Ich habe letzte Woche Donnerstag eine Push-Mitteilung bekommen von Spiegel Online - Sie wissen schon. Diese Internetseite, die Sie immer hektisch aufrufen, wenn jemand plötzlich das Büro betritt, damit es unbemerkt bleibt, dass Sie eigentlich wer weiß wo rumsurfen. SPON-Eilmeldungen haben schon so manche unglückliche Botschaft übermittelt, aber diese war besonders speziell: „In eigener Sache: Hier ist bento, das neue Portal für junge Leute“. Oh Mann. Wieder einmal bereue ich die Entscheidung, 18 Jahre alt zu sein und damit genau zu der Sorte Mensch zu gehören, die „Jugendangebote“ wie bento zu begeistern versucht.
Sie mag das vielleicht überraschen, weil dieser Text jetzt schon mehr als 140 Zeichen hat, aber ja, ich gehöre zu genau der Generation, die Helmut Schmidt für einen ehemaligen Late-Night-Talker und „hart aber fair“ für ein Video auf YouPorn hält. Wir verstehen deutsche Sätze nicht ohne mindestens drei Anglizismen, und wenn Facebook für eine halbe Stunde down ist, kriegen wir stecknadelkopfgroße Pupillen und einen fiesen Hautausschlag an sämtlichen Gliedmaßen unseres Körpers. Aber vor allem interessieren wir uns natürlich einen feuchten Dreck für tagesaktuelle Nachrichten und Politik. Aber Gott sei Dank gibt es ja Angebote für „junge Leute“, die genau dagegen ankämpfen.
Wir, das ist die Generation, die auch eine Nachrichtensendung wie „heute+“ ertragen muss, in der das ZDF versucht, uns für Tagesaktualität zu begeistern, indem es den ausgefuchsten Trick verwendet, einen Moderator vor die Kamera zu stellen, der keine gottverdammte Krawatte trägt. Heidewitzka, wie tight! Und jetzt ist also auch noch bento für uns da, damit sich die politisch interessierten Gees und die gesellschaftskritischen Wack City Bitches der Nation wenigstens ein kleines bisschen mit der Weltgeschichte auseinander setzen können. Eigentlich hatte ich bento gedanklich schon zu imakeyousexy.com in meinen Lesezeichen-Ordner „Seiten, die ich unter KEINEN Umständen besuchen will“ befördert, wollte dann aber dem Ganzen doch eine Chance geben. Schließlich will ich nicht irgendwann meinen Enkelkindern erzählen müssen, nie etwas im Leben gewagt zu haben.
„Schön, dass du da bist“. Die Begrüßung - so jung. Fühlt sich an, wie eine virtuelle Ghettofaust. Darüber sehe ich ein Foto von der Redaktion. Aha, so sieht also die Art Mensch aus, die redaktionelle Tweets schreibt wie „Mobbing für Profis: Wir erklären, was die #Peeple App ist und warum sie shit ist“... Immerhin scheint bento tatsächlich relativ jung besetzt, aber das ist Voxxclub auch. Ich lese weiter: „Wir wollen für euch aus der Welt und dem Web berichten, spannende Geschichten erzählen und ein bisschen Quatsch machen“. Richtig so! Bloß nicht mit Seriosität abschrecken. Nachrichten über Krisen und Kriege ja, aber der Fun-Faktor darf nicht fehlen.
„Wir sind gerade erst gestartet, wollen viel ausprobieren und freuen uns auf euer Feedback. Los geht's! Zum Beispiel mit Fotos von Elyas M’Barek (heiß)“. Das ist der Moment, indem ich mir sage: „Entweder du schließt diese Seite jetzt für immer und lebst in Frieden, oder du liest weiter und landest heute Abend verzweifelt in der Warteschleife von Domian.“ Ein weiterer Link zu einem Artikel heißt „Bundeswehr auf Instagram (bärtig)“. Super Ansatz. Das Thema „Bundeswehr“ alleine würde natürlich keinen aus der Zielgruppe auch nur im Geringsten interessieren. Instagram ist dagegen ein Knaller! Das ist jung, das ist hip, das ist hot shit, also warum nicht einfach kombinieren?
Und welcher 16-jährige pubertäre Pickelkopf da noch nicht angebissen hat, wird doch sicher das in Klammern stehende Schlagwort „bärtig“ überzeugen. Das ist bestimmt auch gerade irgendwo ein Trend, oder nicht? Alternativ wird einem noch „feministischer Pornodreh (läuft)“ angeboten. Da fällt einem vor lauter Jugendlichkeit doch glatt das Longboard aus der Hand. Ich klicke auf den Artikel-Link „K.I.Z und AnnenMayKantereit“, weil es der einzige ist, der kein vollkommen peinliches Schlagwort in Klammern dahinter hat. (darum)
Ich lese den Artikel, der von einem Mann stammt, der sich Frieder Kreezy nennt. Wahrscheinlich, weil sein bürgerlicher Name Frieder Krauß nicht zielgruppenorientiert genug klingt. Ist doch wohl klar: Kein Teenager auf der ganzen Welt würde sich einen Artikel durchlesen von jemandem, dessen Name nicht auch der einer x-beliebigen YouTuber-Nase sein könnte. Das wissen die Leute bei bento. Herr Kreezy schreibt: „Ihr feiert ‚Hurra die Welt geht unter‘, wollt mehr davon, wisst aber nicht, was das eigentlich ist, was die machen? Ein Erklärungsversuch“. Ja, einen Erklärungsversuch habe ich nach dem ersten Satz schon bitter nötig, weil ich nicht verstehe, welcher Volltrottel einen Song „feiert“ aber nicht weiß „was das ist, was die machen“.
