Lieber Herr Berkel, wir sitzen an einem geschichtsträchtigen Ort, in der Paris Bar in Berlin-Charlottenburg. Wie könnte ein Krimi aussehen, der hier spielt?

Da bietet sich eine Geschichte an, die in dieser Form selten erzählt wird. Es könnte um Kunst gehen - um die außergewöhnliche Bildersammlung an diesem Ort. Hier gehören ja viele Sammler und Galeristen zur Klientel. Dieses Milieu würde passen.

Ihr “Kriminalist” ist allerdings eher in Kreuzberg und Friedrichshain unterwegs.

Nicht nur! Das Präsidium ist in Kreuzberg, ja. Aber unsere Fälle passieren überall in der Stadt, ob Kreuzberg, Mitte, Grunewald oder Dahlem oder in einem Randbezirk. Wir waren fast überall. Wir wollen uns nicht auf eine gesellschaftliche Schicht konzentrieren. Wir sind nicht “Derrick”, wo alle aus München-Grünwald kommen, wo so viel gedreht wurde, dass der Ort längst leergeschossen sein müsste. Wir wollten weder ausschließlich die Upper Class beleuchten, noch uns aufs tiefste Kreuzberg beschränken. Morde finden überall statt.

Und Berlin bietet als Schauplatz große Spannweiten und Kontraste.

Darin liegt die Spannung Berlins, eine Spannung, die in keiner anderen deutschen Stadt existiert. Hier ist die Stadt, im Guten wie im Schlechten, mit London, Paris oder New York vergleichbar.

Die Serie malt Berlin in kühlen Farben, atmosphärischen Nachtbildern. Nehmen Sie diesen Eindruck der Stadt selbst so wahr, wenn Sie sich in ihr bewegen?

Durchaus. Ich bin hier aufgewachsen, nicht immer ist Berlin nur grau, ich erinnere ich an heiße Sommer und knackig kalte Winter. Berlin hat eigene Lichtstimmungen, auch wenn die Sonne scheint, ein anderes Blau als zum Beispiel Bayern, vielleicht ein östlicheres. Berlin war nie eine reiche Stadt, und in der Art, wie die Menschen sich hier bewegen, ist sie direkter, schneller, härter als andere deutsche Städte. Und weniger gemütlich.

Das sind auch Eigenschaften des “Kriminalisten” Benno Schumann: Härte, Strenge, Klarheit.

Klarheit und Form ist wichtig. Echte Kriminalisten betonen das immer wieder: Wer keine Klarheit im Auftreten mitbringt, wird gar nicht ernst genommen. Der Ermittler hat mit Menschen zu tun, die stark auf elementare und körperliche Signale reagieren. Allerdings: Schumann ist nicht ausschließlich hart.
 
Foto: ZDF
Christian Berkel in "Der Kriminalist" (Freitags, 20.15 Uhr im ZDF)
 

Ist er ein Fremder?

Ein gute Frage, ich glaube schon. Wir haben ihm wenig Privatleben gegeben. Es gibt diese sehr spezielle Form der Beziehung mit einer Staatsanwältin, die sich in Hotelzimmern abspielt. Die beiden grenzen eine Form von Privatheit aus. Beide scheinen ein Problem mit einer normalen Nähe zueinander zu haben. Darin liegt ein Fremdsein. Der Mensch Schumann, den wir zeichnen, hat so viel mit Mord und Tragödien zu tun, dass es ihm schwer fällt, eine Distanz dazu zu finden. Er ist nicht der Typus Kriminalist, der nach Hause zur Familie fährt und abschaltet. Er trägt die Fälle mit sich herum und braucht das Analytische, um überhaupt eine Grunddistanz, einen Schutz zu gewinnen. Wenn er einen Fall aufnimmt, wird er ja auch emotional involviert. Er geht an die Schauplätze, arbeitet assoziativ, sammelt. Ein zweiter Aspekt seines Privatlebens, den wir aufblenden, ist der Tod seiner Tochter und die dadurch gescheiterte Partnerschaft. Das ist unüberwindbar, das trägt er mit sich herum.

Dennoch wirkt Schumann zurückgenommen, diese Vorgeschichte wird sehr sparsam erzählt.

Ja. Im Kern wollten wir eine Hauptfigur, die sich von den unzähligen deutschen und europäischen Figuren unterscheidet. In der Masse der manchmal überkauzigen, überprivaten, überfreundlichen Hauptfiguren, bei denen das Private stark im Vordergrund steht und es um den “netten Kommissar” geht, an den man sich anlehnen kann. Das kritisiere ich nicht, aber da wollten wir einen Unterschied machen.

Sind Sie Krimigucker?

Ja, das ist ein Genre, das mich interessiert, in dem ich mich recht gut auskenne. Schade finde ich, dass es bei uns kaum im Kino stattfindet, es gibt keine deutsche Tradition des Kino-Polizeifilms. Als Grund wird immer genannt, dass im Fernsehen ausreichend viele Krimis zu sehen sind.