bei uns passiert. Einen Mangel an Selbstbewusstsein konnte uns jedenfalls keiner vorwerfen. Aber natürlich hat sich das abgenutzt. Und irgendwann hatten wir es einfach auch nicht mehr nötig - jeder sprach über RTL.
Mit anderen Worten: Das Privatfernsehen hat sich professionalisiert. Das geht aber auch oft einher mit weniger Flexibilität und Experimentierlust...
Die Begeisterung der frühen Jahre war auch davon geprägt, dass wir den Mangel an finanziellen Mitteln durch persönlichen Einsatz und Enthusiasmus auszugleichen versuchten und manchmal über das Ziel hinausgeschossen sind. Durch Misserfolge und Erfolge haben wir an Professionalität zugelegt, und dabei geht immer ein bisschen was von der alten Spontanität verloren, das stimmt. Aber wenn ich mir den Sender heute anschaue, merke ich: es ist genug Kreativität da für die nächsten Jahrzehnte.
Aber war der private Fernsehjournalismus nicht schon mal kreativer? Anfang der 90er Jahre gab es mehr Experimente als heute. Mutigere zumindest, wenn ich an den „Heißen Stuhl“ denke.
Manche noch so guten Formate überleben sich in der Form, in der sie On Air gebracht werden. "Der heiße Stuhl" ist vielleicht auch an seinem eigenen Erfolg gescheitert. Die Erwartungshaltung für die nächste Sendung wurde immer weiter nach oben gepusht. Irgendwann erreicht man den Punkt, an dem es dann nur noch abwärts geht.
Aber ein so aggressiver Polittalk hätte heute doch Seltenheitswert, wo sich Politiker die ihnen freundlichste Talkshow aussuchen und Sendungen gegeneinander ausspielen können...
Es würde heute wenige Politiker geben, die sich auf einen “Heißen Stuhl” wie damals setzen würden. Die kann man vielleicht an zwei Händen abzählen, das reicht aber leider nur für zehn Sendungen. Damals, Anfang der 90er Jahre, haben wir auch von der Neugierde der Politiker auf das Privatfernsehen und ein kontroverseres Format profitiert. Manche hatten die Hoffnung, sich mal ganz anders „austoben“ zu können. Und so sahen die Sendungen dann auch manchmal aus. Irgendwann haben die Beteiligten wohl gemerkt, dass dieser “Freistil” von den Wählern oder Parteikollegen doch nicht so geschätzt wird.
Kommen wir zu „RTL aktuell“ - seit Ewigkeiten um 18.45 Uhr. War das selbstverständlich oder mussten Sie für die feste Sendezeit kämpfen?
Wir haben 1984 angefangen um sieben vor sieben, die Sendung hieß auch “7 vor 7”. Die Idee war, VOR "heute" und der "Tagesschau" zu liegen. Die krumme Sendezeit blieb aber nur ein paar Jahre. In den späten 80er Jahren merkte man, wir können einen besseren strategischen Programmablauf bauen, in dem wir die Nachrichten immer noch vor der Konkurrenz zeigen, ohne dass es ausgerechnet 18.53 Uhr sein muss. Heraus kam 18:45 Uhr, eine Sendezeit, die seit langem völlig unbestritten und unangefochten ist. Und dann hat sich bekanntlich über die Jahre immer mehr drum herum gruppiert. Erst kam „Exclusiv“, danach Explosiv“, unsere Infostunde am Vorabend ist für Millionen Zuschauer eine feste Größe. Wir schaffen es an dem einen oder anderen Tag sogar vor der "Tagesschau" zu liegen, die Ausstrahlungen in den Dritten Programme ausgenommen. Daran sieht man, dass 18.45 Uhr eine gute Entscheidung war.
Nur im Netz spielt „RTL aktuell“ keine Rolle als Nachrichtenmarke. Anders als etwa „heute“ oder „Tagesschau“...
"RTL Aktuell" ist ein wichtiger Bestandteil von RTL.de, einer der führenden redaktionell betriebenen Websites im deutschen Web. “RTL Aktuell” als die Nachrichtenplattform im Netz war nie unser Anspruch. Die Nachrichtenkompetenz in der Mediengruppe ist auch so gut vertreten, nehmen wir vor allem n-tv als starke Nachrichtenmarke: da haben wir eines der reichweitenstärksten News-Angebote im Internet, die iPhone-App des Senders ist die meist genutzte bei den Nachrichten- und Wirtschaftsangeboten. Und RTL Aktuell ist mit über 300.000 Fans die beliebteste TV-Nachrichtenmarke bei Facebook - damit platzieren wir uns unter den Top 100 in den Facebook-Charts der deutschen Medienmarken. Gerade bei denen, die wir erreichen wollen, werden wir erfolgreich wahrgenommen. Nicht von ungefähr ist „RTL aktuell“ beim jungen Publikum die beliebteste Nachrichtenmarke.