Was das ist? Ein Rap-Song. Was die machen? Einen Rap-Song vermutlich. Egal, weiter: „Das Hitpotenzial des Songs aus dem gleichnamigen K.I.Z.-Album ergibt sich wohl einerseits aus dem bockstarken Chorus und andererseits aus den blitzgescheiten Lyrics, deren Kernbotschaften so klar formuliert sind, wie man es sonst nur von Antifa-Bannern kennt.“ Starker Anfang, da bleibt jedes Teenagerherz am Ball. Vor allem werden sie nicht mit neuen Informationen überfordert und abgeschreckt. „Gab es überhaupt schon mal einen deutschsprachigen Chorus, der so straight, so lyrisch und gleichzeitig so sagenhaft stark performt daherkam?“ Genial. Frieder weiß, dass er Wörter wie „straight“ droppen muss, damit die Aufmerksamkeit nicht nach 140 Zeichen wieder in Richtung Status-Update geht.
„Kein Wunder, dass sich das Publikum bei Live-Darbietungen Sorgen um den Sänger macht“. Oha, jetzt aber schnell! Schon vier Sätze und es wurde noch kein Tweet eingebunden! Don’t panic, Frieder! Du hast es noch unter Kontrolle! Die Zielgruppe hängt an deinen Lippen, aber jetzt ist es allerhöchste Eisenbahn, verdammt! Sie verlangen einen völlig zusammenhanglos eingebunden Tweet und zwar schnell! „Ich hatte ja ein wenig Angst dass sich Henning May während dem Auftritt noch in Hulk verwandelt #arschbombe“ wird eine Twitter-Userin namens @olgabratkopf zitiert. Volltreffer! Auch wenn man bisher noch überhaupt nicht darüber aufgeklärt wurde, wer oder was ein Henning Mey überhaupt ist, ist dieses Zitat fantastisch gewählt und das hat einen Grund: Es hat keine Satzzeichen!
Nicht auszudenken, wie lange der Autor im Internet nach diesem Tweet recherchiert haben muss, bis er einen fand, der inhaltlich seine Thesen so unterstützen kann und gleichzeitig keine Kommas hat. Ich habe keine Lust weiter zu lesen und scrolle den Text durch. Vier Sätze. Facebook-Kommentar. Drei Sätze. Instagram-Foto. Zwei Sätze. Eingebundenes YouTube-Video. Zwei Sätze. Eingebundenes YouTube-Video. Wieder zwei Sätze. Wieder ein eingebundenes YouTube-Video. Endlich mal. Das ist ja so abwechslungsreich, wie die Themen von Mario Barth. „Was für ein gequirlter Mumpitz“, denke ich. Und ich denke in diesem Moment mit Absicht extrem altmodische Wörter wie „gequirlt“ und „Mumpitz“, um mich nicht in diesem krampfhaften Jugendjargon zu bewegen.
Das sind keine Nachrichten für junge Menschen. Das sind Nachrichten für dumme Menschen.
Bento kategorisiert die Themen in Rubriken ein wie „Style - OMG! So Fancy“ oder „Gerechtigkeit - Say What?!“ und scheint dabei genau für die Art „junger Mensch“ gemacht zu sein, die selbst von den Inhalten in den Snapchat-Videos von Lena Meyer-Landrut überfordert sind. Das sind keine Nachrichten für junge Menschen. Das sind Nachrichten für dumme Menschen. Jugendliche, die sich ernsthaft für Inhalte interessieren, werden genau wie vorher weiter die Artikel beim echten Spiegel Online lesen und die anderen werden weiter sagen: „Ich brauche keine Nachrichten. Wenn etwas wirklich wichtiges passiert, merke ich das schon auf der Facebook-Seite von Jan Leyk!“.
Garantiert wird kein Mensch zwischen 12 und 20 Jahren denken „Oh, da steht etwas über Putin. Normalerweise würde ich dieses Thema komplett ignorieren, aber da steht auch ein verführerisches ‚Say what!‘ dabei.“ Zumal die wirklich wichtigen Themen bei bento nur sehr flüchtig angerissen oder gar nicht erst angesprochen werden. Der Tag der deutschen Einheit wird zum Beispiel mit einem Rezept für einen „Mauerkuchen“ zum Selberbacken gefeiert und über Flüchtlinge liest man nur etwas in Artikeln wie „Wie sich Krach unter Flüchtlingen vermeiden lässt“ und „Diese Bilder beweisen, dass Elyas M’Barek der heisseste Typ der Welt ist“.
Ohne es genau zu wissen, so habe ich das Gefühl, für einige in meinem Alter zu sprechen, wenn ich sage, dass man sich da so ernst genommen fühlt wie Menowin Fröhlich, als er sagte, er nehme kein Kokain. An dieser Stelle verrate ich Euch mal ein Geheimnis: Ich lese nicht nur regelmäßig Spiegel Online, sondern kaufe sogar ab und zu den „Spiegel“ am Kiosk. Ja, Gedrucktes auf toten Bäumen. Und in meinem Freundeskreis gibt es sogar Personen, die ein Abo vom „Spiegel“, von der „Zeit“ oder Ähnliches haben.
Ich weiß, das mag für euch vielleicht so verrückt klingen, wie für Meryl Streep der Satz „Dieses Jahr bist du nicht für einen Oscar nominiert“, aber es ist tatsächlich die Wahrheit. Wir brauchen kein „heute+“ und auch kein bento. Uns reicht der stinknormale Claus Kleber mit Krawatte und das Spiegel Online in der Non-Yolo-Version... Aber vielleicht bin ich auch einfach zu alt für den Quatsch.