Was würden Sie den Verantwortlichen dieser Formate vorwerfen?

Was ihnen vollkommen fehlt ist Moral und Verantwortungsgefühl. Das ist in der heutigen Gesellschaft zwar total out. Aber da bleib ich konservativ. Fernsehen ist immer noch das stärkste Massenmedium und viel zu viele gehen damit grob fahrlässig um. Fernsehen an sich macht nicht blöd, aber die Programme, die wir momentan erleben, machen definitv langfristig dumm. Wenn das wirklich die Realität sein soll, die man uns da als solche vorgaukelt, dann will man doch gar nicht mehr auf dieser Welt leben! Dann will ich lieber weg. Ich weiß nur nicht wohin. Ich will diese Menschen in den Sendungen überhaupt nicht kennen lernen, weder real noch fiktiv.



Ich glaube auch, dass viele Teilnehmer solcher Sendungen gar nicht daran denken, dass möglicherweise gerade in deren sozialen Umfeldern diese Sendungen für echt gehalten werden...

Ganz klar: Die Menschen, die da mitmachen, werden übel vorgeführt. Die große Masse der Bevölkerung, die sich nicht im Detail mit dem Fernsehen auskennt, hält das meiste, was sie dort zu sehen bekommt, für echt. Und dabei trifft es auch noch die Ärmsten. Genau jene, die tagsüber zuhause sitzen weil sie entweder keinen Job haben, sich keine alternative Freizeitgestaltung leisten können, krank sind oder keine sozialen Kontakte haben. Die werden gleich doppelt verarscht: Entweder weil sie als Teil solcher Produktionen öffentlich vorgeführt werden oder weil sie nur noch solche Programme gezeigt bekommen. Und wenn ich den ganzen Tag nur Menschen sehe, die sich anschreien, bepöbeln, betrinken, streiten und schlagen und noch nicht einmal richtig Deutsch sprechen - natürlich färbt so etwas ab. Und dafür sind die Macher dieser Sendungen verantwortlich. Fernsehen ist so ein tolles Medium. Es kann informieren, unterhalten und den Horizont der Menschen erweitern, aber in diesem Fall schränkt er ihn ein. Ich höre mich schon an wie ein Moralapostel, obwohl ich nur ein ganz klein bisschen Anstand und Respekt gegenüber dem Zuschauer verlange, so weit ist es gekommen.

Und trotzdem schaut das Publikum zu. Wie erklären Sie sich das?

Das wird ja immer gern als Rechtfertigung benutzt. Aber das stimmt genauso nicht wie der zynische Spruch das Publikum bekäme ja nur das Fernsehen, das es verdient. Eins wird dabei immer vergessen: In meinem Umfeld - und bestimmt auch bei Ihnen - schaut ja keiner mehr fernsehen. Jeder der es nicht muss und es sich leisten kann, schaut PayTV, Video-on-demand, DVD oder Bluray oder nutzt iTunes, was auch immer. Fernsehen auf vielen neuen Wegen, aber eben nicht klassisches lineares Fernsehen. Aber eben die, die sich das nicht leisten können, sind auf das Angebot angewiesen, das es gibt. Ob „Pures Leben“ oder „Mitten im Leben“, „Betrugsfälle“ oder „Verdachtsfälle“... man kann sich nur noch von einem Elend zum anderen zappen. Und bitte liebe Privatsender: Fangt da jetzt nicht ernsthaft an, auf Arte zu verweisen. Arte ist toll, aber nicht die Entlastung für Euer Gewissen. Und bei den restlichen Öffentlich-Rechtlichen kommt am Nachmittag doch auch nur Kochshow, Telenovela oder Boulevard-Tratsch-Magazine, dort bietet man keine wirkliche Alternative. Und so schaut jeder dann das für ihn kleinste Übel - weil die meisten Menschen sich ja mit irgendwas berieseln lassen wollen. Ich bin ja froh, wenn ich irgendwo versteckt noch eine gute alte Serie entdecke, z.B. bei Kabel Eins oder Tele 5.

Bleiben wir doch mal bei den Öffentlich-Rechtlichen. Die überzeugen Sie auch nicht?

Das Sehenswerte wird ja meist versteckt, aus Angst es könnte jemand nicht verstehen. Entweder tief in der Nacht oder auf den Digitalkanälen. Wir nutzen die vielleicht, aber die meisten Menschen haben die doch gar nicht auf der Fernbedienung, und das ZDF sendet auf ZDFneo all das, was eigentlich im Hauptprogramm ihre verdammte Pflicht wäre: Intelligente US-Serien und Eigenproduktionen für ein mündiges Publikum von höchster Qualität. Stattdessen gibt es das Traumschiff, Rosamunde Pilcher und Unser Charly. Meinetwegen auch ab und zu diese kleine Portion seichten Schwachsinn, in Maßen nichts dagegen - aber bitte nicht nur!  Wie die mit den „Sopranos“ umgegangen sind und jetzt wieder mit „Mad Men“ und „30 Rock“ ist wirklich jämmerlich.  Bestmögliches Verstecken. Ich könnt mich da tierisch aufregen.

Man bekommt ja inzwischen auch über die Social Networks täglich mit, wie Sie sich empören. Man macht sich da fast Sorgen um Ihre Gesundheit. War die Pause der „Mattscheibe“ für Sie eher Kur oder Entzug?

Eine kleine Pause tut immer gut. Aber irgendwann werde ich unruhig, weil keiner sonst dem Wahnsinn etwas entgegengesetzt hat. Ich mache das ja, weil ich das Fernsehen im Grunde wirklich liebe. Ich bin großer Fan und begeistere mich gerne, aber wenn ich dann sehe wie man als Zuschauer behandelt und missachtet wird, wie man mir förmlich und bildlich vor die Füße kotzt, dann will ich das eben nicht ohne Widerspruch hinnehmen.

Sie kritisieren ja schon gerne im Ton eher deftiger. Und trotzdem mag die Branche Sie durchaus. Wie erklären Sie sich das?

Weil die insgeheim wissen, dass ich recht habe. Ich moderiere ja ab und an auch mal Veranstaltungen der Medienbranche. Aber statt da die Eier der Anwesenden zu kraulen, was alles so furchtbar bedeutungsschwanger macht, mache ich lieber ein paar Witze über sie. Und es scheint für viele in der Branche dann auch ein Ventil zu sein, endlich mal über die eigenen Fehler lachen zu dürfen. Wenn man über sich selbst lachen kann, ist alles nur halb so schlimm, weil das zeigt, dass man den Kern der Kritik verstanden hat. Ich halte der Branche gern den Spiegel und diskutiere auch gerne darüber, wie es besser werden könnte. Weil mir das Fernsehen noch wichtig ist und ich gern gute Programme hätte, so wie Sie auch. Ich bin ja nur so wütend, weil man gerade uns, die wir das Fernsehen lieben, für so bescheuert hält.