Wie sieht Ihr Selbstverständnis aus?
Natürlich möchte ich, dass möglichst viele Leute meine Sendung sehen. Aber nicht um jeden Preis. Ich möchte auch die Freiheit haben, wichtige Themen machen können, bei denen man sehenden Auges auch mal auf eine schwächere Quote zusteuert. Die öffentlich-rechtlichen werden in einem Punkt wirklich regelmässig unfair behandelt: Machen sie erfolgreiche Programme, werden sie kritisiert, weil sie angeblich ohne Not Mainstreamprogramme produzieren. Wenn es den Sendungen aber an Quote mangelt, wird unabhängig von der Qualität in Landtagen schon mal darüber diskutiert, dass bei mangelnder Akzeptanz des Publikums Gebührenerhöungen nun wirklich kein Thema sein dürften. Davon abgesehen: Hohe Quote automatisch mit Niveaulosigkeit gleichzusetzen oder mangelndes Zuschauerinteresse als Ausweis von Qualität zu definieren ist eine Attitüde, die mir schon immer massiv gegen den Strich gegangen ist.
Das Spektrum der Themen in den ersten Sendungen reichte von Tagespolitik über Einzelgespräche bis zu einer Sendung über die „Trinker-Republik“, bei der ich mich frage, ob das etwas für den Hauptstadt-Talk am Sonntagabend ist?
Doch das ist es. Ich bin überzeugt, dass wir das Themenspektrum am Sonntag Abend erweitern müssen. Der zwanzigste Koaltionsstreit mag per se natürlich politisch sein, aber die gesellschaftlichen, auch gesellschaftspolitischen Konsequenzen einer „Trinkerrepublik“ können da relevanter sein. Und wenn, wie in dem Fall geschehen, es den ersten Abgeordneten im Bundestag gab, der sich in Therapie begeben hat und so gefestigt war, dass er damit an die Öffentlichkeit gehen wollte, um auf das Problem hinzuweisen, dann ist das erst recht ein Thema.
Aber gab es in der Woche kein härteres Thema?
Es gibt immer ein anderes Thema und natürlich mehrere Möglichkeiten. Sie können ein Thema, das in der Woche schon aufgekommen und diskutiert worden ist, am Sonntag mit entsprechend guten Gästen aufnehmen. Interessanterweise funktioniert das, weil die Menschen schon ein Vorwissen und ein gewisses Grundinteresse haben, besser, als wenn Sie ein Thema völlig neu setzen. Das bringt zwar Anerkennung und Ehre, wenn Sie da als erster dran sind. Das heißt aber auch, dass Sie erst das Interesse der Menschen für das Thema wecken müssen. Ich nenne mal ein Beispiel: Die Vorgänge um die rechtsterroristischen Anschläge sind am vorvergangenen Wochenende eskaliert. Wir haben dann Samstagnacht, 22 Stunden vor der Sendung, auf dieses Thema umgeschwenkt. Da waren wir dann die erste Gesprächssendung, die das Thema für die Woche „gesetzt“ hat. Ich hätte gedacht, dass das sogar noch mit ein paar hunderttausend Zuschauern mehr belohnt wird. Aber vielleicht waren viele da noch nicht soweit. Jetzt, da immer mehr Entwicklungen bekannt werden, wäre es womöglich einfacher die Leute dafür zu interessieren, weil sich in den Köpfen der Menschen jetzt schon viel mehr Fragen verfestigt haben. Auch das müssen wir aber erst anhand von Erfahrungswerten lernen. Da wird es wohl noch 40 oder auch 80 Sendungen brauchen um wirklich ein Gespür dafür zu bekommen, wie wir inhaltlich, zeitlich und personell Themen und Gäste platzieren müssen.
Wobei Sie ja auch durch „Stern TV“ schon ein gutes Gespür dafür entwickelt haben sollten. Was mich ohnehin überrascht hat: Bei der allerersten Sendung wirkten Sie sehr aufgeregt...
Ja, sehr. Ich war in der Sendung sehr nervös...
Aber was genau machte denn nervös? Das Erbe des Sendeplatzes? Denn das Genre ist Ihnen doch in ähnlicher Form bekannt gewesen...
Das Genre war mir nur bedingt vertraut. Ein Einzelinterview von sieben oder acht Minuten bei „Stern TV“ unterliegt ganz anderen Gesetzen als ein einstündiger Talk. Und die Summe guter Einzelinterviews ergibt noch keine lebendige Gesprächsrunde. Daran muss ich auch arbeiten, um zu ermöglichen, dass das Gespräch unter den Gästen besser funktioniert. Dass ich auch in der Lage bin, einfach ein guter Katalysator zu sein. Und es war natürlich der Druck, der vor der Premiere von außen aufgebaut wurde mit Erwartungshaltungen zwischen „Fernsehen wird neu erfunden“ und „Mal sehen, wie er jetzt endgültig abstürzt“. Dazu kam noch das gewichtige Thema zehn Jahre 11. September.
Aber das haben Sie sich ja, wie den Starttermin, selbst ausgesucht...
...nein, den habe ich mir nicht ausgesucht. Wenn ich es eine Woche früher gemacht hätte, wären es die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern gewesen und eine Woche später die Abgeordnetenhauswahlen in Berlin . So gesehen war jeder Termin im September schon so gut wie thematisch besetzt. Ein Start am 11. September barg dann immerhin noch die Chance, dass in der Woche vor der Sendung etwas passiert und das Thema des Abends nicht durch eine Wahl diktiert war. Wir hatten 9/11 vorbereitet, aber hätten sofort auf ein aktuelles Thema gewechselt. Das kam nur nicht.