"Der Online-Journalismus ist kaputt. Wir kriegen das wieder hin." Mit dieser großen Ankündigung gingen die Krautreporter 2014 an den Start. 900.000 Euro und mehr als 15.000 Abonnenten sammelten die Macher ein - es war ein enormer Vertrauensvorschuss, der entsprechend kritisch von vielen Seiten beäugt wurde. Als es ein Jahr später darum ging, die Abonnenten davon zu überzeugen, Geld für ein weiteres Jahr zu geben, hatten die Gründer Sebastian Esser und Philipp Schwörbel mit Problemen zu kämpfen. Letztlich verlor man fast zwei Drittel der Abonnenten, das Budget sank auf 300.000 Euro.

Inzwischen sind die vielen Schlagzeilen der Anfangszeit verschwunden - und mit ihr auch die hohen Erwartungen, bei denen man schon fast zwangsläufig nur enttäuscht werden konnte. Jetzt ist Krautreporter in das dritte Jahr gestartet und die Gründer arbeiten fleißig an der Plattform. Das Unternehmen ist mittlerweile keine GmbH mehr, sondern eine Genossenschaft. 350 Menschen haben sich beteiligt und 150.000 Euro in das Projekt gesteckt. Bis Ende des Jahres will man 500 Menschen als Genossenschafter gewonnen haben, erklärt Esser im Gespräch mit DWDL.de.


Aber auch inhaltlich und operativ gab es einige Änderungen. "Wir haben uns von einem losen Autorennetzwerk in eine feste und dicht organisierte Kernredaktion verändert. Das ist auch wichtig, um ein Produkt aus einem Guss herzustellen, das war ein Lernprozess", sagt Esser. Die anfangs fehlende gemeinsame, redaktionelle Idee hatte unter anderem Stefan Niggemeier dazu gebracht, aus dem Projekt auszusteigen (DWDL.de berichtete). Inzwischen betreibt dieser mit Boris Rosenkranz bekanntlich Übermedien.de - eine Plattform, bei der man sich ausschließlich auf Medienthemen konzentriert. Bei Krautreporter ist die Veränderung inzwischen zu sehen, im vergangenen Jahr wurde viel über die Flüchtlingsthematik berichtet, 2017 will man sich vor allem mit der Bundestagswahl beschäftigen.

"Wir wollen über Dinge berichten, die für klassische digitale Medien schwer darzustellen sind, weil diese sich auf ihr News-Kerngeschäft konzentrieren müssen", sagt Esser. Für die Bundestagswahl bedeutet das: Keine Artikel über mögliche Koalitionen und Kanzlerkandidaturen, sondern Geschichten fernab des klassischen Nachrichtengeschäfts. "Da haben wir schon eine wichtige Funktion, gerade auch wenn man sich Trump, Brexit und die bevorstehende Wahl in Frankreich anschaut. Wir wollen einen anderen Zugang zu den Leuten finden, die sich da draußen ganz anders verhalten als wir uns das in den Redaktionen vorstellen. Das ist unsere große inhaltliche Herausforderung." Man werde daher viel im Land unterwegs sein und mit den Menschen sprechen, vor allem aber wolle man den Austausch mit den Usern verstärken.

Grundsätzlich habe man aus den ersten zwei Jahren viel gelernt, sagt Esser. So sei die Marke Krautreporter zum Beispiel viel wichtiger, als man das zunächst angenommen habe. "Wir dachten, dass die Autorenmarken entscheidend sind und die Medienmarken in den Hintergrund treten, das ist bei uns aber genau anders herum", so Esser. Daher auch der bereits beschriebene Schwenk von einem losen Autorennetzwerk hin zu einer festen Redaktion, die zehn feste Mitarbeiter umfasst.

Aber nicht nur inhaltlich, sondern auch auf technischer Seite denken die Gründer Sebastian Esser und Philipp Schwörbel mittlerweile neu. Weil man große Probleme mit dem Einzug des Geldes der Abonnenten hatte, so konnte man nach einem Jahr etwa nicht mehr auf die Hälfte der hinterlegten Kreditkarten zugreifen, entstand die Idee zu einer neuen Plattform. Die heißt Steady und befindet sich seit Anfang November in der Beta-Phase. Gründer können hier ihre Projekte vorstellen und User um Geld bitten. Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine klassische Crowdfunding-Plattform. Bei Steady geht es allerdings nicht darum, einmalig Geld für ein Projekt zu sammeln, sondern darum, Abos zu verkaufen.

