Aufsteiger des Jahres© DWDL.de
Am 4. Februar 2014 hat sich etwas getan im deutschen Fernsehen, das man durchaus mit einem Erdbeben vergleichen kann. Es ist etwas passiert, das nicht alle Tage passiert, eine Umwälzung, um nicht Revolution zu sagen. Zwei Gestalten haben eine verlassene Immobilie besetzt und alle Befürchtungen, dass sie diese nun weiter runterwirtschaften würden, in Windeseile zerstreut. Statt der befürchteten Ruine steht nun eine Art Palast herum. Das muss man erst einmal schaffen. 

Wann hat man das zuletzt erlebt, dass eine Sendung von einem neuen Moderator übernommen wurde und dann in frischerem Glanz erstrahlte als vorher. Normalerweise läuft es doch so, dass einer geht und der nächste sich vielleicht noch ein bisschen im Abglanz des Gewesenen sonnen darf und dann abtreten muss.

Gegenbeispiele sind eher selten und datieren meist aus sehr vergangener Zeit. Thomas Gottschalks „Wetten, dass…?“-Übernahme wäre vielleicht zu nennen, die schnell vergessen ließ, dass da einst Frank Elstner moderierte. Und heute?

Heute sind es Claus von Wagner und Max Uthoff, die der Anstalt das Prädikat „Neues“ entzogen haben und gerade deshalb so aktuell sind. Aus „Neues aus der Anstalt“ wurde „Die Anstalt“, aus einer passablen Nummernrevue ein dramatisches Spektakel von hochpolitischer Brisanz. Plötzlich blitzte auf, was Fernsehen kann, wenn man zwei, die es können, lässt, wenn man will, was die tun, wenn man im besten Fall duldet, was da vor sich geht.

Das ZDF hat geduldet, dass die beiden da tun, was sie wollen. Es hat ausgehalten, dass beleidigte Journalisten Gerichte bemühten, weil sich die Satire nicht penibel ans Kleingedruckte hielt. Claus von Wagner und Max Uthoff haben Wirbel gemacht schon mit ihren ersten Sendungen, sie haben eine träge Meute aufgescheucht, und sie haben verblüfft.

"Alle Hüte ab für Uthoff und Von Wagner, die aus einer etablierten Marke sofort was ganz eigenes gemacht haben. Vor allem die Idee, Themen wie Rente jenseits von Tagesaktualität als roten Faden durch eine ganze Sendung zu ziehen ist großartig. Abgesehen davon: Wer es schafft, gleich im ersten Jahr von renommierten Journalisten verklagt zu werden, hat meinen uneingeschränkten Neid."
Oliver Welke, Moderator "heute-show"

Nicht länger war „Die Anstalt“ eine Nummernrevue, zu der die üblichen Stehaufkomiker eingeladen wurden, um nach Stichwortzuteilung Teile ihres Bühnenprogramms abzunudeln. Natürlich gibt es das auch in der „Anstalt“ immer noch dass irgendwer aus seinem Programm zitiert. Es muss allerdings zum übergeordneten Thema passen, das sich von Wagner und Uthoff erwählen. Sie machen aus der Gewohnheit, Kabarettsendungen als Werbeflächen für Bühnenprogramme zu missbrauchen, die Tugend einer packenden Ensembleaufführung.

Wenn sie Rente, Steuern oder die Flüchtlingsfrage auf ihre Art beleuchten, dann müssen alle mitmachen, auch die Gäste. Wenn es um Krieg geht, müssen auch die Eingeladenen in die Schützengräben. Im Gegensatz zu Pillepallewitzsendungen wie dem „Satire Gipfel“ geht es den Machern bei der neuen „Anstalt“ um etwas mehr als nur die persönliche Selbstbeweihräucherung. Uthoff und von Wagner haben ein Anliegen. Ihnen stinkt wirklich was, und sie tun nicht nur auf der Bühne so, als würden sie die Nase rümpfen.

Wer beispielsweise mit Uthoff redet, merkt schnell, dass der Mann sich nicht einfach Sachen für die Bühne ausdenkt, er ist tatsächlich ein Weltverbesserer, einer, den oft die Verzweiflung packt, den aber auch die Leidenschaft treibt, aus dieser Kugel namens Erde trotzdem einen lebenswerten Raum für alle zu machen. Und wenn es nicht für alle klappt, dann doch wenigstens für die Bundesrepublik. Oder wenigstens für jene, die etwas verstehen. Und dann vielleicht auch noch für jene, die etwas verstehen wollen und sich mit der Heranschaffung und Verarbeitung von Erkenntnis noch schwer tun.

Längst haben Uthoff und von Wagner die große ZDF-Schwester, die „Heute Show“, aus dem Feld geschlagen. Also, wenn man nicht nach Quoten, sondern nach Bedeutung misst. Während die „Heute Show“ sich inzwischen zu oft erschöpft in der Abbildung irgendwelcher Politikerfehltritte oder verunglückter Sprachbeiträge, öffnet „Die Anstalt“ neue Perspektiven, Einblicke in Zusammenhänge, die so nicht jedem präsent sein dürften.

"Was Cindy und Bert einst für den Schlager waren, werden Claus und Max für die politische Satire - immer wieder dienstags kommt die Erinnerung: Komplexe Zusammenhänge freigelegt aufs Wesentliche, dazu bekömmlich für alle durch szenisch-scherzhafte Komödie. So politisch hätte sich die Wiederauferstehung des Volkstheaters niemand zu träumen gewagt. Chapeaux!"
Jürgen Becker, Kabarettist ("Mitternachtsspitzen", WDR)

Während die ARD noch hilflos hampelt, um wenigstens die Rücklichter solch einer Entwicklung begreifen zu können, rauscht der von Uthoff und Wagner gesteuerte Zug längst weiter. Und er nimmt immer mehr Fahrt auf.

„Die Anstalt“ ist inzwischen eine Sendung, auf die man gespannt wartet, die man nicht verpassen darf, weil das, was die da machen, für alle Menschen mit Neigung zur Bewusstseinserweiterung Pflichtprogramm sein sollte. Es ist davon auszugehen, dass Claus von Wagner und Max Uthoff sich nicht auf dem ausruhen werden, was sie bislang erreicht haben. Es ist ihnen zu wünschen, dass sie der Versuchung widerstehen, die große Anstrengung einer Fernsehsendung allzu schnell gegen die Versuchung der schnellen Gewinnabschöpfung auf den Kabarettbühnen der ländlichen Vielzweckhallen einzutauschen. Mögen sie sich noch lange unterhalb der Schwelle zur großen Popularität bewegen, mögen sie noch ewig ein Vorbild sein für alle, die noch nicht wissen, wohin mit ihrem Wagemut. Es geht noch etwas im deutschen Fernsehen. Viel sogar.

DWDL-Aufsteiger des Jahres 2014