Manchmal – und das hat ausnahmsweise nichts mit dem Erfolg der AfD zu tun – gewinnt man den Eindruck, das tausendjährige Reich sei gar nicht bereits nach zwölf Jahren untergegangen. In Urbino etwa, herrlich nahe der italienischen Adria gelegen, spricht man 71 Jahre nach Kriegsende deutsch und das sogar fließend. Gut, ein paar Unverbesserliche widerstehen der Germanisierung ihrer Kultur, indem sie es mit örtlichem Akzent versehen, doch generell geht es germanisch zu im Renaissance-Städtchen, wenn die ARD dort den nächsten Auslandskrimi mit deutschen Darstellern besetzt.



Ähnlich verhält es sich in Athen, Venedig, Jerusalem, Istanbul, Paris, Tel Aviv, in Bozen, der Bretagne, bald Kroatien plus Island und wer weiß, ob ein paar Kommissare nicht künftig in feuchtwarmer Tropenhitze agieren oder auf der Raumstation ISS; vor interstellarer Kulisse könnten sich die Astronauten doch telegen umbringen – sofern sie Deutsch dabei reden, versteht sich. Denn wer das hiesige Fernsehprogramm in Augenschein nimmt, erkennt darin im globalen Vergleich eine nationale Absurdität: Notorisch schicken deutsche Produzenten seit geraumer Zeit schauspielende Landsleute um den halben Globus, um dort als Comissario Brunetti, Commissaire LaBréa, Komiser Özakin, Povjerenika Branka Maric oder demnächst Solveig Karlsdottir (Franka Potente) im Kriminalitätshotspot Reykjavik Kapitalverbrecher zu jagen.

Das ist, der Urbino-Krimi zeigt es heute zur Primetime im Ersten aufs Neue, meist von erschütternder Schlichtheit. Zum Auftakt hilft Katharina Wackernagel darin als drollige Hobbydetektivin Malpomena dem Dorfpolizisten Roberto (Leonardo Nigro), einen Ritualmörder zu fassen. Sämige neunzig Minuten lang lässt Regisseur Uwe Janson dabei im Auftrag der Degeto kein einziges Klischee italienischer Eigenart aus und hüllt es dank teutonischer Schauspieler in ein Sprachgewand, das sich nicht zu blöde ist, ins fließende Deutsch aller Beteiligten ab und zu „bon giorno“ oder „grazie“ einzustreuen. Der beteiligte Hannes Jaenicke wäre bei der Premiere angeblich am liebsten im Boden versunken vor Scham, doch um Qualität, Inhalt, gar Logik geht es selten, wenn die ARD donnerstags auf Reisen geht.

Das erfüllt ja nur einen Zweck: Den Urlaubsweltmeister Deutschland mit den Krimiweltmeister zum Urlaubskrimiweltmeister zu mischen. Nirgends sonst wird das TV-Angebot auch nur annähernd so von der Aufklärung schwerster Delikte dominiert. Und nirgends sonst sehnt sich das Publikum dabei mehr nach exotischem Ambiente im Urlaubsprospekthimmelblau. Da fragt sich, ob diese Form fernwehgesteuerten Heimwehexports wirklich eine typisch deutsche Angewohnheit ist. Die Antwort: Und wie!

Ein Blick auf die internationale TV-Produktion bringt die Erkenntnis, dass nicht nur 50 Prozent der weltweiten Steuergesetzgebung auf Deutsch verfasst ist, sondern gefühlt auch gut die Hälfte aller Drehbücher für Kommissare, die andernorts als daheim ermitteln. Krimiländer wie die USA, Frankreich oder Schweden kämen kaum auf die Idee, ihre Polizisten auch nur über die Grenze nach Kanada oder Belgien, geschweige denn Deutschland zu schicken. Falls sich Hollywood mal für ein fremdes Thema interessiert, wird es wie im Fall des brillanten, aber für amerikanische Geschmäcker zu britischen Mehrteilers Broadchurch eben zuhause nachgedreht. Und wenn sich doch ein Drehteam in die Ferne verirrt, dann aus eher dramaturgischen Gründen als denen bloßen Schauwerts.

Den Beleg liefert „Homeland“. Die vielfach prämierte Serie des Kabelsenders Showtime spielte von Beginn an nur deshalb auch jenseits der Vereinigten Staaten, weil das Thema Terror nun mal ein globales ist. Die vierte Staffel gleich ganz nach Pakistan zu verlegen, diente daher dem politischen Kontext, keiner touristischen Sogwirkung eines Landes, das vorwiegend trocken ist und öde. Selbst der Drehort der fünften Staffel (ab 3. April bei Sat.1) erklärt sich mit einer Verschiebung der Handlungsachse von der CIA zum wachsenden Feld privater Sicherheit, das zudem in aller Welt verständlich ist: Dass CIA-Agenten auch in Berlin Englisch reden, liegt am Weltsprachencharakter; dass sich deutsche „Traumschiff“-Kreuzfahrer beim Landgang selbst mit Eingeborenen südlich des Äquators unterhalten wie daheim in Bottrop, liegt hingegen einzig an der Ignoranz der Macher.

Ausländische Serien mit grenzübergreifendem Spielort bestätigen da allenfalls die Regel vom zugkräftigen, aber nutzlosen Reisefieber deutscher Produktionen. USA Network etwa verlegte die Serie „Dig“ um eine Verschwörung biblischen Ausmaßes inhaltlich kongruent nach Jerusalem, während HBO gut daran tat, sein Antikenepos „Rome“ an Originalschauplätzen zu erzählen. Die Suche nach einem vermissten Teenager in der mystischen Sundance-Reihe „Top of the Lake“ harmonierte 2013 exzellent mit Neuseelands surrealer Topografie, in der allenfalls der Dialekt leicht variiert. Das gilt auch für die norwegische Koproduktion „Lilyhammer", wohin ein Zeugenschutzprogramm den US-Mafioso Frank Tagliano (Steven van Zandt) verschlägt, der am regionalen Idiom ebenso scheitert wie an der winterlichen Tristesse des Olympiaorts von 1994.

Somit gibt es im Grunde nur eine Serie, die das Prinzip Donnerstagkrimi im Ersten mit dem „Traumschiff“ im Zweiten internationalisiert: James Bond. Seit 1962 hat sich 007 zwar in fast jedem Land der Erde schon mal blicken lassen, ist aber längst schon keine Filmheld mehr, sondern, genau: ein Produkt.