Vom ersten einfachen Studio zur virtuellen grünen Hölle von heute: Ist die Virtualität die höchste Form der Studio-Kunst?
Man könnte ja sagen, da geht technisch noch mehr - Stichwort 3D. Aber brauchen wir wirklich noch mehr? Ich glaube, dass wir schon sehr weit gehen mit unserer Virtualität. Vielleicht nehmen wir uns bei den kommenden Entwicklungsschritten wieder ein bisschen zurück, denn ein virtuelles Studio kann auch leicht kühl und zu technisch wirken, und das wollen wir nicht. Deshalb haben wir beispielsweise bei unserer Frühsendung "Guten Morgen Deutschland" wieder mehr reale Elemente eingebaut.
Virtualität war mal “State of the Art”, aber heute baut ein technisch versierter Laie Ihr Studio zuhause am Rechner nach. Das lässt die Wertigkeit von virtuellen Studios doch rapide sinken...
Ganz so schlimm ist es nicht. Aber wir haben tatsächlich festgestellt, dass einige RTL-Aktuell-Fans Teile unseres Studios im Keller nachgebaut haben. Sie haben sich grünes Fleece an die Wand gehängt, am Computer unser Set draufkopiert und sich dann selber an einem Tisch als Moderator hingesetzt. Das könnte einem zu denken geben, aber ich muss auch schmunzeln wenn man sieht, mit wie viel Liebe zum Detail die Lieblingssendung für den Hausgebrauch kopiert wird. Von der Virtualität verabschieden werden wir uns nicht, aber das Gesamtpaket muss stimmen. Das wird zum Teil durchs Studio geprägt, aber besonders stark natürlich durch die Inhalte. Wir müssen dabei möglichst nah dran sein an der Lebensrealität der Zuschauer, die allerdings auch kein Wohnzimmer als Studio erwarten. Gleichzeitig kann unser Fernsehstudio nicht wie ein Raumschiff anmuten, das hat dann nichts mehr mit der Realität zu tun.
"Natürlich ist RTL ein wichtiger Bestandteil der Medienwelt und trägt eine gesellschaftliche Verantwortung"
Peter Kloeppel
Definitionsfrage: Hat Privatfernsehen per se gesellschaftliche Verantwortung, oder würden Sie die Aufgabe eher als „Geld verdienen mit halbwegs anständigem Programm“ definieren?
Natürlich ist RTL ein wichtiger Bestandteil der Medienwelt und trägt eine gesellschaftliche Verantwortung. Das haben wir von Anfang an so gesehen, sonst würden wir nicht schon seit vielen Jahren so umfangreich Informationsprogramme anbieten wie "RTL Aktuell", “Extra”, das "Nachtjournal", oder mit einer eigenen Journalistenschule Nachwuchs ausbilden.
Die ProSiebenSat.1 Media AG hat der Information im Programm nie einen so hohen Stellenwert eingeräumt. Ärgert Sie bei dem Duopol im privaten Fernsehen, dass es nicht mehr Wettbewerb gibt, wie Sie es z.B. aus den USA kennen?
Im Informationsbereich ist die Mediengruppe RTL gegenüber der ProSiebenSat.1-Gruppe deutlich erfolgreicher. Wir haben eben von Beginn an gezielt mehr investiert in Personal, Material, Infrastruktur und Programm. Ich brauche mir nicht mehr Wettbewerb wünschen. Den gibt es ja auch so, schauen Sie sich nur die Fragmentierung des Gesamtmarktes an.
Peter Limbourg hat von ProSiebenSat.1 den Sprung zur Deutschen Welle geschafft. Spannender Wechsel, oder?
Für ihn mit Sicherheit, weil er in den letzten 10 bis 15 Jahren bei Sat.1 erleben musste, wie das Informationsangebot dort kontinuierlich zurückgefahren wurde. Das kann einem Vollblut-Journalisten am Ende keinen großen Spaß mehr gemacht haben. So gesehen ist er jetzt bei der Deutschen Welle wieder viel mehr Journalist, natürlich auch Gestalter, aber sicher oft auch Verwalter.
Auf Ihren Fernsehern hier im Büro laufen diverse internationale Nachrichtensender. Als Kenner dieses Marktes: Würden Sie sich eine stärkere Deutsche Welle wünschen?
Ich kenne Peter Limbourg gut und weiß, dass er in seiner neuen Funktion für sich und seine Anstalt werben muss. Den Anspruch zu haben, in einem Konzert von wichtigen Nachrichtenprogrammen wie CNN, Sky, BBC oder AlJazeera mitzuspielen, die weltweit als Marken bekannt sind, finde ich schon mutig. Ich bin gespannt, wie er das umsetzen kann und wird. Aber eine andere Nachrichtenstimme zu sehen und zu hören, die nicht amerikanisch, britisch oder arabisch geprägt ist, das könnten wir schon vertragen.