Im Fernsehen werden die Kommissar-Figuren im Laufe der Zeit zu Institutionen, das ist im Kino schwer leistbar.

Das gilt in den USA genauso, dennoch klappt es. Weil dort eine Tradition solcher Filme existiert.  Hier stand selbst “Das Experiment” vor dem Problem, man war sich fast einhellig sicher, dass ein deutscher Thriller nicht ankommt.  Erst in den letzten Jahren hat man sich in Deutschland langsam dem Genrekino genähert.

Welcher der jüngeren und erfolgreichen deutschen Regisseure könnte einen großen Polizeifilm oder Thriller machen?

Allgemein nehme ich unter den jüngeren deutschen Regisseuren mehr Offenheit, Kenntnis und Interesse zum Thema Genrefilm wahr. Auch wenn er nicht mehr zur ganz jungen Generation gehört, würde ich Oliver Hirschbiegel nennen. Tom Tykwer, der ein großes filmhistorisches Wissen hat und Genres kennt, könnte es. Aber ich könnte mir auch einen großartigen Polizeifilm von Christian Petzold vorstellen - wenn er denn will.

Zurück zum Fernsehen: Welche Essenzen muss ein erfolgreicher Krimi mitbringen, der auf Ihrem Sendeplatz läuft? Im ZDF wurde er mal  “Kaminstunde” genannt und von “Derrick” und “Der Alte” besetzt.

Diese Frage ist nicht zufrieden stellend zu beantworten. Die sicherste Variante ist, meiner Meinung nach, eine Geschichte zu erzählen, die einen wirklich interessiert, und die konsequent umgesetzt ist.  Der Freitagabend ist ein besonderer Sendeplatz. Er passt nicht besonders gut zu Action-Serien. Aber selbst Action könnte man in Deutschland, wenn man es konsequent durchzöge, gut machen. Alles, was sehr entschieden gemacht wird, hat eine Chance. Unser Genre ist eine moderne Form des psychologischen Krimis. Die Blickrichtung gilt dabei weniger dem Täter, sondern dem Opfer als zentrale Figur.

Hier taucht der Begriff der „Viktimologie“ auf. Deckt sich dieser Begriff mit den Instrumenten Schumanns?

Ja, das ist angestrebt. Dort liegt sein Hauptinteresse. Natürlich kennt er noch mehr Methoden…

Aber die Viktimologie ist sein Steckenpferd, das, was für „Dr. House“ die Differenzialdiagnose ist.

Genau. Er kann natürlich nicht nur nach Schema F vorgehen, aber hier findet er die wichtigsten Antworten.
 
Foto: ZDF
Christian Berkel in "Der Kriminalist" (freitags, 20.15 Uhr im ZDF) 
 
 
Es gibt in jedem „Kriminalisten“ den besonderen Moment, in dem Schumann an den Tatort geht, dort ganz allein ist, und versucht, sich in die Lebensumstände des Opfers einzufühlen.

Ja, das sind Momente, die mir sehr viel bedeuten. Uns war wichtig, dass da nicht der Mann mit der übermenschlichen Intiution kommt, alles sofort erfasst und punktgenau formuliert.

Da stellt man sich oft die Frage, wo der Mann das nun hernimmt.

Natürlich hat ein guter Kriminalist Intuition – er muss sie trainieren, abrufbar haben, sie analysieren können. Es gibt den Beststeller „Blink“ von Malcom Gladwell, in der dieses intuitive Moment genau untersucht wird. Darin findet sich die Geschichte von einer griechischen Statue, die das Getty-Museum kaufen will, deren Echtheit zahlreiche Experten belegt haben. Irgendwann, als die Statue gekauft war, tauchte jemand auf, der Zweifel äußerte. Also zog man einen Experten hinzu, der eine bestimmte Technik zur Echtheitsprüfung anwendet: Er will mit dem Kunstwerk allein sein. Wenn er den Raum betritt, ist das Kunstwerk verhüllt. Das Wort, das ihm in dem Moment einfällt, in dem das Kunstwerk enthüllt wird, schreibt er sich auf, dann untersucht er es. Das ist der Versuch, Intuition zu systematisieren. Das Wort, dass ihm in den Sinn kam, als er die Statue sah, war „frisch“. Später stellte er an Hand von Oberflächenbeschaffenheiten fest, dass die Statue tatsächlich nicht echt sein konnte. Dieses Vorgehen beschreibt auch die Arbeitsweise von Schumann: Der Einsatz von Intuition, gleichzeitig die Systematisierung der Auswertung.

Sind Sie dieser Form von Intuition über die Beschäftigung mit Schumann auch privat näher gekommen?

In diesem Fall war es anders herum. Als man auf mich zukam, gab es Schumann noch nicht. Auf der Suche nach der Figur bin ich auf die Viktimologie gestoßen. Wenn ich eine Serienfigur aufbaue, muss ich ihr nah sein, ihre Eigenschaften verstehen. Ich teile das Interesse für psychologische Vorgänge, das Zusammenbringen von Intuition und Analyse. Das ist auch notwendig. Ich spiele diese Figur in diesem Jahr von Januar bis Juli fast jeden Tag.