Ich werde das hoffentlich bis an mein Lebensende weitermachen.

Sebastian Esser

Erreichen wollen Esser, Schwörbel und die zwei Mitgründer Dirk Holzapfel und Gabriel Yoran damit nicht nur Journalisten, sondern auch Youtuber und andere digitale Publizisten. Das derzeit erfolgreichste Projekt ist ein Bürgerportal für Bergisch Gladbach. 114 Unterstützer investieren hier 800 Euro - jeden Monat. 1.000 Euro werden gebraucht, damit das Projekt realisiert wird. Der Vorteil im Vergleich zum klassischen Crowdfunding liegt auf der Hand: Die Gründer können mit einem regelmäßigen Geldeingang in einer bestimmten Höhe rechnen. Das Krautreporter-Problem, bei dem man sich nach einem Jahr um eine Anschlussfinanzierung kümmern muss, fällt weg.

"Diese vielen Abo-Modelle, die gerade nach dem Vorbild von Netflix oder Spotify überall im Netz entstehen, sind eine direkte Antwort auf die Krise er Werbefinanzierung im Internet. Unser Angebot macht es möglich, so ein Abosystem schnell und unkompliziert auch für eine relativ kleine Zielgruppe zu starten, wie sie es bei Krautreporter ist und bleiben wird", sagt Esser. Ähnlich wie bei Netflix und Spotify sind auch die über Steady verkauften Abos monatlich kündbar. Unterstützt wurden die vier Gründer bei Steady von Google. Im Rahmen der Digital News Initiative erhielten sie 350.000 Euro. Da die Unternehmensgründung und Entwicklung aber viel Geld fressen, ist man derzeit auf der Suche nach neuen Investoren. "Steady ist ein ganz normales Start-Up", sagt Esser. "Wir suchen und reden schon mit Investoren, dabei sehen wir auch, dass merkwürdigerweise nur wenige Verlage an so einem Projekt interessiert sind, das sich mit der Vermarktung von Inhalten beschäftigt." Durch das Google-Geld sei man aber in der komfortablen Lage, das Projekt in Ruhe zu entwickeln.

Anfang 2017 soll Steady mit seinem Regelbetrieb starten, dann kann jeder Projekte auf der Plattform einstellen und um Abos werben. Bei Krautreporter ist Steady nicht eingebunden. Das hat damit zu tun, weil es relativ kompliziert ist, einen bestehenden Abostamm auf ein neues System umzustellen, sagt Esser. Darüber hinaus will man die beiden Projekte aber auch klar voneinander trennen. Es solle nicht der Eindruck entstehen, dass mit den 350.000 Euro von Google ein ganz anderes Projekt als ursprünglich geplant unterstützt wird. Folge des neuen Projekts ist, dass Esser und Schwörbel weniger Zeit für Krautreporter haben. Für Esser ist das aber kein Problem: "Ich habe schon so unfassbar viel gelernt, wovon auch Krautreporter profitiert. Nicht inhaltlich, sondern eher im Bereich Vertrieb und Marketing. Und damit muss man sich mindestens 50 Prozent der Zeit beschäftigen, wenn man ein solches Projekt aufziehen will."

Wie viele Abonnenten Krautreporter nun genau hat, will Esser nicht verraten. Anfang des zweiten Jahres waren es ja nur noch knapp 5.000. Inzwischen seien es mehr, versichert er und sagt: "Wir wachsen netto jeden Monat." Geholfen hat offenbar auch, Nicht-Mitgliedern nicht mehr alle Artikel in voller Länger anzuzeigen. Sie werden nun meist dazu aufgefordert, zahlendes Krautreporter-Mitglied zu werden. "Das hat uns sehr geholfen und unsere Konversion verdreifacht." Sebastian Esser ist zufrieden mit der Richtung, in die es mit dem Projekt geht. "Ich werde das hoffentlich bis an mein Lebensende weitermachen", sagt er demütig. Davon, dass man den Online-Journalismus quasi im Alleingang repariere, ist inzwischen aber keine Rede mehr.